VwGH vom 11.07.2012, 2009/08/0174
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des G W in Wien, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte Ges.m.b.H. in 1010 Wien, Stallburggasse 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 40- SR 1311/08, betreffend Beitragsgrundlage nach dem NVG (mitbeteiligte Partei: Versicherungsanstalt des österreichischen Notariates in Wien, vertreten durch Dr. Leopold Rieß, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Zeltgasse 3/12), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde einem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid der mitbeteiligten Versicherungsanstalt vom insofern Folge gegeben, als gemäß §§ 9, 10 und 14 NVG für das Jahr 2004 in der Beitragsneuberechnung zwar eine Kanzleiablöse in der Höhe von EUR 497.077,57 berücksichtigt wurde, von dieser aber Buchwerte in Höhe von EUR 28.578,18 abgezogen wurden. Für das Jahr 2004 errechnete die belangte Behörde sohin eine Nachzahlung in Höhe von EUR 70.274,90.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei auf Grund des Erreichens der Altersgrenze mit Ablauf des von seinem Amt als öffentlicher Notar enthoben worden.
In seinem Einspruch habe er den erstinstanzlichen Bescheid im Umfang der Miteinbeziehung der Kanzleiablöse in die Notariatseinkünfte angefochten. Nach Darlegung des weiteren Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 NVG würden als Beitragsgrundlagen bei Einkünften aus selbständiger Tätigkeit die nach den Vorschriften über die Einkommensteuer versteuerbaren Einkünfte des Beitragsmonats gelten. § 14 Abs. 1 Z 2 NVG bilde ein weiteres Indiz dafür, dass die einkommensteuerrechtliche Betrachtungsweise bei der Beitragsgrundlagenermittlung dem NVG systemimmanent sei. Bei Ermittlung der Beitragsgrundlagen seien die Buchwerte des übertragenen Anlagevermögens vom Gesamtnettobetrag der Kanzleiablöse daher abzuziehen.
Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom , B 112/09-8, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Versicherungsanstalt, eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 2 Z 16 NVG idF BGBl. I Nr. 139/2000 bedeutet Kanzleiablöse im Sinne dieses Bundesgesetzes "die Leistung, die von einem Amts- oder Kanzleinachfolger für die Überlassung der Notariatskanzlei, zB wie deren Räumlichkeiten, Einrichtung - auch technische Einrichtung -, der verwahrten Urkunden, des Mandantenstockes sowie Handakten, erbracht wird."
Gemäß § 9 Abs. 1 NVG werden die Mittel zur Bestreitung der Aufwendungen der Pensionsversicherung durch Beiträge der Versicherten gemäß Abs. 2 und durch sonstige Einnahmen aufgebracht.
§ 9 Abs. 2 NVG idF BGBl. I Nr. 67/2001 lautet:
"(2) Die Versicherten haben monatlich einen Beitrag in der Höhe des jeweils als Beitragssatz festgesetzten Hundertsatzes der Beitragsgrundlage, mindestens jedoch 218,02 Euro, zu entrichten. Überschreitet der Beitragssatz 10 v.H., so ist für jeden vollen Prozentpunkt darüber der jeweilige Mindestbeitrag um 21,80 Euro zu erhöhen. An die Stelle der genannten Beträge treten ab 1. Jänner eines jeden Jahres die unter Bedachtnahme auf § 21 mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 20) vervielfachten Beträge.
Gemäß § 9 Abs. 4 NVG beginnt die Beitragspflicht mit dem Kalendermonat, in dem die Voraussetzung für die Versicherungspflicht eintritt, sie endet mit dem Kalendermonat, in dem diese Voraussetzung wegfällt.
Die §§ 10 und 14 NVG idF BGBl. I Nr. 139/2000 lauten (auszugsweise):
"§ 10. (1) Beitragsgrundlage sind die Monatseinkünfte des Versicherten aus seiner Tätigkeit im Notariat. Als Monatseinkünfte gelten:
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1. | (…) |
2. | bei Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit die nach den Vorschriften über die Einkommensteuer versteuerbaren Einkünfte des Beitragsmonates. Zu den Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit zählen insbesondere auch Einkünfte aus Substitutionen, Kuratelen, Sachwalterschaften, Masseverwaltungen, Verteidigungen in Strafsachen, Dolmetschertätigkeiten und Empfänge bzw. Erlöse aus einer steuerlich erfassten Kanzleiablöse. |
(…) |
(4) Als Beitragsmonat gilt jeweils der Kalendermonat, für den die Beiträge zu entrichten sind.
