VwGH vom 09.11.2011, 2011/16/0103

VwGH vom 09.11.2011, 2011/16/0103

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des G W in W, vertreten durch Dr. Thomas König, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ertlgasse 4/11, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. FSRV/0069-W/10, betreffend Aufhebung eines Einleitungsbescheides i.A. Finanzstrafverfahren nach § 83 Abs. 1 FinStrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Prokurist der Firma G I Handelsgesellschaft mbH. Mit Bescheid vom leitete das Finanzamt Wien 6/7/15 als Finanzstrafbehörde erster Instanz gegen den Beschwerdeführer ein Finanzstrafverfahren wegen des Verdachtes ein, dieser habe im Amtsbereich der Finanzstrafbehörde erster Instanz als Machthaber der Firma G I Handelsgesellschaft mbH vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von selbst zu berechnenden Abgaben, nämlich von Umsatzsteuer für die Monate Februar bis Juli 2006 in Höhe von EUR 68.596,71 bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten und hiemit ein Vergehen nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG begangen. Aus dem Prüfungsbericht vom - so die Begründung der Finanzstrafbehörde erster Instanz - ergebe sich, dass Umsatzsteuer hinterzogen worden sei, indem aus Rechnungen der Firma A-D GesmbH zu Unrecht Vorsteuern in Abzug gebracht worden seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an die belangte Behörde, in der er sich gegen die Unterstellung der objektiven und subjektiven Tatseite wandte. Die G I Handelsgesellschaft mbH habe gegen die Abgabenbescheide Berufung erhoben, über die bislang nicht entschieden worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Beschwerde gegen den Einleitungsbescheid statt und hob diesen auf. Begründend führte sie nach Darstellung des Verfahrensganges und Zitierung des § 161 Abs. 1 FinStrG aus, im verwaltungsbehördlichen Rechtsmittelverfahren sei nicht nur die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Zeitpunkt ihres Ergehens zu prüfen, sondern vielmehr eine eigenständige Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtsmittelerledigung zu treffen. Auch im Rechtsmittelverfahren über einen Einleitungsbescheid sei die Rechtsmittelbehörde verpflichtet, bei Erlassung der Beschwerdeentscheidung auf die während des Rechtsmittelverfahrens festgestellten Tatsachen Bedacht zu nehmen. Maßgeblich sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtsmittelerledigung. Die Rechtsmittelbehörde könne zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen selbst Ermittlungen anstellen und habe eine eigenständige Beurteilung nur der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Zur Prüfung des begründeten Tatverdachtes seien am eine Einvernahme des Beschwerdeführers durchgeführt und dessen Angaben zu den vom Prüfer im Abgabenverfahren zusammengetragenen Unterlagen, den Rechnungskopien sowie den näheren Begleitumständen zur Geschäftsaufnahme hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Einkäufe aufgenommen worden.

Nach weiterer Zitierung des Ergebnisses der Einvernahme legte die belangte Behörde ihre Erwägungen zu einem begründeten Tatverdacht dar, die in der Schlussfolgerung mündeten, ihrer Ansicht nach sei aus der gegebenen Konstellation keine Wissentlichkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich der durch den zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerabzug bewirkten Umsatzsteuerverkürzung ableitbar. Bedingter Vorsatz (es ernstlich für möglich gehalten zu haben, dass aus der Geschäftsbeziehung kein Vorsteuerabzug zustehe) wäre lediglich als Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG verfolgbar gewesen, jedoch sei nach § 31 Abs. 2 FinStrG ein diesbezügliches Vergehen im Zeitpunkt der Erlassung des Einleitungsbescheides bereits verfolgungsverjährt gewesen.

Der Einleitungsbescheid sei mangels ausreichenden Tatverdachtes in subjektiver Hinsicht demnach spruchgemäß aufzuheben gewesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde formuliert der Beschwerdeführer folgende "Beschwerdepunkte":

"a) Durch die angefochtene Beschwerdeentscheidung wird der Beschwerdeführer in seinem subjektiven öffentlichen Recht auf Berücksichtigung der sachlichen Grenzen des durch den Einleitungsbescheid des Finanzamtes Wien 6/7/15 vom … bestimmten Strafvorwurfes (auf Beachtung des dadurch vorgegebenen Verfahrensgegenstandes) verletzt:

