VwGH 28.03.2012, 2009/08/0128
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Zwar trifft Versicherte, die einen Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage nach § 76 Abs. 2 ASVG stellen, gemäß § 2 Abs. 2 RBGKV die Vorbringenslast hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. in diesem Sinn auch die Erläuternden Bemerkungen zur 23. ASVG-Novelle, 1059 BlgNR 11. GP, 20 (zu § 76 ASVG), wonach es insofern zu einer Überwälzung der Beweislast auf die Versicherten kommt). Das ändert jedoch nichts daran, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von der Behörde festzustellen sind; werden Nachweise für vom gesetzlichen Regelfall des § 76 Abs. 1 ASVG abweichende wirtschaftliche Verhältnisse - also Einkünfte unterhalb der dort vorgesehenen Beitragsgrundlage (im Jahr 2008: EUR 147,28 pro Kalendertag) - nicht erbracht, so hat es bei der Annahme zu bleiben, dass dieser Regelfall vorliegt. |
Normen | ASVG §76 Abs3; Richtlinien Herabsetzung Beitragsgrundlage Selbstversicherung 2005 §3; |
RS 2 | Wie der VwGH im E , 96/08/0214, ausgeführt hat, sehen die Richtlinien Herabsetzung Beitragsgrundlage nur eine Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen Dritter auf Grund von Unterhaltsansprüchen vor. Dies ergibt ein Induktionsschluss aus § 76 Abs. 3 ASVG (arg.: "... auch Unterhaltsverpflichtungen von Ehegatten ..."). Freiwillige Unterhaltsleistungen Dritter (die ohne Bestehen eines Rechtsanspruches erbracht werden) sind von den Richtlinien daher nicht erfasst. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2004/08/0028 E RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und den Hofrat Dr. Strohmayer sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der E W in S, vertreten durch Dr. Manfred Korn, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Sterneckstraße 37, gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Salzburg vom , Zl. 20305-V/14.559/6-2009, betreffend Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:
Salzburger Gebietskrankenkasse in 5020 Salzburg, Engelbert-Weiß-Weg 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1964 geborene Beschwerdeführerin ist gemäß § 16 Abs. 1 ASVG in der Krankenversicherung selbstversichert. Mit Eingabe vom beantragte sie gemäß § 76 Abs. 2 ASVG die Herabsetzung der Beitragsgrundlage. Dabei gab sie an, dass sie ihren Lebensunterhalt aus "Gelegenheitsjobs" bestreite. Bei einer persönlichen Vorsprache am legte sie einen Lohnzettel für den Zeitraum 9. bis vor, wonach sie brutto EUR 635,04 bezogen habe, und erklärte, über keine weiteren Einkommensnachweise zu verfügen. Nachdem ihr von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse mitgeteilt worden war, dass ihr monatlicher Beitrag mit EUR 83,40 festgesetzt werde, beantragte sie mit Schreiben vom die Herabsetzung der Beitragsgrundlage "auf den von mir in den letzten Jahren bezahlten Betrag", da sich an ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nichts geändert habe. Die Erhöhung des Beitrages auf fast das Doppelte könne sie sich nicht erklären, ebenso wenig die Berechnung für Personen, die ihren Lebensunterhalt von Unterhaltsleistungen anderer Personen bestritten, obwohl sie eindeutig nicht zu dieser Gruppe zähle. Mit Gelegenheitsjobs könne sie sich "gerade so über Wasser halten", und wenn es eng werde, bekomme sie Zuwendungen in Form von Lebensmitteln oder "Artikeln des täglichen Lebens". Sie beziehe jedoch keinerlei regelmäßige Unterhaltsleistungen von anderen Personen in Form von Bargeld.
Mit Bescheid vom sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse gemäß § 76 Abs. 1 und 2 ASVG iVm § 4 Abs. 4 der Richtlinien über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge aus, dass die monatliche Beitragsgrundlage für die Selbstversicherung der Beschwerdeführerin in der Krankenversicherung nach § 16 Abs. 1 ASVG EUR 1.104,60 betrage, woraus sich ein zu leistender Beitrag in der Höhe von monatlich EUR 83,40 ergebe.
