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VwGH vom 02.05.2012, 2009/08/0155

VwGH vom 02.05.2012, 2009/08/0155

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger, sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde der M W in B, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Kremser Gasse 4, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom , Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2009, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 und § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit abgewiesen, da eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung vorliege.

Die belangte Behörde stellte als entscheidungserheblichen Sachverhalt fest, dass die Beschwerdeführerin am (mit als Tag der Geltendmachung) nach einem Dienstverhältnis vom bis bei der regionalen Geschäftsstelle P. die Zuerkennung von Arbeitslosengeld beantragt habe. Im Antrag habe sie erklärt, dass sie selbständig erwerbstätig sei und dafür eine Gewerbeberechtigung benötige. Sie habe ein eigenes Einkommen, über die Art und Höhe dieses Einkommens habe sie nichts angeführt.

Eine Abfrage beim Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger vom habe ergeben, dass die Beschwerdeführerin seit dem bis laufend pflichtversichert nach dem GSVG "mit der Qualifikation 18" sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, für nach dem Ablauf des geltend gemachte Ansprüche sei gemäß § 79 Abs. 94 AlVG für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit neben der Beendigung der unselbständigen Beschäftigung auch die Beendigung bzw. das Nichtvorliegen einer "selbständigen Beschäftigung" Voraussetzung, sowie weiters, dass die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung beendet sei. Dies gelte auch für nicht arbeitslosenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeiten bzw. Beschäftigungen. Es dürfe also bei nach dem geltend gemachten Ansprüchen keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung vorliegen.

Die Beschwerdeführerin sei seit dem GSVG pflichtversichert. Diese Versicherungspflicht, "welche mit der Qualifikation 18 im Hauptverband gespeichert" sei, beinhalte auch die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung. Für die Geltendmachung einer Leistung nach dem AlVG - also für den Beginn des Leistungsbezugs - sei der Zeitpunkt der Beantragung (der Tag, an dem sich der Arbeitsuchende persönlich beim Arbeitsmarktservice melde und den Antrag erhalte), maßgeblich. Die Beschwerdeführerin habe am die Leistung nach dem AlVG beantragt. Zu diesem Zeitpunkt habe jedoch die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG bestanden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin eine anwartschaftsbegründende arbeitslosenversicherungspflichtige unselbständige Beschäftigung beendet hat. Sie hat jedoch eine schon neben ihrer unselbständigen Beschäftigung ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit, welche die Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG begründete, nicht beendet. Nach dem bereits im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen der Beschwerdeführerin hätten Einkommen und Umsatz aus der selbständigen Erwerbstätigkeit die in § 12 Abs. 6 lit c AlVG genannten Beträge nicht überstiegen.

Strittig ist nunmehr, ob eine in diesem Sinne "geringfügige", aber die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 ausschließt.

2. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, dass auf sie die Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG anzuwenden gewesen wäre, da ihre selbständige Erwerbstätigkeit derzeit keinen Ertrag abwerfe, sodass sie tatsächlich einkommenslos sei. Es stelle einen Verfahrensmangel dar, dass die belangte Behörde keine weiteren Feststellungen dazu getroffen habe, in welcher Höhe die Beschwerdeführerin ein Einkommen bzw. Umsätze erzielt habe.

Die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass im Falle der Beendigung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit eine auf Grund einer parallel ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit bestehende Pflichtversicherung gemäß GSVG einem Anspruch auf Arbeitslosengeld schlechthin entgegenstehe, sei unrichtig. Vielmehr stehe bei Beendigung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit der Bestand einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG aufgrund einer selbständigen Erwerbstätigkeit der Zuerkennung von Arbeitslosengeld nicht entgegen, wenn die Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG erfüllt seien.

3. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (unter anderem) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.

Gemäß Abs. 2 steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer (unter anderem) arbeitslos (§ 12) ist.

§ 12 Abs. 1 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:

"§ 12. (1) Arbeitslos ist, wer

1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,

2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und

3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt."

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 insbesondere nicht, wer selbständig erwerbstätig ist.

Gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG gilt jedoch als arbeitslos, wer auf andere (als in lit. a und b aufgezählte) Art selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt.

4. Nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 AlVG sind die in Z 1 bis 3 dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen an sich kumulativ zu erfüllen (arg: "und" am Ende der Z 2); es ist daher nicht nur erforderlich, dass die Erwerbstätigkeit beendet ist, sondern dass darüber hinaus (abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen) auch keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung mehr besteht, sowie dass schließlich keine "neue oder weitere" Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Es zeigt sich allerdings, dass die Reichweite der in § 12 Abs. 1 AlVG enthaltenen Gebote vom Gesetzgeber dadurch verunklart wird, dass § 12 Abs. 3 lit a und b (nunmehr insoweit § 12 Abs. 1 Z 3 der Sache nach wiederholend) sowie § 12 Abs. 6 lit a bis d AlVG über die Unschädlichkeit von Erwerbstätigkeiten mit geringfügigem Einkommen ohne klare Bezugnahme zur der Änderung des § 12 Abs. 1 AlVG unverändert weitergelten. So sieht § 12 Abs. 6 AlVG, der mit der Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 nicht geändert wurde, weiterhin vor, dass bestimmte unselbständig oder selbständig Erwerbstätige als arbeitslos gelten, wenn Entgelt (bei unselbständig Beschäftigten), Einheitswert (bei Betriebsführern eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes) oder Einkommen und Umsatz (bei auf andere Art selbständig Erwerbstätigen) jeweils unter bestimmten näher geregelten "Geringfügigkeitsgrenzen" bleiben.