Indem die belangte Behörde Feststellungen dahingehend getroffen hat, wonach dem Beschwerdeführer bedingter Vorsatz vorzuwerfen sei, sodass er eine Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit a Finanzstrafgesetz begangen hätte, hat diese die ihr durch den Einleitungsbescheid gezogene Grenze des Entscheidungsgegenstandes und damit ihre Kognitionsbefugnis im Rahmen des Berufungsverfahrens überschritten.

b) Darüber hinaus wird der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid auch in seinem subjektiven Recht darauf verletzt, dass der unabhängige Finanzsenat in seiner Beschwerdeentscheidung keine unzulässige Rechtsansicht ausspricht, die als solche in anderen Verfahren Tatbestandswirkung entfaltet:

Indem die belangte Behörde im Rahmen des Beschwerdeentscheidung Feststellungen dahingehend getroffen hat, wonach der Beschwerdeführer bei seiner langjährigen Erfahrung in dieser Branche die gegenständliche Geschäftsaufnahme als riskant ansehen und weitere Prüfungsmaßnahmen zur Bonität seines Geschäftspartners hätte setzen müssen, sodass er eine Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit a Finanzstrafgesetz begangen habe, deren Verfolgung lediglich deshalb unterblieben sei, weil ein diesbezügliches Vergehen im Zeitpunkt der Erlassung des Einleitungsbescheides nach § 31 Abs. 2 Finanzstrafgesetz bereits verfolgungsverjährt gewesen sei, vertritt sie eine Rechtsansicht, die im Zusammenhang mit dem gegen den Beschwerdeführer ausschließlich wegen Verletzung des § 33 Abs. 2 lit a FinStrG eingeleiteten Finanzstrafverfahren unzulässig ist.

c) Schließlich verletzt die angefochtene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem subjektiven öffentlichen Recht auf vollständige Erledigung der von ihm gestellten Berufungsanträge. Der seitens des Beschwerdeführers im Rahmen der Berufung gestellte Antrag auf Anerkennung der von der Firma G I GmbH angemeldeten Vorsteuer aus den Rechnungen der Firma A GmbH in der Höhe von EUR 68.596,71 ist im Rahmen der gegenständlichen Berufungsentscheidung unerledigt geblieben."

Er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde hat unter Abstandnahme von der Vorlage von Verwaltungsakten eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet unter Zuerkennung von Aufwandersatz beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die vorliegende Beschwerde sieht die inhaltliche Rechtswidrigkeit im Wesentlichen darin, die belangte Behörde wäre verbunden gewesen, auf Basis der bereits aufgenommenen Beweise im Rahmen des angefochtenen Bescheides festzustellen, dass der Beschwerdeführer alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hätte, um im konkreten Fall die Bonität seines Geschäftspartners zu überprüfen. Hätte die belangte Behörde die gewünschten Feststellungen getroffen, wäre sie geradezu zwangsläufig auch in rechtlicher Hinsicht zu einem anderslautenden Ergebnis, nämlich einer im Zusammenhang mit dem erfolgten Vorsteuerabzug in jeder Hinsicht gesetzeskonformen Handlungsweise des Beschwerdeführers gelangt. Die belangte Behörde überschreite die ihr zukommende Entscheidungsbefugnis, weil sie auch der Frage nachgehe, ob dem Beschwerdeführer nicht eventuell eine Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG anzulasten sei. Schließlich sei ihr aber auch anzulasten, dass sie dem Beschwerdeführer im Rahmen der angefochtenen Beschwerdeentscheidung Fahrlässigkeit attestiere, wodurch sich im nachfolgenden Verfahren vor den Unterbehörden ein entsprechender Nachteil des Beschwerdeführers ergeben könne. Tatsächlich sei dem Beschwerdeführer weder Wissentlichkeit noch (leichte) Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit einer Abgabenverkürzung vorzuwerfen. Selbst wenn die beanstandeten Ausführungen der belangten Behörde nicht in den Spruch des angefochtenen Bescheides, sondern lediglich in dessen Begründung Eingang gefunden hätten, sei dennoch von der Bekämpfbarkeit dieses Bescheides auszugehen. Der angefochtene Bescheid wirke sich auf das nach wie vor anhängige Steuerverfahren betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer für den hier in Rede stehenden Zeitraum Februar bis Juli 2006 aus. Die Rechtstellung des Beschwerdeführers sei damit aber eine verschiedene, je nachdem, ob der angefochtene Bescheid aufrecht bleibe oder aber aufgehoben werde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/14/0185 = Slg. 7.971/F, vom , Zl. 2009/16/0048, und vom , Zl. 2009/16/0132) kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Bescheides dem Beschwerdepunkt nach § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, weil der Verwaltungsgerichtshof nicht zu prüfen hat, ob irgendein subjektives Recht des Beschwerdeführers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung er behauptet. Durch den Beschwerdepunkt wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides gebunden ist (vgl. dazu Steiner in Holoubek/Lang , Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, 61 ff).

