VwGH vom 30.07.2015, 2015/04/0003

VwGH vom 30.07.2015, 2015/04/0003

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser und Dr. Mayr sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde


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1.
der Gemeinde H, 2. des J A, 3. des M A, 4. der M F, 5. des H F,
6.
der C A, 7. des Ma A, 8. der M S 9. des J S 10. des H G A,
11.
des J A, 12. des J K, 13. des Jo K, 14. der M K, 15. des J Ko,
16.
der B Ko, 17. des J W und 18. der M W, alle in H, alle vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Aubergstraße 63, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , Zl. UR- 2013-5378/12-Z/Rs, betreffend Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplanes sowie der Errichtung und des Betriebs einer Bergbauanlage nach dem MinroG (mitbeteiligte Partei: G Ges.m.b.H. Co. KG in E, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4070 Eferding, Kirchenplatz 8),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird auf Grund der Beschwerde der zweit- bis achtzehntbeschwerdeführenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde der erstbeschwerdeführenden Standortgemeinde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren diesbezüglich eingestellt.

III. Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom wurde gemäß § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) rechtskräftig festgestellt, dass für ein näher umschriebenes Vorhaben der mitbeteiligten Partei (konkret: die Erweiterung einer bestehenden Quarzschottergrube) keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen ist.

2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft E vom wurde der mitbeteiligten Partei die Erweiterung des Gewinnungsbetriebsplans (betreffend eben dieses Vorhaben) genehmigt sowie die Errichtung und der Betrieb einer Bergbauanlage bewilligt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich (belangte Behörde) vom wurde der dagegen erhobenen Berufung der beschwerdeführenden Parteien (abgesehen von einer für den vorliegenden Beschwerdefall nicht relevanten geringfügigen Abänderung) keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit einer Maßgabe bestätigt.

In der Begründung verwies die belangte Behörde hinsichtlich der von den beschwerdeführenden Parteien behaupteten UVP-Pflicht auf den rechtskräftigen Feststellungsbescheid gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 vom , dem zufolge für das gegenständliche Vorhaben keine UVP durchzuführen sei, sowie auf den Umstand, dass die Standortgemeinde (die erstbeschwerdeführende Partei) in diesem Verfahren Parteistellung gehabt habe. Die Durchführung eines Verfahrens nach dem MinroG entspreche somit der Rechtslage.

Weiters gelangte die belangte Behörde mit näherer Begründung zur Auffassung, dass bei Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen weder eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit bzw. des Eigentums oder sonstiger dinglicher Rechte der beschwerdeführenden Parteien noch eine unzumutbare Belästigung von Personen zu erwarten sei. Die nach dem MinroG gewährleisteten Nachbarrechte seien somit ausreichend gewahrt.

3. In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde bringen die beschwerdeführenden Parteien unter anderem vor, dass für das gegenständliche Vorhaben zwingend eine UVP durchzuführen gewesen wäre, weil - wie näher ausgeführt wird - der hier gemäß Anhang 1 zum UVP-G 2000 maßgebliche Schwellenwert überschritten werde. Den diesbezüglich ergangenen Feststellungsbescheid vom erachten die beschwerdeführenden Parteien als rechtswidrig. Das gegenständlich durchgeführte MinroG-Verfahren sei daher ebenso rechtswidrig.

Des Weiteren werden mangelnde Sachverhaltsfeststellungen moniert sowie Bedenken gegen die eingeholten Sachverständigengutachten erhoben und es wird vorgebracht, dass die belangte Behörde keine Interessenabwägung nach § 83 MinroG vorgenommen habe. Auch seien raumordnungsrechtliche Vorgaben nicht entsprechend berücksichtigt worden.

4. Die belangte Behörde erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift. Die mitbeteiligte Partei verweist darin auf die Bindungswirkung des bereits genannten (negativen) Feststellungsbescheides.

5. Mit Beschluss vom , 2013/04/0076-13, hat der Verwaltungsgerichtshof das gegenständliche Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom , EU 2013/0006 (2012/04/0040), als Rechtssache des EuGH protokolliert zu C- 570/13, ausgesetzt.

Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen hat der Verwaltungsgerichtshof dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV - auf das Wesentliche zusammengefasst - die Frage gestellt, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, einer nationalen Rechtslage entgegensteht, nach der ein Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen in diesem Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet und diesen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren entgegengehalten werden kann.

Die Aussetzung des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens begründete der Verwaltungsgerichtshof damit, dass die Frage der Unionsrechtskonformität der Bindungswirkung eines Feststellungsbescheides gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 auch für den Ausgang des vorliegenden Beschwerdefalles von Relevanz sei.

6. Mit Urteil vom in der Rechtssache C-570/13, Karoline Gruber gegen Unabhängiger Verwaltungssenat für Kärnten, EMA Beratungs- und Handels GmbH, Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend, beantwortete der EuGH die oben dargelegte Vorlagefrage wie folgt:

"Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen - wonach eine Verwaltungsentscheidung, mit der festgestellt wird, dass für ein Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung für Nachbarn hat, die vom Recht auf Erhebung einer Beschwerde gegen diese Entscheidung ausgeschlossen sind - entgegensteht, sofern diese Nachbarn, die zur 'betroffenen Öffentlichkeit' im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie gehören, die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf das 'ausreichende Interesse' oder die 'Rechtsverletzung' erfüllen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt ist. Ist dies der Fall, muss das vorlegende Gericht feststellen, dass eine Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat."