(…)
§ 14. (1) Die Versicherungsanstalt hat nach Vorliegen der erforderlichen Unterlagen die nach § 9 zu entrichtenden Beiträge für ein Kalenderjahr im Sinne der §§ 9 und 10 neu zu berechnen, und zwar
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1. | (…); |
2. | im Falle des § 10 Abs. 1 Z 2 auf Grund der danach in Betracht kommenden Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus dem Notariat, die sich nach dem vorzulegenden Einkommensteuerbescheid für das betreffende Kalenderjahr ergeben, nicht vermindert um außerordentliche Belastungen und Sonderausgaben, zuzüglich der im betreffenden Kalenderjahr geleisteten Beiträge zur Pensionsversicherung sowie der Verzugszinsen, wenn diese als Betriebsausgaben abgesetzt und anerkannt worden sind. |
(2) Im Kalenderjahr des Versicherungsfalles und in dem diesem vorangehenden Kalenderjahr sind der Neuberechnung der Beiträge die nach Abs. 1 in Betracht kommenden Einkünfte aus dem dem Kalenderjahr des Versicherungsfalles zweitvorangegangenen Kalenderjahr zugrunde zu legen, mindestens jedoch der Durchschnitt der nach Abs. 1 in Betracht kommenden Einkünfte der ersten fünf der letzten sieben Kalenderjahre vor dem Eintritt des Versicherungsfalles sowie die Empfänge und Erlöse aus einer Kanzleiablöse.
(3) Ist eine Neuberechnung nach Abs. 1 deswegen nicht möglich, weil der Versicherte die hiefür erforderlichen Unterlagen nicht ordnungsgemäß oder nicht rechtzeitig vorgelegt hat, so hat die Versicherungsanstalt für die Neuberechnung der Beiträge die Beitragsgrundlage festzusetzen. § 10 Abs. 3 ist hiebei entsprechend anzuwenden. An die Stelle dieser Neuberechnung tritt, wenn die erforderlichen Unterlagen nachträglich vorgelegt werden, die Neuberechnung nach Abs. 1."
Die Einbeziehung von Empfängen bzw. Erlösen aus Kanzleiablösen in die Berechnung der Beitragsgrundlage nach § 10 Abs. 1 Z 2 NVG erfolgte durch die 9. Novelle zum NVG, BGBl. I Nr. 139/2000. Die entsprechenden Bestimmungen gehen auf einen Initiativantrag (IA 307/A, 21. GP) zurück, dessen Begründung unter anderem ausführt:
"(Z)ur Festigung der Gebarung der Notarversicherung (sind) eine Reihe von Maßnahmen notwendig, die die Beitragsgrundlage verbreitern sollen. Dazu zählen insbesondere die Berücksichtigung der Empfänge bzw. Erlöse aus einer Kanzleiablöse bei der Ermittlung der Beiträge (§§ 2 Z 5 und Z 16, 5a, 10 Abs. 1 Z 2 und 14 Abs. 2). Bei einer strengen Beurteilung der Frage, welche Einkünfte eines Versicherten als Einkünfte aus seiner Tätigkeit im Notariat anzusehen sind, muss auch ein Empfang bzw. ein Erlös aus einer Kanzleiablöse der Beitragsgrundlage zugerechnet werden."
2. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht verletzt, "dass die von ihm anlässlich seines infolge Pensionierung erfolgten Ausscheidens aus der Notar-Partnerschaft mit dieser vereinbarten Rentenzahlungen nicht als Kanzleiablöse im Sinne des § 2 Z 16 NVG der Beitragspflicht unterzogen werden."
3. Die Kanzleiablöse im Sinne des § 2 Z 16 NVG erfasst die Leistung, die von einem Amts- oder Kanzleinachfolger für die Überlassung der Notariatskanzlei erbracht wird. Der Verfassungsgerichtshof deutet in seinem Erkenntnis vom , B 111/09, die in § 2 Z 16 NVG 1972 enthaltene Definition der "Kanzleiablöse" in Verbindung mit den in § 10 Abs. 1 Z 2 und § 14 Abs. 2 leg. cit. normierten weiteren Konkretisierungen auf "Empfänge bzw. Erlöse" einerseits und die Bedachtnahme auf deren "steuerliche Erfassung" andererseits in der Weise, dass damit (wenngleich etwas umständlich formuliert) im Prinzip nichts anderes in die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Beiträge zur Pensionsversicherung nach dem NVG 1972 einbezogen werden sollte als der aus der Veräußerung des Betriebes des Notariates erzielte Gewinn im Sinne des § 24 EStG 1988.