Wird der Beschwerdepunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Beschwerde nicht zugänglich (vgl. etwa das zitierte Erkenntnis vom sowie und Dolp , Die Verwaltungsgerichtsbarkeit2, 245).

Gemäß § 161 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde zweiter Instanz, sofern das Rechtsmittel nicht gemäß § 156 zurückzuweisen ist, grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung der Rechtsmittelentscheidung ihre Anschauung an die Stelle jener der Finanzstrafbehörde erster Instanz zu setzen und das angefochtene Erkenntnis (den Bescheid) abzuändern oder aufzuheben, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären oder das Rechtsmittel als unbegründet abzuweisen.

Nach § 161 Abs. 4 FinStrG kann die Finanzstrafbehörde zweiter Instanz auch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses (Bescheides) unter Zurückverweisung der Sache an die Finanzstrafbehörde erster Instanz verfügen, wenn sie umfangreiche Ergänzungen des Untersuchungsverfahrens für erforderlich hält; die Finanzstrafbehörde erster Instanz ist im weiteren Verfahren an die im Aufhebungsbescheid niedergelegte Rechtsanschauung gebunden.

Die Rechtsmittelentscheidung hat nach § 162 Abs. 1 lit. d FinStrG den Spruch zu enthalten.

§ 162 Abs. 2 FinStrG lautet:

"Der Spruch der Rechtsmittelentscheidung hat die Entscheidung in der Sache und die Entscheidung über die Kosten oder die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses (Bescheides) unter Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz oder die Aufhebung der Entscheidung wegen Unzuständigkeit der Finanzstrafbehörde erster Instanz zu enthalten. ..."

Laut dem Spruch des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerde gegen den Einleitungsbescheid der Finanzstrafbehörde erster Instanz stattgegeben und dieser aufgehoben. Wie der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist, traf die belangte Behörde damit gemäß § 161 Abs. 1 FinStrG eine Entscheidung in der Sache selbst, womit die Aufhebung des bekämpften Einleitungsbescheides eine ersatzlose darstellt und damit - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch keine weitere Bindungswirkung nach § 161 Abs. 4 FinStrG für die Finanzstrafbehörde erster Instanz entfaltet (vgl. das hg. Erkenntnis vom ).

Rechtlich verfehlt ist ebenso die Ansicht des Beschwerdeführers, dass die Erwägungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid "in anderen Verfahren Tatbestandswirkung" entfalten könnten, bedürfte doch eine Tatbestandswirkung einer Anordnung durch den Gesetzgeber, die im vorliegenden Fall jedoch nicht vorliegt.

Ebenso verfehlt ist der Vorwurf der Beschwerde, die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid die sachlichen Grenzen des durch den Einleitungsbescheid bestimmten Strafvorwurfes verletzt, wenn sie in Ansehung des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Sachverhaltes zur eigenständigen Überzeugung gelangte, dass dem Beschwerdeführer nicht Wissentlichkeit, sondern Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Denn die belangte Behörde ist hiebei von demselben Sachverhalt wie die Unterinstanz ausgegangen, subsumierte diesen jedoch im Rahmen ihrer Kognitionsbefugnis einem anderen Tatbestand (vgl. etwa die in Fellner , Kommentar zum Finanzstrafgesetz, unter Rz. 4 zu § 161 wiedergegebene Rechtsprechung).

Soweit die vorliegende Beschwerde letztlich geltend macht, die belangte Behörde habe den im Rahmen der Berufung erhobenen Antrag auf Anerkennung der von der Firma G I Handelsgesellschaft mbH angemeldeten Vorsteuer in Höhe von EUR 68.596,71 unerledigt gelassen, ist dem entgegenzuhalten, dass Gegenstand der vorliegenden Bescheidbeschwerde nicht die allfällige Säumnis der belangten Behörde in der Erledigung von - überdies nicht den Gegenstand des Finanzstrafverfahrens bildenden - Anträgen darstellt.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455; die Abweisung des Mehrbegehrens an Aufwand für Aktenvorlage folgt daraus, dass die belangte Behörde, wie bereits eingangs dargestellt, von der Vorlage der Verwaltungsakten Abstand genommen hat.

Wien, am