In der Begründung führte sie nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, dass dem Ersuchen auf erneute Herabsetzung der Beitragsgrundlage bis zur gesetzlichen Mindestbeitragsgrundlage gemäß § 76 Abs. 1 Z 2 ASVG nicht entsprochen werden könne. Es möge zwar der Realität entsprechen, dass die Beschwerdeführerin ihren Lebensunterhalt vorwiegend durch Gelegenheitsjobs bestreite, allerdings müsse angenommen werden, dass sie darüber hinaus regelmäßige Zuwendungen mit Unterhaltscharakter erhalte. Konkret werde davon ausgegangen, dass sie von ihrer Mutter - wenn auch ohne gesetzliche Verpflichtung - regelmäßige Unterhaltsleistungen erhalte.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch und bestritt, dass sie regelmäßige Unterhaltsleistungen erhalte. In ihrer Stellungnahme zum Vorlagebericht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse präzisierte sie, dass sie lediglich Zuwendungen in Form von Lebensmitteln und Gütern des täglichen Gebrauchs erhalte.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
Begründend führte sie nach der Wiedergabe der wesentlichen Inhalte des Erstbescheides und des Einspruchs aus, dass den Aussagen der Beschwerdeführerin, sie beziehe lediglich ein Bruttojahreseinkommen von EUR 635,04, nicht gefolgt werden könne. Eine exakte Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin sei mangels entsprechender Mitwirkung durch diese weder möglich noch zumutbar. Von einer vollständigen Offenlegung der im Jahr 2007 erzielten Einkünfte könne nicht ausgegangen werden, dies vor allem auch deshalb, weil detaillierte Angaben über Art und Umfang der ins Treffen geführten Sachbezüge gänzlich fehlten. Die Existenz der wie auch immer gearteten Sachbezüge könne der Entscheidung somit nicht zugrunde gelegt werden. Vom Fehlen sonstiger Einkünfte - neben dem Jahresbezug von EUR 635,04 - könne bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgegangen werden. Würde man dem Vorbringen der Beschwerdeführerin aber Glauben schenken, so bestünde ein (jedoch nicht realisierter) Anspruch auf Sozialhilfe.
Die Beschwerdeführerin habe trotz bestehender Mitwirkungspflicht keine bzw. bestenfalls bedingt geeignete Nachweise zur objektiven und abschließenden Darstellung oder zumindest Glaubhaftmachung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse während des Jahres 2007 beigebracht oder wenigstens angeboten. Mit Ausnahme des Betrages von EUR 635,04 ließen ihre Angaben jegliche Präzisierung vermissen. Es lägen daher bereits die Grundlagen für eine (neuerliche) Herabsetzung der Beitragsgrundlage nicht vor.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Nach § 16 Abs. 1 ASVG können sich Personen, die nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, solange ihr Wohnsitz im Inland gelegen ist, in der Krankenversicherung selbst versichern.
Für Selbstversicherte nach § 16 Abs. 1 ASVG sind nach § 76 Abs. 2 ASVG unbeschadet Abs. 3 u.a. auf Antrag des Versicherten die Beiträge von einer niedrigeren als der im Abs. 1 Z 1 genannten Beitragsgrundlage zu bemessen, sofern dies nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Versicherten gerechtfertigt erscheint. Ausgenommen von der Möglichkeit zur Herabsetzung der Beitragsgrundlage sind nach § 76 Abs. 2 zweiter Satz ASVG u. a. Selbstversicherte, die Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs gegenüber einem Träger der Sozialhilfe haben. Gemäß § 76 Abs. 3 ASVG sind bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach Abs. 2 auch Unterhaltsverpflichtungen von Ehegatten, auch geschiedenen Ehegatten, gegenüber dem Versicherten zu berücksichtigen.
Die - eine Rechtsverordnung darstellenden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0028) - Richtlinien des Hauptverbandes über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge gemäß § 31 Abs. 5 Z 9 ASVG in der hier maßgebenden Fassung der Wiederverlautbarung 2005 (im Folgenden: RBGKV) lauten auszugsweise:
"Anwendungsbereich
§ 1. (1) Diese Richtlinien sind anzuwenden, wenn eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung beantragt wird.
...
Antrag
§ 2. (1) Zur Antragstellung ist grundsätzlich das vom Hauptverband festgelegte bundeseinheitliche Formular zu verwenden ( § 31 Abs. 4 Z 6 ASVG).
(2) Jeder Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage ist zu begründen. Die geltend gemachten Umstände sind zum Zeitpunkt der Antragstellung durch entsprechende Nachweise zu belegen. Werden die Nachweise für die Herabsetzung der Beitragsgrundlage nicht binnen einer vom Versicherungsträger festgesetzten Frist (im Regelfall mindestens 14 Tage) nach Antragstellung beigebracht, gilt die allfällige Herabsetzung erst mit dem Monatsersten, der auf die Beibringung der Nachweise folgt.
(3) Der Krankenversicherungsträger hat unter Berücksichtigung der Angaben im Antrag und der vorgelegten Nachweise zu entscheiden, ob und wie weit dem Antrag stattzugeben ist.
Wirtschaftliche Verhältnisse
§ 3. (1) Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers sind
sein Einkommen nach Abs. 2 und
Unterhaltsansprüche nach Abs. 4 und 5
zu berücksichtigen.
