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VwGH vom 16.02.2017, Ro 2014/05/0027

VwGH vom 16.02.2017, Ro 2014/05/0027

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der Stadtgemeinde M gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-1800/002-2013, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: K R in M, vertreten durch Mag. Stefan Traxler, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Spitalmühlgasse 16/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Das Land Niederösterreich hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom an den Bürgermeister der revisionswerbenden Stadtgemeinde erhob der Mitbeteiligte Einwendungen gegen ein näher bezeichnetes Bauvorhaben und ersuchte um Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass er unmittelbarer Nachbar des nunmehrigen Bauwerbers sei und daher dem Bauverfahren beizuziehen gewesen wäre. Der Mitbeteiligte sei nie von dem in Rede stehenden Bauverfahren verständigt worden und habe erstmals am auf Grund der beginnenden Baggerarbeiten am Grundstück des Bauwerbers davon Kenntnis erlangt. Allenfalls sei eine Benachrichtigung über eine Hinterlegung bei der Nachbarin I. R., die den gleichen Nachnamen wie der Mitbeteiligte führe, erfolgt, zumal es regelmäßig so sei, dass der Mitbeteiligte Post für I. R. erhalte und umgekehrt. Der Mitbeteiligte sei daher an der rechtzeitigen Erhebung von Einwendungen gehindert gewesen, weshalb er gemäß § 22 Abs. 3 NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: BO) den Antrag stelle, seine nachstehend näher ausgeführten Einwendungen zuzulassen. Eine Berufung gegen eine Baubewilligung sei ihm nicht möglich, da ihm eine solche nicht zugestellt worden sei.

2 Mit Schreiben vom teilte der Bürgermeister der revisionswerbenden Stadtgemeinde dem Mitbeteiligten mit, dass er mit Schreiben vom aufgefordert worden sei, eventuelle Einwendungen zum gegenständlichen Bauvorhaben vorzubringen. Die Zustellung sei am erfolgt. Das Schriftstück sei am zuständigen Postamt hinterlegt worden. Die Nachbarverständigung sei an den Hauptwohnsitz des Mitbeteiligten erfolgt.

3 In seiner dazu erstatteten Stellungnahme vom bestritt der Mitbeteiligte im Wesentlichen, dass ihm das betreffende Schriftstück zugestellt worden sei.

4 Mit Bescheid des Bürgermeisters der revisionswerbenden Stadtgemeinde vom wurde einem Wiedereinsetzungsantrag des Mitbeteiligten vom nicht stattgegeben und als Rechtsgrundlage § 71 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) genannt.

5 Mit Bescheid des Stadtrates der revisionswerbenden Stadtgemeinde vom (im Folgenden: Berufungsbehörde) wurde die dagegen erhobene Berufung des Mitbeteiligten als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass dem Antrag des Mitbeteiligten, lautend auf Wiedereinsetzung in das Verfahren, nicht stattgegeben werde. Als Rechtsgrundlagen wurden § 66 Abs. 4 und § 71 AVG genannt.

6 Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung (im Folgenden: Vorstellungsbehörde) vom wurde der dagegen erhobenen Vorstellung des Mitbeteiligten Folge gegeben, der Bescheid der Berufungsbehörde vom behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde zurückverwiesen. In den die Aufhebung tragenden Gründen führte die Vorstellungsbehörde aus, der Mitbeteiligte habe einen "Antrag" nach § 22 Abs. 3 BO dahingehend gestellt, seine Einwendungen gegen ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück zuzulassen. Die Baubehörden hätten dieses Schreiben des Mitbeteiligten vom aber in einen Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 71 Abs. 1 AVG umgedeutet und diesem nicht stattgegeben. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei ein Rechtsbehelf, der einer Partei des Verfahrens unter anderem gegen die Versäumung einer Frist unter bestimmten Voraussetzungen offenstehe. Im gegenständlichen Fall habe für den Mitbeteiligten eine Berufungsfrist mangels Zustellung des Bewilligungsbescheides nicht zu laufen begonnen und er sei auch nicht Partei des Verfahrens, an ihn sei kein Bewilligungsbescheid ergangen und er habe auch nicht dagegen Berufung erhoben. Die erstinstanzliche Behörde habe daher über einen Wiedereinsetzungsantrag entschieden, der vom Mitbeteiligten nicht habe gestellt werden können und auch nicht gestellt worden sei, und sei insofern unzuständig gewesen. Diese Unzuständigkeit habe die Berufungsbehörde nicht aufgegriffen. Durch diese Unzuständigkeit sei aber der Mitbeteiligte in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, und der Bescheid der Berufungsbehörde sei rechtswidrig.

7 In der Folge hat die Berufungsbehörde den Zusteller K. B. über die näheren Umstände betreffend die Zustellung des Schreibens vom zeugenschaftlich einvernommen und das Ergebnis dieser Befragung dem Mitbeteiligten zur Kenntnis gebracht, der dazu Stellung genommen hat.

8 Mit Bescheid der Berufungsbehörde vom wurde die Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bürgermeisters der revisionswerbenden Stadtgemeinde vom neuerlich als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass Einwendungen bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des näher bezeichneten Baubewilligungsbescheides nicht erhoben worden seien. Die Berufungsbehörde stellte mit näherer Begründung fest, dass die baubehördliche Nachbarverständigung dem Mitbeteiligten am durch Hinterlegung zugestellt worden sei. Der Mitbeteiligte habe erst nach Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides und somit nicht rechtzeitig im Sinn des § 22 Abs. 3 BO Einwendungen erhoben, weshalb diese nicht zu berücksichtigen gewesen seien.