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Auslegung an. Wenngleich die zitierten Bestimmungen den Begriff der "Empfänge bzw. Erlöse" verwenden und damit auch ein Anknüpfen an den Veräußerungserlös - wie er in § 24 Abs. 2 EStG 1988 als Ausgangswert für die Berechnung des Veräußerungsgewinnes genannt wird - gemeint sein könnte, zeigt § 10 Abs. 1 Z 2 NVG, dass nur "steuerlich erfasste" Empfänge bzw. Erlöse in die Beitragsgrundlage miteinzubeziehen sind, sodass auf den nach den Vorschriften des § 24 EStG 1988 zu ermittelnden Veräußerungsgewinn abzustellen ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 EStG 1988 sind Veräußerungsgewinne (unter anderem) Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen Betriebs, eines Teilbetriebs oder eines Anteiles eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebes anzusehen ist, erzielt werden. Gemäß Abs. 2 ist Veräußerungsgewinn im Sinne des Abs. 1 der Betrag, um den der Veräußerungserlös nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens oder den Wert des Anteils am Betriebsvermögen übersteigt. Dieser Gewinn ist für den Zeitpunkt der Veräußerung oder der Aufgabe nach § 4 Abs. 1 oder § 5 zu ermitteln.
Hinsichtlich der Beschwerdeausführungen, wonach die Aufgabe eines Unternehmensanteils nicht unter den Tatbestand der Kanzleiablöse gemäß § 2 Z 16 NVG falle, kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2009/08/0157, verwiesen werden.
4. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, bei den aus Anlass seines Ausscheidens aus der Notar-Partnerschaft vereinbarten Zahlungen handle es sich "um eine Leibrente im Sinne einer sogenannten Versorgungsrente". Bei Vereinbarung einer Leibrente komme es bei der Veräußerung zu keinem gemäß § 24 EStG 1998 versteuerbaren Veräußerungsgewinn.
Im angefochtenen Bescheid finden sich keine näheren Feststellungen dazu, in welcher Form die Kanzleiablöse des Beschwerdeführers vereinbart wurde und welche Art der Gegenleistung dieser für die Übertragung seiner Gesellschaftsanteile an der Notarpartnerschaft erhielt. Aus dem Verwaltungsakt geht jedoch hervor, dass der Beschwerdeführer der mitbeteiligten Versicherungsanstalt (nur) gemeldet hatte, für die Übertragung seines Mitunternehmeranteils ab eine monatliche Leibrente von EUR 4.360,-- (zwölfmal jährlich, ohne Wertsicherungsvereinbarung und ohne Hinterbliebenenübergang) zu erhalten. Aufgrund dieser Angaben hat die belangte Behörde den Rentenbarwert in der Höhe von EUR 497.077,57 errechnet, der dem erstinstanzlichen wie auch dem angefochtenen Bescheid als "Kanzleiablöse" zugrunde gelegt wurde. Die belangte Behörde hat jedoch keine Feststellungen getroffen, die ein Beurteilung ermöglichen würden, ob es sich bei der Leibrente um eine Kaufpreisrente oder - wie vom Beschwerdeführer behauptet - tatsächlich um eine Versorgungsrente (und damit um eine im steuerlichen Sinne unentgeltliche Betriebsübergabe, die nicht zu einem Veräußerungsgewinn führen würde) gehandelt hat.
Im Falle einer Kaufpreisrente - wovon die belangte Behörde ausgehen dürfte - wäre von einem Veräußerungsgewinn im Sinne des § 24 EStG 1988 erst dann auszugehen, wenn die laufenden Rentenbezüge den auf den Veräußerungsstichtag bezogenen Wert des Betriebsvermögens übersteigen. Ein Gewinn aus einer Kanzleiveräußerung fällt bis zu diesem Zeitpunkt hingegen (noch) nicht an (vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , Zl. B 111/09).
Aufgrund ihrer Ansicht, der Rentenbarwert der Leibrente (die nach einem Schreiben des Beschwerdeführers an die mitbeteiligte Versicherungsanstalt als einzige Gegenleistung für die Übertragung des Mitunternehmeranteiles an der Notarpartnerschaft vereinbart worden sei) sei in jedem Fall als Kanzleiablöse im Sinne des § 2 Z 16 NVG anzusehen, hat es die belangte Behörde unterlassen, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, die im Beschwerdefall erforderlich sind, um das Vorliegen eines Veräußerungsgewinns aus der Leibrentenvereinbarung beurteilen zu können.
5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
PAAAE-90066