VwGH vom 02.08.2016, Ro 2014/05/0017
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des L R in W, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs/Donau, Unterauerstraße 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-1586/002-2013, betreffend Zurückweisung eines Feststellungsantrages in einer baurechtlichen Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: Gemeinde H), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde (im Folgenden: Bürgermeister) vom wurde dem Rechtsvorgänger des Revisionswerbers (im Folgenden: Bauwerber) die baubehördliche Bewilligung für den Neubau eines Wohnhauses, einer Scheune und eines Glashauses auf einem näher bezeichneten Grundstück im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde erteilt.
2 In der Folge stellte der Bauwerber Anträge auf Verlängerung der Frist für die Vollendung des Bauvorhabens gemäß § 103 Abs. 6 NÖ Bauordnung 1976 (im Folgenden: BO 1976).
3 Mit Bescheid des Bürgermeisters vom wurde dem Bauwerber aufgrund seines Ansuchens vom die Frist für die Vollendung des Bauvorhabens gemäß § 24 Abs. 4 (offenbar gemeint: Abs. 5) NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: BauO) bis verlängert. Mit Eingabe vom beantragte (u.a.) der Bauwerber neuerlich die Verlängerung der Bauvollendungsfrist, und zwar bis Ende Mai 2006.
4 Mit Eingabe vom stellte der Revisionswerber als Rechtsnachfolger des Bauwerbers an den Bürgermeister den Antrag, im Hinblick auf den Standpunkt der Baubehörden, dass die mit Bescheid vom erteilte Baubewilligung erloschen sei, obwohl diese seiner Ansicht nach wie vor Rechtsbestand habe, über den Bestand dieser Baubewilligung in einer rechtskraftfähigen Weise zu entscheiden. Hilfsweise werde die Erlassung eines Feststellungsbescheides beantragt.
5 Am hielt der Bürgermeister unter Beiziehung eines Bausachverständigen einen Lokalaugenschein zur baubehördlichen Überprüfung der Übereinstimmung der Ausführung des bewilligten Vorhabens mit der baubehördlichen Bewilligung ab. Der Sachverständige nahm einen Befund auf und hielt (u.a.) fest, dass sich auf dem Baugrundstück ein Rohbau mit Dach und Fenstern befinde, wobei der Ausbau der einzelnen Geschosse unterschiedlich weit erfolgt sei, und dass der Fertigstellungsgrad des Wohnhauses ca. 60 % betrage. Mit der Errichtung der bewilligten Scheune und des Glashauses sei noch nicht begonnen worden. Da die zuletzt mit Bescheid vom verlängerte Frist für die Vollendung des Bauvorhabens am geendet habe, könne diese nicht mehr verlängert werden.
6 Mit Schreiben vom nahm der Revisionswerber zu den Ergebnissen des Lokalaugenscheines Stellung und brachte (u.a.) vor, dass zwar nur das Wohnhaus errichtet worden sei, dieses jedoch nach außen abgeschlossen sei und alle konstruktiven Merkmale verwirklicht worden seien, sodass bezüglich des Wohnhauses von keinem Erlöschen der Baubewilligung gesprochen werden könne. Auch sei die Teilbarkeit der Baubewilligung nicht ausgeschlossen. Das rechtliche Interesse an der Erlassung eines Feststellungsbescheides sei gegeben. Er stelle daher den Antrag, der Bürgermeister möge mit Bescheid zur Kenntnis nehmen, dass der Bau des Wohngebäudes vollendet sei und sohin die Baubewilligung vom hinsichtlich des Wohnhauses weiterhin Rechtsbestand habe.
7 Mit Schriftsatz vom stellte der Revisionswerber an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde (im Folgenden: Gemeindevorstand) einen Devolutionsantrag und das Begehren, der Gemeindevorstand möge anstelle des Bürgermeisters feststellen, dass der Bau des Wohngebäudes vollendet sei, sohin die Baubewilligung vom hinsichtlich des Wohnhauses weiterhin Rechtsbestand habe sowie infolge Baufertigstellung (Bauvollendung) nicht erloschen sei, und es möge die Baufertigstellungsanzeige zur Kenntnis genommen werden.
8 Mit Schriftsatz vom stellte der Revisionswerber schließlich an den Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde (im Folgenden: Gemeinderat) einen Devolutionsantrag und den Antrag, der Gemeinderat möge anstelle des Gemeindevorstandes feststellen, dass der Bau des Wohngebäudes vollendet sei, sohin die Baubewilligung vom hinsichtlich des Wohnhauses weiterhin Rechtsbestand habe und infolge Baufertigstellung (Bauvollendung) nicht erloschen sei.
