VwGH vom 16.02.2017, Ro 2014/05/0012
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der A in B, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in 3180 Lilienfeld, Babenbergerstraße 33/1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-1829/002-2013, betreffend Einwendungen im Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. F H in L, vertreten durch Hofbauer & Nokaj Rechtsanwalts GmbH in 3250 Wieselburg, Bartensteingasse 8; 2. Marktgemeinde G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Die erstmitbeteiligte Partei beantragte auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück in L. im November 2012 die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Neubau eines Gebäudes für einen Schiverleih und einen Gastronomiebetrieb. Der Gemeindevorstand erteilte diesem Bauvorhaben mit Bescheid vom im gemeindebehördlichen Instanzenzug die baubehördliche Bewilligung.
2 Mit Bauansuchen vom (eingelangt bei der mitbeteiligten Marktgemeinde am ) beantragte die erstmitbeteiligte Partei die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Zubau eines Kellerraumes zum bestehenden Gebäude, die Errichtung einer Außenstiege und die Vornahme von Geländeveränderungen um den Kellerraum. Den Einreichunterlagen sowie der Baubeschreibung ist zu entnehmen, dass im Nordosten des Grundstückes anschließend an das Erdgeschoß des bestehenden Gebäudes ein Kellerraum mit einer Fläche von ca. 31 m2 errichtet werden soll. Dieser soll nach Nordwesten bis Südosten eingeschüttet, an das bestehende Gebäude angebaut und über einen Zugang von außen erschlossen werden. Im Nordwesten soll an der Grundstücksgrenze zum Grundstück der erstmitbeteiligten Partei eine Außenstiege errichtet werden.
3 Mit Schreiben des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom wurde die erstmitbeteiligte Partei zur allfälligen mündlichen Verhandlung am geladen (sofern Einwendungen erhoben würden). Unter Punkt 2. dieses Schreibens wurden die Nachbarn (unter anderem die revisionswerbende Partei als Miteigentümerin eines dem Baugrundstück unmittelbar benachbarten Grundstückes) gemäß § 22 NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: BO) von dem Bauansuchen verständigt, aufgefordert, binnen 14 Tagen ab Zustellung der Verständigung allenfalls Einwendungen gegen das Vorhaben bei der Baubehörde einzubringen, und darauf hingewiesen, dass die Parteistellung erlischt, wenn keine Einwendungen erhoben würden. Für den Fall der Erhebung von Einwendungen gelte diese Verständigung als Ladung zur Bauverhandlung.
4 Mit Schriftsatz vom wendete sich die revisionswerbende Partei gegen das Vorhaben. Darin wurde insbesondere geltend gemacht, dass die Stiege direkt an ihrer Grundstücksgrenze geplant sei. Daraus würden "nachbarrechtliche Beeinträchtigungen", die die Bewohnung ihres angrenzenden Anwesens beträfen bzw. unzumutbar machten, entstehen, darüber hinaus seien durch diese Stiegenanlage, die ursprünglich mit einem Abstand von zumindest 1,5 m von der Grundgrenze geplant gewesen sei, Schäden zu befürchten. Die erstmitbeteiligte Partei könne den Keller gegebenenfalls auch an einer anderen Stelle planen. Es sei offensichtlich eine Terrassenerweiterung in unmittelbarer Nachbarschaft vorgesehen. Die Terrassen sollten offensichtlich verbunden werden und es ergebe sich die Möglichkeit, darauf zu gehen, wodurch ein direkter Einblick auf ihr Grundstück ermöglicht würde. Der Keller sollte eine Minimaldistanz von zumindest 7 m zur Grundgrenze haben, insbesondere dann, wenn die Wände mit Fenstern ausgestattet seien. Wenn die erstmitbeteiligte Partei im Erdgeschoß Geschäfte bzw. Lagerräume beabsichtige, sei ein Keller problematisch. Die maximale Hauslänge sei mit 15 m beschränkt. Es werde daher das Bauprojekt beeinsprucht. Der Ist-Zustand sei offensichtlich schon länger als 15 m. Der Keller sei offensichtlich geplant, um die schon aufgestellte Mauer bestehen lassen zu können und einer Genehmigung zuzuführen. Es liege daher kein Keller im eigentlichen Sinn vor, sondern ein Raum, der nicht unterkellert sei bzw. über der Erde liege. Die mutmaßlich geplante Terrasse auf dem Dach des sogenannten Kellers stelle neben einem Sicherheitsproblem eine unzumutbare Beeinträchtigung der Anrainerinteressen dar. Auf die Bestimmungen betreffend den Bauwich (§§ 50 ff BO) werde verwiesen.