9 Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der dagegen erhobenen Vorstellung des Mitbeteiligten Folge gegeben, der Bescheid der Berufungsbehörde vom behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde zurückverwiesen. Begründend verwies die Vorstellungsbehörde zunächst auf ihren Bescheid vom , aus welchem folge, dass die Berufungsbehörde auf Grund der Berufung des Mitbeteiligten den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos hätte beheben müssen und die Baubehörde erster Instanz danach auf Grund erforderlicher Erhebungen hätte feststellen müssen, ob der Mitbeteiligte nachweislich verständigt worden sei und daher nach Rechtskraft keine Einwendungen mehr habe erheben können. Sollte der Mitbeteiligte nicht nachweislich verständigt worden sein, wäre er eine übergangene Partei und könne jederzeit Berufung erheben oder einen Antrag auf Zustellung des Bewilligungsbescheides stellen. Nach weiterer Darstellung des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften führte die Vorstellungsbehörde aus, dass der Mitbeteiligte gar nicht die Versäumung der in § 22 Abs. 3 BO vorgesehenen Frist von zwei Wochen, sondern die Nichtzustellung der Verständigung nach § 22 Abs. 2 BO behauptet habe. Wenn der Mitbeteiligte meine, übergangen worden zu sein, müsse er entweder einen Zustellantrag stellen oder sogleich Berufung erheben. Die Berufungsbehörde hätte auf Grund der Berufung des Mitbeteiligten die erstinstanzliche Entscheidung ersatzlos zu beheben gehabt. Die Berufungsbehörde habe neuerlich als unzuständige Behörde entschieden, und diese Unzuständigkeit sei wieder von der Vorstellungsbehörde wahrzunehmen gewesen.

10 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

11 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG an die Stelle der Vorstellungsbehörde getretene Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Der Mitbeteiligte beantragte in einer Gegenschrift, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Der angefochtene Bescheid wurde der revisionswerbenden Stadtgemeinde am zugestellt. Für die Behandlung der gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) dagegen erhobenen Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß mit einer - im vorliegenden Zusammenhang nicht relevanten - Maßgabe.

13 Die revisionswerbende Stadtgemeinde bringt nach Ausführungen zur Zustellung der Nachbarverständigung an den Mitbeteiligten im Wesentlichen vor, die Forderung der Vorstellungsbehörde, die Berufungsbehörde habe den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben, scheine vor dem Hintergrund, dass die Berufungsbehörde in der Sache selbst zu entscheiden habe, nicht umsetzbar. Der gegenständliche Fall biete keinen Anlass dafür, auf die Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückzugreifen. Zwar könne eine Sachentscheidung der Berufungsbehörde auch in einer bloßen Kassation des angefochtenen Bescheides bestehen. Eine bloße Kassation käme jedoch nicht in Betracht, wenn dem erstinstanzlichen Bescheid ein Parteiantrag zugrunde liege. Die von der Vorstellungsbehörde festgestellte Unzuständigkeit der Erstbehörde sei in der Entscheidung der Berufungsbehörde vom "aufgegriffen und rechtsgültig geheilt" worden.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

14 Wird der Bescheid der obersten Gemeindebehörde durch die Aufsichtsbehörde aufgehoben, so sind die Gemeinde, aber auch die anderen Parteien des Verfahrens, an die die Aufhebung tragenden Gründe des in Rechtskraft erwachsenen Vorstellungsbescheides gebunden, gleichbleibende Sach- und Rechtslage vorausgesetzt. Diese Bindung erstreckt sich auch auf die Aufsichtsbehörde und den Verwaltungsgerichtshof, wobei selbst eine unrichtige Rechtsansicht für das weitere Verfahren bindend ist (sofern eben nicht eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes oder der Rechtslage erfolgt). Nur den tragenden Aufhebungsgründen kommt eine solche Bindungswirkung zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/06/0090, mwN).

15 Tragender Aufhebungsgrund des ersten Vorstellungsbescheides vom - wie auch des nunmehr angefochtenen Bescheides - war, dass die erstinstanzliche Behörde über einen vom Mitbeteiligten nicht gestellten Wiedereinsetzungsantrag und somit als unzuständige Behörde entschieden hat. Diese von der Vorstellungsbehörde vertretene Rechtsauffassung hat zur Folge, dass der erstinstanzliche Bescheid vom von der Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos zu beheben ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 102).

16 Weil die revisionswerbende Stadtgemeinde jenen aufsichtsbehördlichen Bescheid vom , der erstmals diese Bindungswirkung ausgelöst hat, unbekämpft gelassen hat, ist (mangels zwischenzeitiger Änderung der Sach- und Rechtslage) nunmehr auch der Verwaltungsgerichtshof an die Rechtsauffassung der Vorstellungsbehörde gebunden. Diese Rechtsauffassung kann daher von der revisionswerbenden Stadtgemeinde im nunmehrigen Revisionsverfahren nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden. Der Vorstellungsbehörde kann somit nicht entgegengetreten werden, wenn sie den Bescheid der Berufungsbehörde vom in Bindung an die tragenden Gründe ihrer ersten Vorstellungsentscheidung neuerlich behoben hat.

17 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

18 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der gemäß § 3 Z 1 und § 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014, weiterhin anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

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Schlagworte:
Bindung an die Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde Ersatzbescheid

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