VwGH 21.09.2007, 2007/05/0169
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | AVG §38; BauRallg; |
RS 1 | Nach stRsp des VwGH handelt es sich bei einer Vorfrage um eine Frage, zu deren Beantwortung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Beschlussfassung berücksichtigt werden muss. Eine Vorfrage ist somit ein vorweg, nämlich im Zuge der Sachverhaltsermittlung zu klärendes rechtliches Element des zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde oder eines Gerichtes fallenden Frage gefällt werden kann. Es muss sich demnach um eine Frage handeln, die den Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde oder ein Gericht bildet. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 97/19/0066 E RS 2
(hier nur erster Satz) |
Normen | |
RS 2 | Die anhängige Kündigung von Mietern hindert die Vollstreckung eines Instandsetzungsauftrages (und ebenso eines Auftrages zur Befundvorlage) im Wege der Ersatzvornahme nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 1623/72). Ein baupolizeilicher Abtragungsauftrag ist auch dann durch Ersatzvornahme vollstreckbar, wenn das Gebäude noch von Personen benützt wird und mit Fahrnissen ausgestattet ist, und zwar ohne dass es einer vorgängigen, durch gesonderte Vollstreckungsverfügung angeordneten zwangsweisen Räumung bedürfte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 750/70). Dies gilt umso mehr für bloße Instandsetzungsmaßnahmen bzw. Befundvorlagen. Daher stellt die beim Bezirksgericht anhängige Frage der Kündigung eines Mieters auch keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG für die Ersatzvornahme dar. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde 1. des Ernst Wiltschko, 2. der Sabine Lang und
3. der Gabriele Klomm, alle in Wien, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 9, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 64 - 2187/2007, betreffend Unterbrechung eines Verfahrens gemäß § 38 AVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom , Zl. MA 25-EV/12/429/2006, mit welchem der Antrag auf Unterbrechung des Ersatzvornahmeverfahrens hinsichtlich den Beschwerdeführern aufgetragener Instandsetzungsmaßnahmen und Vorlagen von Befunden (betreffend Art und Umfang von Baugebrechen) bis zur rechtskräftigen Entscheidung im beim Bezirksgericht Meidling zur Zahl: 10 C 691/05p anhängigen Kündigungsprozess mangels Vorliegens einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG abgewiesen wurde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführer führen im Wesentlichen aus, dass sie Eigentümer des Objekts R.-gasse 3 seien, welches sich zur Gänze in einem schlechten Erhaltungszustand befinde. Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 25, habe mit Schreiben vom die Ersatzvornahme (hinsichtlich der Maßnahmen Instandsetzung der Flachdachkonstruktion, von Stufenkanten, eines Holzfußbodens und eines Abfallstranges sowie Befundvorlagen über vermutete Baugebrechen betreffend die Tragfähigkeit von Dippelbäumen und die Durchfeuchtung des Erdgeschoßmauerwerks) angedroht. Aus Sicht der Beschwerdeführer hätte ihrem Antrag auf Unterbrechung des Ersatzvornahmeverfahrens gemäß § 38 AVG stattgegeben werden müssen, da die Entscheidung des Bezirksgerichts Meidling über die Kündigung der letzten im verfahrensgegenständlichen Objekt verbliebenen Mieterin gemäß § 30 Abs 2 Z 14 MRG für die Ersatzvornahme präjudiziell sei. Die von der Behörde aufgetragene Sanierung sei weder sinnvoll noch sachlich gerechtfertigt, da es einerseits bereits einen Teilabbruchbescheid gebe und andererseits nach Kündigung der letzten Mieterin - welche der Gegenstand des beim Bezirksgericht Meidling anhängigen Kündigungsverfahrens ist - das Objekt sowieso abgerissen werde. Der Anordnung einer kostspieligen Ersatzvornahme stehe das Sachlichkeitsgebot entgegen. Darüber hinaus rügen die Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde gelindere Maßnahmen hätte auftragen müssen.
§ 38 AVG lautet:
"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."
Bei einer Vorfrage handelt es sich um eine Frage, für deren Lösung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Schlussfassung berücksichtigt werden muss (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 505, unter E 1 zu § 38 AVG zitierte hg. Rechtsprechung).
Die anhängige Kündigung von Mietern hindert die Vollstreckung eines Instandsetzungsauftrages (und ebenso eines Auftrages zur Befundvorlage) im Wege der Ersatzvornahme nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 1623/72). Ein baupolizeilicher Abtragungsauftrag ist auch dann durch Ersatzvornahme vollstreckbar, wenn das Gebäude noch von Personen benützt wird und mit Fahrnissen ausgestattet ist, und zwar ohne dass es einer vorgängigen, durch gesonderte Vollstreckungsverfügung angeordneten zwangsweisen Räumung bedürfte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 750/70). Dies gilt umso mehr für bloße Instandsetzungsmaßnahmen bzw. Befundvorlagen. Daher stellt die beim Bezirksgericht Meidling anhängige Frage der Kündigung einer Mieterin auch keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG für die gegenständliche Ersatzvornahme dar. Die Abweisung des Antrags auf Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 38 AVG durch die belangte Behörde war somit nicht rechtswidrig.
Die Beschwerdeführer bezweifeln im Übrigen die Sinnhaftigkeit, Sachlichkeit sowie die Angemessenheit des baupolizeilichen Auftrags. Diese Fragen sind aber nicht Gegenstand des im Vollstreckungsverfahren ergangenen angefochtenen Bescheids und somit nicht relevant.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von den Beschwerdeführern behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Die Beschwerdeführer haben die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn (im Wesentlichen) die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.
Wie Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention2, S. 195, mit Bezugnahme auf die Judikatur der Europäischen Kommission für Menschenrechte ausführen, kann sich ein Vollstreckungsschuldner grundsätzlich nicht auf Art. 6 MRK berufen, da über seine zivilrechtlichen Ansprüche bzw. Verpflichtungen bereits im vorangegangenen Titelverfahren entschieden wurde (vgl. die Entscheidung vom , Nr. 11918/86, u.a.).
Art. 6 EMRK steht somit aber der Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung auch in einem Fall wie dem vorliegenden nicht entgegen. Abgesehen davon ist Gegenstand des Verfahrens lediglich die Rechtsfrage der Präjudizialität einer Kündigung für die Zulässigkeit einer Ersatzvornahme.
Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht BauRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2007:2007050169.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAE-89937