VwGH vom 16.03.2016, 2015/04/0005

VwGH vom 16.03.2016, 2015/04/0005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, Hofrat Dr. Kleiser sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der D in P, vertreten durch Mag. Christian Fuchs, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Dr. Glatz-Straße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs-2011/K4/0832-11, betreffend Zurückweisung eines vergaberechtlichen Feststellungsantrages (weitere Partei: Tiroler Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. K GmbH, 2. B, beide in Z, beide vertreten durch Dr. Walter Lenfeld und Dr. Wilfried Leys, Rechtsanwälte in 6500 Landeck, Malser Straße 49a, 3. DI F F in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (belangte Behörde) vom wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei vom , festzustellen, dass die Direktvergabe des Auftrags betreffend Planung und örtliche Bauaufsicht im Zusammenhang mit diversen Neu- , Zu- und Umbauten des Krankenhauses St. V. durch die mitbeteiligten Parteien als Auftraggeber wegen Verstoßes gegen die vergaberechtlichen Bestimmungen des BVergG 2006 rechtswidrig war, und den Auftrag für nichtig zu erklären, zurückgewiesen (Spruchpunkt 1.). Das Begehren auf Ersatz der Pauschalgebühren wurde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt 2.).

In der Begründung des angefochtenen Bescheides stellte die belangte Behörde fest, die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien (im folgenden jeweils "Auftraggeberinnen") hätten am einen befristeten Werkvertrag mit der drittmitbeteiligten Partei über Planungsleistungen, örtliche Bauaufsicht, Projektstudien zur Standortentwicklung und Beratungsleistungen betreffend das Krankenhaus St. V. für den Zeitraum 1995-2010 abgeschlossen. Dieser Vertrag sei mit weiterem Vertrag vom um 10 Jahre verlängert worden.

Spätestens seit dem Jahre 2008 würden die Bauarbeiten im Zusammenhang mit dem Krankenhaus St. V. sowie die Förderung der Baumaßnahmen durch das Land Tirol öffentlich diskutiert, sodass das Bauvorhaben sowie die damit verbundenen umfangreichen Planungsleistungen wirtschaftsbeteiligten Kreisen seit dieser Zeit bekannt seien. Auch sei auf die Planungsvergabe in einer Aussendung der Architektenkammer für Tirol und Vorarlberg im ersten Quartal 2009 Bezug genommen worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Berufung auf die Regelung der Antragsfrist für Feststellungsanträge in § 15 Abs. 3 Tiroler Vergabenachprüfungsgesetz 2006 (idF LGBl. Nr. 17/2010) aus, der verfahrensgegenständliche Antrag sei binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag einzubringen gewesen. Die bekämpfte Auftragserteilung sei mit dem Architektenwerkvertrag vom erfolgt. Die Frist von sechs Monaten sei zum Zeitpunkt des Einlangens des Feststellungsantrags der beschwerdeführenden Partei im März 2011 bereits abgelaufen gewesen, weshalb der Antrag zurückzuweisen sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift - ebenso wie die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien - die Abweisung der Beschwerde.

3. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2012/04/0011-8, wurde das Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs vom , Zl. EU 2014/0002-1 (2011/04/0121), als Rechtssache des EuGH protokolliert zu C- 166/14, ausgesetzt. Über dieses Vorabentscheidungsersuchen wurde mit entschieden.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4.1. Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend nicht um einen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz handelt und daher gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

4.2. Die Beschwerde brachte vor, die beschwerdeführende Partei habe erst am von dem gegenständlichen Bauvorhaben Kenntnis erlangt. Die Zurückweisung sei zu Unrecht erfolgt.

4.3. Die relevanten Bestimmungen des Tiroler Vergabenachprüfungsgesetzes 2006 (Tirol Verg-NG) in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 17/2010 lauten:

"§ 14

Einleitung des Verfahrens

(1) Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich des Bundesvergabegesetzes 2006 unterliegenden Vertrages hatte, kann, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, die Feststellung beantragen, dass


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1.
(...)
2.
die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz 2006, die hierzu erlassenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht rechtswidrig war oder
(...)
§ 15
Inhalt und Zulässigkeit des Feststellungsantrages
(...)

(3) Anträge nach § 14 Abs. 1 Z. 2 bis 4 sind binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag einzubringen. (...)