9 Mit dem aufgrund des Beschlusses des Gemeinderates vom erlassenen Bescheid vom wurde (unter Spruchpunkt I) dem Devolutionsantrag des Revisionswerbers vom stattgegeben und (unter Spruchpunkt II) der mit dieser Eingabe gestellte Feststellungsantrag als unzulässig zurückgewiesen.
10 In Bezug auf Spruchpunkt II dieses Bescheides führte der Gemeinderat (u.a.) aus, dass der Bürgermeister als Baubehörde "per einen Bescheid betreffend Gebäude" auf der genannten Liegenschaft gegenüber dem Revisionswerber erlassen habe. Ein Feststellungsbescheid sei in der BauO nicht vorgesehen, und die Erlassung eines solchen Bescheides liege nicht im öffentlichen Interesse. Dieser stelle auch kein notwendiges Mittel des Revisionswerbers zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dar und sei als subsidiärer Rechtsbehelf nicht zulässig, weil die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgezeichneten Verwaltungsverfahrens, nämlich im Verwaltungsverfahren aufgrund des genannten Bescheides des Bürgermeisters, entschieden werden könne.
11 Mit diesem an den Revisionswerber gerichteten Bescheid vom hatte der Bürgermeister gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 BauO den Abbruch der auf der genannten Liegenschaft befindlichen Bauwerke angeordnet, wobei der Bescheid dem Revisionswerber mittels Telefax am und im Postweg am zugestellt wurde.
12 Die vom Revisionswerber gegen den oben genannten Bescheid vom erhobene Vorstellung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.
13 Dazu führte die Niederösterreichische Landesregierung (im Folgenden: Landesregierung) im Wesentlichen aus, ein Feststellungsbescheid sei ein subsidiärer Rechtsbehelf, der jedenfalls dann unzulässig sei, wenn die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahrens entschieden werden könne. Dies sei hier der Fall, weil die Frage, ob für das gegenständliche Objekt eine Baubewilligung erteilt worden sei und diese noch Gültigkeit habe, im Rahmen eines baupolizeilichen Auftragsverfahrens geklärt werden könne. Die "Berufungsbehörde" habe daher zu Recht "die diesbezüglichen Einwendungen" des Revisionswerbers "abgewiesen".
14 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision. 15 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG in sinngemäßer
Anwendung an die Stelle der Landesregierung getretene Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
16 Der Gemeinderat brachte das Schreiben vom ein, mit dem er erklärte, dass die Vorgangsweise der Gemeinde rechtens sei und sie weiterhin ihre bisherige Rechtsansicht verträten.
II.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 Vorauszuschicken ist, dass gemäß § 4 Abs. 1 und 5 fünfter Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG, BGBl. I Nr. 33/2013, idF BGBl. I Nr. 122/2013 für die Behandlung der vorliegenden Revision die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß gelten.
19 Die Revision bringt (u.a.) vor, dass das Feststellungsinteresse des Revisionswerbers bejaht werden müsse und es durch den Bescheid des Bürgermeisters vom nicht weggefallen sei, weil der Revisionswerber keinen Rechtsanspruch auf Durchführung des Verfahrens zur Erlassung eines Abbruchbescheides habe. Würde man den Wegfall des Feststellungsinteresses bejahen, billigte man den Gemeindebehörden eine Verlängerung der Entscheidungsfristen zu, was Art. 132 B-VG, § 73 AVG und Art. 6 EMRK widerspräche, zumal dieses "Ping-Pong" zum Nachteil des Revisionswerbers diesen mit vermeidbaren Kosten belaste. Immerhin seien die Gemeindebehörden seit der Antragstellung vom (offenbar gemeint: ) etwa drei Jahre untätig geblieben. Auch aus dieser zeitlichen Komponente leite sich ein begründetes Feststellungsinteresse und damit Rechtsschutzinteresse des Revisionswerbers ab.