7. Ausgehend davon hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Da es sich vorliegend nicht um einen Übergangsfall nach dem VwGbk-ÜG handelt, sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

7.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschwerdeverfahren, das dem genannten Vorabentscheidungsersuchen zugrunde lag und das inhaltlich eine Generalgenehmigung nach den §§ 356 Abs. 1 und 356e Abs. 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) betraf, mit Erkenntnis vom , 2015/04/0002, den dort angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

In der Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hielt der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf die hg. Rechtsprechung - fest, dass die dort belangte Behörde zur Beurteilung ihrer eigenen Zuständigkeit zu prüfen gehabt habe, ob die vorliegende gewerbliche Betriebsanlage einer UVP zu unterziehen wäre, weil eine derartige UVP von der nach dem UVP-G 2000 zuständigen Landesregierung und nicht von der belangten Behörde als Gewerbebehörde durchzuführen wäre. Weiters wurde auf die Verpflichtung der (Fach)Behörde hingewiesen, ihre Zuständigkeit von Amts wegen unter Berücksichtigung einer allfälligen UVP-Pflicht des eingereichten Vorhabens zu prüfen und auf Grund nachvollziehbarer Feststellungen im angefochtenen Bescheid darzulegen, warum sie vom Fehlen einer UVP-Pflicht und damit von ihrer Zuständigkeit ausgehe.

Zudem führte der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis aus, dass den Nachbarn im gewerberechtlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren im Rahmen ihrer Parteistellung nach § 74 Abs. 2 GewO 1994 auch ein subjektives Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten zukomme und dass sie mit dem Vorbringen, es sei keine UVP durchgeführt worden, die Frage der Zuständigkeit der vollziehenden Behörde aufwerfen können (mit Verweis insbesondere auf das hg. Erkenntnis vom , 2004/05/0093). Damit erfülle der Nachbar im Verfahren zur Genehmigung einer Betriebsanlage als Teil der betroffenen Öffentlichkeit die Anforderung eines ausreichenden Interesses (im Sinn des Art. 11 der RL 2011/92/EU) nach den Kriterien des nationalen Rechts, um gegen eine Entscheidung, dass kein UVP-Verfahren durchzuführen ist, einen Rechtsbehelf einlegen zu können.

Abschließend hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass der UVP-Feststellungsbescheid gegenüber den Nachbarn, die im Verfahren zu seiner Erlassung gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 keine Parteistellung hatten, somit keine Bindungswirkung habe.

7.2. Im vorliegenden Fall sind die zweit- bis achtzehntbeschwerdeführenden Parteien Nachbarn im Sinn des § 116 Abs. 3 Z 3 MinroG. Im Verfahren zur Erlassung des UVP-Feststellungsbescheides gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 vom kam ihnen keine Parteistellung zu. Allerdings kommt ihnen - vergleichbar mit den Nachbarn im gewerberechtlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren - im Rahmen ihrer Parteistellung im MinroG-Verfahren ein subjektives Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten zu und sie können mit dem Vorbringen, es sei keine UVP durchgeführt worden, die Frage der Zuständigkeit der vollziehenden Behörde aufwerfen. Damit erfüllen sie ebenfalls als Teil der betroffenen Öffentlichkeit die Anforderung eines ausreichenden Interesses (im Sinn des Art. 11 der RL 2011/92/EU), um gegen eine Entscheidung, dass kein UVP-Verfahren durchzuführen ist, einen Rechtsbehelf einlegen zu können.

Die im Erkenntnis 2015/04/0002 im Zusammenhang mit einem gewerberechtlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren angestellten Überlegungen sind somit - hinsichtlich der zweit- bis achtzehntbeschwerdeführenden Parteien (nicht hingegen hinsichtlich der erstbeschwerdeführenden Standortgemeinde, der im Feststellungsverfahren nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 Parteistellung zukam und der somit die Bindungswirkung des UVP-Feststellungsbescheides entgegengehalten werden kann) - auf den vorliegenden, eine Genehmigung nach dem MinroG betreffenden Fall übertragbar.

8. Der angefochtene Bescheid war daher aus den im Erkenntnis 2015/04/0002 dargelegten Erwägungen auf Grund der Beschwerde der zweit- bis achtzehntbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

9. Im Hinblick auf die auf Grund der Beschwerde der zweitbis achtzehntbeschwerdeführenden Parteien erfolgte Aufhebung des angefochtenen Bescheides war die Beschwerde der erstbeschwerdeführenden Standortgemeinde infolge der dadurch bewirkten Klaglosstellung gemäß § 33 Abs. 1 VwGG mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren diesbezüglich einzustellen (vgl. zu einer solchen Konstellation das hg. Erkenntnis vom , 2013/04/0099 und 0102).

10. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am