Wollte man § 12 Abs. 1 Z 3 AlVG nun dahin verstehen, dass die Ausübung einer neuen (das heißt: nach Beendigung der anwartschaftsbegründenden Erwerbstätigkeit begonnenen) oder weiteren (das heißt: schon neben einer anwartschaftsbegründenden oder sonst nach § 12 Abs. 3 AlVG Arbeitslosigkeit ausschließenden Erwerbstätigkeit ausgeübten) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) Arbeitslosigkeit auch dann ausschließen würde, wenn sie geringfügig wäre, stünde dies im Widerspruch zu § 12 Abs. 6 AlVG, wonach geringfügig Erwerbstätige im Sinne dieser Bestimmung ausdrücklich als arbeitslos gelten (vgl. zur Systematik des § 12AlVG mit Ausnahmen und Gegenausnahmen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0092).

Soll § 12 Abs. 6 AlVG nicht ohne Anwendungsbereich bleiben, ist daher - wie bereits nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 - davon auszugehen, dass die Ausübung einer "geringfügigen Erwerbstätigkeit" in den in § 12 Abs. 6 AlVG näher festgelegten Grenzen weiterhin Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG nicht ausschließt, egal ob diese Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) noch während der aufrechten (anwartschaftsbegründenden oder die Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 3 AlVG ausschließenden) Erwerbstätigkeit oder erst nach deren Beendigung aufgenommen wird, sofern keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung (§ 12 Abs. 1 Z 2 AlVG vorliegt).

Auch die Gesetzesmaterialien stützen dieses Ergebnis:

Mit der AlVG-Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 sollte, wie im allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage (298 BlgNR 23.GP, S. 2) ausgeführt wird, unter anderem die "Einbeziehung von Selbständigen in die Arbeitslosenversicherung im Rahmen eines Optionen-Modells unter Wahrung der bisher erworbenen Ansprüche" verwirklichen. Nach diesem Optionen-Modell wurden selbständig Erwerbstätige daher nicht in die Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung einbezogen, sondern es wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, unter den in § 3 AlVG näher konkretisierten Voraussetzungen den Eintritt in die Arbeitslosenversicherung zu erklären. Die Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger erforderte auch Änderungen im Hinblick auf die Definition der Arbeitslosigkeit; dazu führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (298 BlgNR 23. GP, S. 10) Folgendes aus:

"Zu Z 12 (§ 12 Abs. 1 AlVG):

Die Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger in die Arbeitslosenversicherung erfordert eine neue Definition der Arbeitslosigkeit. Es kann nicht mehr ausschließlich auf die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses abgestellt werden, sondern muss jede Beendigung einer selbständigen oder unselbständigen Beschäftigung erfasst werden. Wie bisher soll eine andere geringfügige selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegenstehen, soweit dadurch die Verfügbarkeit gemäß § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG nicht beeinträchtigt ist. Die entsprechende Regelung im § 12 Abs. 6 AlVG bleibt unverändert bestehen. Die für die Arbeitslosenversicherung maßgebliche versicherungspflichtige (oder der Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung unterliegende) Erwerbstätigkeit muss jedoch eingestellt und nicht nur reduziert werden. Andernfalls liegt keine Arbeitslosigkeit vor.

Besteht eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausschließlich wegen der Gebührlichkeit von Kündigungsentschädigung oder einer Urlaubsersatzleistung weiter, so soll diese wie bisher nur zum Ruhen des Leistungsanspruches gemäß § 16 Abs. 1 lit. k und l führen und der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegen stehen."

Die zitierten Erläuterungen machen deutlich, dass die in § 12 Abs. 1 AlVG vorgenommenen Änderungen als notwendige Folge der Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger in die Arbeitslosenversicherung angesehen wurden und dass an der vor der Novelle geltenden Rechtslage insoweit nichts geändert werden sollte, als eine weitere selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit mit geringfügigem Einkommen der Annahme von Arbeitslosigkeit weiterhin nicht in jedem Fall entgegen stehen soll (sofern nicht die Verfügbarkeit beeinträchtigt ist; der Hinweis auf die "andere" geringfügige Erwerbstätigkeit bezieht sich auf § 12 Abs. 3 lit h AlVG, wonach im Ergebnis die Reduzierung einer bisher vollversicherten Beschäftigung auf eine geringfügige Beschäftigung beim selben Dienstgeber Arbeitslosigkeit ausschließt). Insbesondere der ausdrückliche Verweis der Erläuterungen auf den unveränderten § 12 Abs. 6 AlVG, in dem die entsprechenden Ausnahmen geregelt sind, bestätigt das Auslegungsergebnis, dass auch nach der neuen Rechtslage geringfügige Beschäftigungen im Sinne dieser Bestimmung Arbeitslosigkeit - von der Ausnahme des § 12 Abs. 3 lit h AlVG abgesehen - nicht in jedem Fall ausschließen (siehe aber zur Frage der Pensionsversicherung im folgenden Absatz).

5. Damit bleibt zu prüfen, ob die in bestimmten Fällen - etwa, wie im Beschwerdefall - nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG wegen Mitgliedschaft in der Wirtschaftskammer, auch aufgrund einer im Sinne des § 12 Abs. 6 AlVG "geringfügigen Erwerbstätigkeit" eintretende Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung Arbeitslosigkeit schon nach § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG ausschließen könnte.

Diese Frage hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0195, näher untersucht und bejaht. Aus dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Auf die nähere Begründung des genannten Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

6. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass auch das Ausüben einer "geringfügigen Erwerbstätigkeit" in den Grenzen des § 12 Abs. 6 AlVG, wenn diese Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt, Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG ausschließt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am