20 Ferner sei die Frage, ob eine Frist gemäß § 24 Abs. 1 BauO abgelaufen sei, im Verfahren zur Erlassung eines Abbruchbescheides bloß als Vorfrage zu beurteilen, womit das Verfahren nach § 35 Abs. 2 Z 3 BauO gegenüber dem Feststellungsverfahren subsidiär sei, weil die Lösung der strittigen Frage über das Erlöschen der Baubewilligung vorausgesetzt werde. Der Baubewilligungsbescheid vom habe hinsichtlich des Wohngebäudes weiterhin Rechtsbestand und sei nicht erloschen. Die Bewilligung sei zum Zeitpunkt ihrer Erlassung nicht in Widerspruch zu einem gültigen Flächenwidmungsplan gestanden, und der Bauwerber habe dieses Wohngebäude nicht als unerlaubten Bau im Grünland errichtet, sodass das (wenn auch nicht fertiggestellte) Wohngebäude im Sinne des § 24 BauO bzw. des § 13 (offenbar gemeint: § 103) BO 1976 bauvollendet worden sei. Es fehle an einer nachvollziehbaren Begründung, dass der über den Rohbau hinaus bauvollendete, aber noch nicht fertiggestellte Wohnbau konsenslos sei. Dass das Wohnhaus noch nicht fertiggestellt und nicht benützbar sei, habe auf den Bestand der Baubewilligung keinen Einfluss.
21 Dieses Vorbringen führt die Revision zum Erfolg. 22 Gesetzlich ist ein Feststellungsbescheid über die Frage
des Erlöschens einer Baubewilligung nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach ständiger hg. Judikatur (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/07/0171, mwN) ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides, wenn er im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist, dann zulässig, wenn dessen Erlassung im öffentlichen Interesse oder insofern im Interesse der Partei liegt, als dies für die Partei ein notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung darstellt. Ein rechtliches Interesse einer Partei an einer bescheidmäßigen Feststellung ist also dann gegeben, wenn der Feststellungsbescheid für die Partei ein geeignetes Mittel zur Beseitigung aktueller oder zukünftiger Rechtsgefährdung ist. Der Feststellung muss somit in concreto die Eignung zukommen, ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft klarzustellen und dadurch die Gefährdung eines subjektiven Rechtes des Antragstellers zu beseitigen.
23 Generell handelt es sich jedoch bei einem Feststellungsbescheid um einen subsidiären Rechtsbehelf, der unzulässig ist, wenn die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen vorgesehenen gesetzlichen Verwaltungsverfahrens entschieden werden kann (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/07/0177, mwN).
24 In der (u.a.) zu § 74 Abs. 1 Bauordnung für Wien - diese Bestimmung weist einen ähnlichen Regelungsinhalt wie § 103 Abs. 1 BO 1976 (bzw. § 24 Abs. 1 BauO) auf - ergangenen hg. Judikatur (vgl. etwa den Beschluss vom , Zl. 2002/05/1354, und das Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0259, mwN) wurde (unter Bezugnahme auf das zur Kärntner Bauordnung, LGBl. Nr. 48/1969, ergangene Erkenntnis vom , Zl. 88/05/0181) ausgeführt, dass im Falle eines Streites darüber, ob Baumaßnahmen gesetzt wurden, die als Ausnutzung der Baubewilligung anzusehen sind, ein Feststellungsinteresse des Bauwerbers gegeben sei und dieser nicht darauf verwiesen werden könne, dass er (erst) im Falle einer von der Behörde verfügten Baueinstellung, weil die Behörde die Bauführung wegen Ablaufes der Baubeginnsfrist als konsenslos ansieht, seinen Standpunkt in diesem Verfahren dartun könne, weil dies mit einem beträchtlichen wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand für den Bauwerber verbunden wäre.
25 In Anbetracht der in rechtlicher Hinsicht gleich gelagerten Konstellation ist diese Judikatur auf den vorliegenden Revisionsfall übertragbar. Entgegen der von der Landesregierung vertretenen Ansicht ist dem Revisionswerber daher ein rechtliches Interesse an der Feststellung zuzubilligen, ob die im Jahr 1983 erteilte Baubewilligung noch aufrecht bzw. noch nicht erloschen ist.
26 Die im angefochtenen Bescheid bestätigte Argumentation des Gemeinderates, dass die hier strittige Frage des Bestandes der Baubewilligung im Rahmen des oben genannten baupolizeilichen Auftragsverfahrens, nämlich "aufgrund des Bescheides des Bürgermeisters" (gemeint: der oben genannte Bescheid vom ), geklärt werden könne, führt bereits deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil der Bescheid vom in dem für die vorliegende Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gemeinderates über den Bescheid vom gegenüber dem Revisionswerber noch nicht erlassen war.
27 Da somit dem Revisionswerber, wie dargelegt, ein Feststellungsinteresse im oben genannten Sinn zuzubilligen war und die Landesregierung daher die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
28 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z 1 der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014 iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am