§ 17

Feststellung von Rechtsverstößen, Nichtigerklärung und Verhängung von Sanktionen

(1) Der Unabhängige Verwaltungssenat hat eine Feststellung nach § 3 Abs. 3 Z 1 und 5 und Abs. 4 Z 1 und 3 nur dann zu treffen, wenn die Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss war.

(2) Soweit in diesem Absatz und in den Abs. 4 und 5 nichts anderes bestimmt ist, hat der Unabhängige Verwaltungssenat im Oberschwellenbereich den Vertrag im Anschluss an eine Feststellung nach § 3 Abs. 3 Z 3 bis 5 für absolut nichtig zu erklären. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat von einer Nichtigerklärung des Vertrages nach Abs. 4 oder Abs. 5 abzusehen, wenn der Auftraggeber dies beantragt hat und zwingende Gründe des Allgemeininteresses es rechtfertigen, den Vertrag aufrecht zu erhalten. Wirtschaftliche Interessen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem betreffenden Vertrag stehen, können die Aufrechterhaltung des Vertrages nicht rechtfertigen, andere wirtschaftliche Interessen nur dann, wenn die Nichtigkeit in Ausnahmefällen unverhältnismäßige Folgen hätte.

(...)"

4.4. Die wiedergegebenen Bestimmungen des Tiroler Verg-NG entsprechen in ihrem Wortlaut § 331 Abs. 1 Z 2 und § 332 Abs. 3 erster Satz Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG 2006) in der Fassung BGBl. I Nr. 15/2010.

Zu dieser Regelung des BVergG 2006 legte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Zl. EU 2014/0002-1 (2011/04/0121), dem EuGH folgende Frage gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor:

"Ist das Unionsrecht - insbesondere die allgemeinen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge - dahin auszulegen, dass es einer nationalen Rechtslage entgegensteht, nach der ein Antrag auf Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes binnen sechs Monaten nach Vertragsschluss gestellt werden muss, wenn die Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes nicht nur Voraussetzung für die Nichtigerklärung des Vertrages, sondern auch für die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches ist?"

Mit Urteil vom in der Rechtssache C-166/14, MedEval- Qualitäts-, Leistungs- und Struktur-Evaluierung im Gesundheitswesen GmbH, beantwortete der EuGH diese Frage wie folgt:

"Das Recht der Europäischen Union, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Erhebung einer Klage auf Schadensersatz wegen eines vergaberechtlichen Verstoßes von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war, und der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit binnen einer sechsmonatigen Ausschlussfrist gestellt werden muss, die ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag zu laufen beginnt - und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers Kenntnis haben konnte."

4.5. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2015/04/0004, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann, sprach der Verwaltungsgerichtshof bezugnehmend auf das oben genannte Urteil des EuGH aus, dass von einer Verdrängung der in § 332 Abs. 3 BVergG 2006 vorgesehenen sechsmonatigen absoluten Ausschlussfrist durch das unmittelbar anwendbare Unionsrecht auszugehen sei. Nichts Anderes kann für die mit § 15 Abs. 3 Tirol Verg-NG normierte Ausschlussfrist für Feststellungsanträge gelten.

Die belangte Behörde hat daher im vorliegenden Fall den Feststellungsantrag der beschwerdeführenden Partei zu Unrecht unter Heranziehung der absoluten Frist von sechs Monaten gemäß § 15 Abs. 3 Tirol Verg-NG zurückgewiesen, weil diese verfahrensrechtliche Bestimmung infolge Verdrängung durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht die von der belangten Behörde angenommene Verfristung des Antrages nicht begründen kann.

Im Übrigen wird für das weitere Verfahren auf die Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom heutigen Tag, Zl. 2015/04/0004, verwiesen (Punkt 6.), wonach es im Hinblick auf den vom Gesetzgeber vorgesehenen - auch im Unionsrecht anerkannten - Stellenwert der Rechtssicherheit gerechtfertigt ist, nach Ablauf von sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag das Vorliegen eines zwingenden Grundes eines Allgemeininteresses im Sinn des § 334 Abs. 2 zweiter Satz BVergG 2006 anzunehmen, was zur Folge hat, dass auf Antrag von einer Nichtigerklärung des Vertrages oder einer Aufhebung des Vertrages gemäß § 334 Abs. 4 oder 5 BVergG 2006 abzusehen und der Vertrag aufrechtzuerhalten ist. Diese Überlegungen haben ebenso für die hier allenfalls anzuwendende Bestimmung des § 17 Abs. 2 Tirol Verg-NG zu gelten.

4.6. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4.7. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der Verwaltungsgerichtshof-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am