VwGH vom 08.09.2010, 2009/08/0129

VwGH vom 08.09.2010, 2009/08/0129

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des E A in K, vertreten durch Dr. Josef Cudlin, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Gartenaugasse 1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. GS5-A-948/088-2008, betreffend Rückerstattung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen (mitbeteiligte Partei: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom beantragte der in Strafhaft befindliche Beschwerdeführer die Rückerstattung der auf Grund seiner in der Justizanstalt Stein im Rahmen des Strafvollzuges ausgeübten Tätigkeiten geleisteten Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Er sei ausländischer Staatsbürger und erhalte "Abschub". Deswegen komme er nie in den Genuss, in Österreich Arbeitslosengeld zu beziehen.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Laut fremdenpolizeilichem Büro der Bundespolizeidirektion Wien gebe es bereits einen "Abschubbescheid". Er werde daher in Österreich nie in den Genuss einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung kommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei ägyptischer Staatsbürger und befinde sich seit in Strafhaft. Er werde im Rahmen der in § 44 StVG normierten Arbeitspflicht beschäftigt; hiefür würden Arbeitslosenversicherungsbeiträge abgezogen. Der Beschwerdeführer sei gemäß § 66a AlVG in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung seien schon aus diesem Grund nicht als zu Ungebühr entrichtet anzusehen. Für die Pflichtversicherung in der Sozialversicherung, so auch in der Arbeitslosenversicherung, sei es ohne Belang, ob der einzelne Versicherte der Versicherung bedürfe. Auch dann, wenn eine bestimmte Person infolge besonderer Umstände voraussichtlich keine Leistung aus der Versicherung erwarten könne, bestehe für diese Person bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen dennoch Versicherungspflicht. Die Rückzahlung von Beiträgen für den Fall, dass kein Leistungsanspruch entstehe, sei nicht vorgesehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer stehe nach seiner Haftentlassung nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, weil er sich nicht berechtigt im Bundesgebiet aufhalte, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben. Er habe daher auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die belangte Behörde habe überdies in Verkennung der Rechtslage keine Feststellungen dazu getroffen, ob gegen den Beschwerdeführer bereits ein Abschiebungsverfahren anhängig und damit der Tatbestand des § 34 Fremdengesetz 1997 erfüllt sei. Sollte eine Pflichtversicherung oder eine Beitragspflicht angenommen werden, obgleich der Beschwerdeführer nie Arbeitslosengeld beziehen könne, liege eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vor: Nur jene Personen könnten in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert bzw. beitragspflichtig sein, die zumindest hypothetisch dem versicherten Risiko Arbeitslosigkeit ausgesetzt seien und daher zumindest potentiell Anspruch auf Leistungen aus dem AlVG hätten.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, ebenso wie die mitbeteiligte Kasse eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 44 Abs. 1 StVG ist jeder arbeitsfähige Strafgefangene verpflichtet, Arbeit zu leisten.

§ 66a AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 lautet auszugsweise:

"(1) Personen, die sich auf Grund eines gerichtlichen Urteils in Strafhaft oder in einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach den §§ 21 Abs. 2, 22 und 23 des Strafgesetzbuches befinden und ihrer Arbeitspflicht gemäß § 44 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, in der jeweils geltenden Fassung nachkommen, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert.

(2) Die Versicherungspflicht beginnt mit dem Tag, an dem der Strafgefangene oder Untergebrachte seiner Arbeitspflicht nachkommt, und endet mit dem Tag, an dem er seiner Arbeitspflicht letztmalig nachkommt. Die Arbeitspflicht gilt insbesondere auch dann als erfüllt, wenn der Strafgefangene oder Untergebrachte wegen des Besuches eines Lehrganges zur Berufsausbildung oder - fortbildung oder wegen Krankheit nicht gearbeitet hat.

...

(8) Die Versicherungspflicht gemäß Abs. 2 besteht nicht, soweit die Strafgefangenen oder Untergebrachten als Dienstnehmer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Versicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 ausgenommen wären. In diesem Fall ist § 14 Abs. 4 lit. f mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Zeiten einer krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit die Zeiten der Erfüllung der Arbeitspflicht treten, anzuwenden."

Gemäß § 2 Abs. 1 Arbeitsmarktpolitikfinanzierungsgesetz (AMPFG) wird zur Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik des Bundes ein Arbeitslosenversicherungsbeitrag von allen Personen, die der Arbeitslosenversicherungspflicht nach den Bestimmungen der §§ 1 und 3 AlVG unterliegen, und deren Dienstgebern eingehoben.

Gemäß der auf Grund von § 5 Abs. 1 AMPFG auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung anwendbaren Bestimmung des § 69 Abs. 1 ASVG können zu Ungebühr entrichtete Beiträge zurückgefordert werden.

2. Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer seiner Arbeitspflicht als Strafgefangener nachgekommen und er demnach gemäß § 66a AlVG arbeitslosenversichert gewesen ist (eine Ausnahme von der Versicherungspflicht im Sinne des § 66a Abs. 8 AlVG lag nicht vor), wurden die Beiträge nicht zu Ungebühr entrichtet, sodass kein Anspruch auf Rückforderung gemäß § 69 Abs. 1 ASVG besteht.

3. Die Beschwerde wendet ein, es liege insoweit eine Verletzung des Gleichheitssatzes vor: Nur jene Personen könnten in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig sein, die zumindest hypothetisch dem versicherten Risiko Arbeitslosigkeit ausgesetzt seien und daher zumindest potentiell Anspruch auf Leistungen aus dem AlVG hätten. Dies sei aber beim Beschwerdeführer nicht der Fall, weil er nicht vermittlungsfähig sei.

4. § 7 AlVG lautet auszugsweise:

(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer


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1.
der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
2.
die Anwartschaft erfüllt und
3.
die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf eine Person,

1. die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält,

2. die sich berechtigt im Bundesgebiet aufhält, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben, und

3. die nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75, unter Berücksichtigung des § 34 Abs. 4 FrG erfüllt."

5. An sich zutreffend rügt die Beschwerde, dass sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er werde nach Beendigung der Strafhaft abgeschoben werden (laut Vorbringen im Einspruch: es gebe bereits einen "Abschubbescheid"), nicht auseinander gesetzt hat. Dass - worauf sich die belangte Behörde unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0032, bezieht - der Beschwerdeführer arbeitsfähig ist, ist im hier zu beurteilenden Fall nicht strittig. Ein relevanter Verfahrensmangel liegt insoweit aber nicht vor, da selbst bei Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers (Vorliegen eines - rechtskräftigen - Ausweisungsbescheides) der angefochtene Bescheid nicht rechtswidrig ist.

6. Zunächst ist anzumerken, dass die Gleichheitswidrigkeit genereller Normen auch von Fremden geltend gemacht werden kann (vgl. Mayer, B-VG4 Art. 2 StGG I). Dem Gesetzgeber ist es aber nicht verwehrt, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen. Er darf von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen; dass dabei Härtefälle entstehen können, macht eine Regelung dann nicht gleichheitswidrig, wenn es sich um einen atypischen, nur ausnahmsweise auftretenden, Fall handelt (vgl. Mayer, aaO IV.2 mwN).

7. Die Arbeitslosenversicherung ist - ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht in Selbstverwaltung besorgt wird - ein Zweig der Sozialversicherung. Grundgedanke jeder Sozialversicherung ist die Zusammenfassung der Angehörigen eines Berufsstandes zu einer Riskengemeinschaft, wobei es Sache des Gesetzgebers ist, im Rahmen seiner rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit innerhalb der Schranken der Verfassung und dabei insbesondere des dem Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebotes die Grenzen für die Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen in eine Sozialversicherungspflicht zu ziehen. Innerhalb der jeweiligen Riskengemeinschaft steht der Versorgungsgedanke im Vordergrund, wohingegen der Versicherungsgedanke in der Ausprägung der Vertragsversicherung zurückgedrängt ist. Es gilt daher in der Sozialversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung, sodass auch in Kauf genommen werden muss, dass es in manchen Fällen trotz Leistung von Pflichtbeiträgen zu keiner Versicherungsleistung kommt. Der Gesetzgeber ist daher durch den Gleichheitssatz nicht gehalten, Personen, bei denen das versicherte Risiko nicht oder in ganz seltenen Fällen zum Tragen kommen kann, von einer solchen Versicherung auszunehmen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 14.842, mwN).

Dass gerade ehemalige Häftlinge von dem - nunmehr versicherten - Risiko der Arbeitslosigkeit häufig betroffen sind, war maßgebliches Motiv des Gesetzgebers für die Einführung der Bestimmung des § 66a AlVG (vgl. Pfeil, AlVG3 § 66a I).

Es ist zwar wenig wahrscheinlich, dass ein Fremder, der nicht Angehöriger eines Vertragsstaats des EWR ist, nach Verbüßung der Strafhaft Anspruch auf Arbeitslosengeld haben wird (§ 7 Abs. 3 Z 2 AlVG: berechtigter Aufenthalt im Bundesgebiet, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben; vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/08/0211, mwN). Gänzlich ausgeschlossen ist dies aber - anders als bei einem gesetzlichen Ausschluss eines Anspruches auf Arbeitslosengeld trotz Arbeitslosenversicherung (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 16.203) - nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hegt daher keine Bedenken dagegen, dass auch ausländische Strafgefangene, die nicht Staatsangehörige eines EWR-Staates sind, sowie auch solche, bei denen damit zu rechnen ist, dass ihnen nach Verbüßung der Strafhaft die Abschiebung droht, aufgrund der im Sozialversicherungsrecht vorherrschenden Prinzipien der Einkommens- und der Risikosolidarität (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 111/09) während ihrer Arbeitsleistung in der Strafhaft arbeitslosenversichert und daher beitragspflichtig sind.

8. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am