(2) Das Einkommen ist der Gesamtbetrag aller Einkünfte nach Ausgleich mit Verlusten. Einkünfte sind insbesondere:
1. Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit (z. B. in der gewerblichen Wirtschaft, in der Land- und Forstwirtschaft, in einem freien Beruf, aufgrund eines Werkvertrages);
Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit;
Einkünfte aus Vermietung, Verpachtung oder aus Kapitalvermögen (Zinsen, Dividenden oder andere Erlöse);
4. sonstige Einkünfte (z.B. Pensionszahlungen, Leibrenten, Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften, Gnadenpensionen); hiezu zählen nicht die im § 292 Abs. 4 lit. a, b, d, g und i ASVG angeführten Bezüge.
...
(4) Unterhaltsansprüche gegenüber Ehegatten bzw. gegenüber geschiedenen Ehegatten sind nach Maßgabe des § 76 Abs. 3 und 5 ASVG zu berücksichtigen.
(5) Für die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei Ehegatten sowie geschiedenen Ehegatten ist, wenn das Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen nachgewiesen wurde und wenn beide Ehegatten bzw. geschiedenen Ehegatten Einkünfte beziehen, das eigene Einkommen des Unterhaltsberechtigten zuzüglich des gesetzlich zustehenden Anspruchs auf Unterhalt heranzuziehen. Bezieht der Unterhaltsberechtigte keine eigenen Einkünfte, ist der gesetzlich zustehende Anspruch auf Unterhalt maßgeblich.
Beitragsgrundlage
§ 4. (1) Als Beitragsgrundlage ist jener Betrag festzusetzen, der dem durchschnittlich auf den Monat entfallenden Teil des Jahreseinkommens des Antragstellers entspricht.
...
(4) Für Personen, die ihren Lebensunterhalt von Unterhaltsleistungen anderer Personen bestreiten - ausgenommen Personen, die im § 76 Abs. 5 ASVG angeführt sind sowie geschiedene Ehegatten - darf die Beitragsgrundlage nicht niedriger sein als 25 % des 30-fachen der Beitragsgrundlage nach § 76 Abs. 1 Z 1 ASVG.
..."
Die belangte Behörde hält einerseits fest, eine "exakte Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse" der Beschwerdeführerin sei "weder möglich noch zumutbar", andererseits nimmt sie an, die Beschwerdeführerin habe neben den im Verfahren angegebenen EUR 635,04 noch über weitere Einkünfte verfügt. Im Einklang mit den Feststellungen der Erstbehörde, die im angefochtenen Bescheid in den wesentlichen Punkten wiedergegeben wurden, geht sie - ohne dies näher zu begründen - offenbar davon aus, dass es sich bei diesen weiteren Einkünften um Unterhaltsleistungen (der Mutter der Beschwerdeführerin) handelt.
Damit hat die belangte Behörde die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin im Ergebnis durch die Annahme nur mutmaßlich zustehender Unterhaltsleistungen in unbestimmter Höhe ersetzt. Diese Vorgangsweise entspricht nicht den Vorgaben des § 76 ASVG und der RBGKV: Zwar trifft Versicherte, die einen Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage nach § 76 Abs. 2 ASVG stellen, gemäß § 2 Abs. 2 RBGKV die Vorbringenslast hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. in diesem Sinn auch die Erläuternden Bemerkungen zur 23. ASVG-Novelle, 1059 BlgNR 11. GP, 20 (zu § 76 ASVG), wonach es insofern zu einer Überwälzung der Beweislast auf die Versicherten kommt). Das ändert jedoch nichts daran, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von der Behörde festzustellen sind; werden Nachweise für vom gesetzlichen Regelfall des § 76 Abs. 1 ASVG abweichende wirtschaftliche Verhältnisse - also Einkünfte unterhalb der dort vorgesehenen Beitragsgrundlage (im Jahr 2008: EUR 147,28 pro Kalendertag) - nicht erbracht, so hat es bei der Annahme zu bleiben, dass dieser Regelfall vorliegt.
Was die Unterhaltsleistungen betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen ausgesprochen, dass die RBGKV eine Berücksichtigung von tatsächlich gewährten Unterhaltsleistungen Dritter nur vorsehen, sofern ihnen Rechtsansprüche zugrunde liegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0214). Dies ergibt, wie im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0028, dargelegt wird, ein Induktionsschluss auf § 76 Abs. 3 ASVG (arg.: "... auch Unterhaltsverpflichtungen von Ehegatten ...") Freiweillige Unterhaltsleistungen Dritter (die ohne Bestehen eines Rechtsanspruches erbracht werden) sind von den Richtlinien daher nicht erfasst.
Unterhaltsleistungen an die Beschwerdeführerin hätten daher nur dann berücksichtigt werden und zu einer Anwendung des § 4 Abs. 4 RBGKV führen dürfen, wenn sie auf Grund eines Rechtsanspruchs erbracht worden wären. Auch dazu - etwa zum Bestehen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs der Beschwerdeführerin gegenüber ihrer Mutter - hat die belangte Behörde aber keine Feststellungen getroffen.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2009080128.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAE-89913