5 Das schriftlich erhobene Vorbringen wurde von der revisionswerbenden Partei in der mündlichen Verhandlung am wiederholt.
6 Der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde erteilte dem angeführten Projekt mit Bescheid vom unter Vorschreibung von Auflagen die baubehördliche Bewilligung. Zum Vorbringen der revisionswerbenden Partei wurde ausgeführt, dass durch das geplante Bauvorhaben subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer nicht berührt würden. Die Einwendungen der revisionswerbenden Partei würden auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
7 Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Marktgemeinde wies die dagegen erhobene Berufung der revisionswerbenden Partei mit Bescheid vom als unbegründet ab. Nach Ansicht der Berufungsbehörde beeinträchtige das Bauvorhaben die revisionswerbende Partei in keinen subjektiv-öffentlichen Rechten (im Hinblick auf die Gebäudehöhe des geplanten Kellerraumes und den vorgesehenen Abstand von 3,13 m zur Grundgrenze zum Grundstück der revisionswerbenden Partei) bzw. berühre das Bauvorhaben sie im Übrigen nicht in solchen Rechten. Von einem Kellerraum gingen keine Immissionen aus.
8 Die Niederösterreichische Landesregierung (im Folgenden: Vorstellungsbehörde) wies die dagegen erhobene Vorstellung der revisionswerbenden Partei mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Sie führte im Wesentlichen aus, dadurch, dass es sich bei einem Baubewilligungsverfahren um ein Projektgenehmigungsverfahren handle, gehe der Hinweis der revisionswerbenden Partei ins Leere, auf dem Dach des Kellers sei eine Terrasse geplant, da ein derartiges Bauvorhaben weder vom Bewilligungsantrag noch von den Einreichunterlagen umfasst sei. Die Übereinstimmung des Bauvorhabens sei anhand des konkreten Projektes zu prüfen. Auf Umstände, die in den dem konkreten Projekt zugrundeliegenden Unterlagen keine Deckung fänden, könne eine Versagung nicht gestützt werden. Vor diesem Hintergrund könne daher der erstmitbeteiligten Partei nicht unterstellt werden, sie würde offensichtlich in erheblicher Abweichung vom Einreichplan einen neuen "Hinterraum" schaffen, den sie als Keller bezeichne. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass ein weiterer zusätzlicher Raum im Erdgeschoß geschaffen würde und damit die Länge des Gebäudes 15 m überschritte, würden dadurch keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte verletzt.
9 Dem Nachbar komme auch im Hinblick auf die Einhaltung der Bebauungsweise, der Abstandsvorschriften und der Gebäudehöhe nur insoweit ein Mitspracherecht zu, soweit diese Bestimmungen gemäß § 6 Abs. 2 Z 3 BO der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster der Gebäude diene. Abgesehen davon, dass es sich bei einem Keller um kein Gebäude im Sinne des § 4 Z 7 BO handle, habe die revisionswerbende Partei eine Beeinträchtigung ihrer Belichtungsverhältnisse gar nicht behauptet. Bei einem im Einreichplan dargestellten Geländer könne eine Beeinträchtigung der Belichtungsverhältnisse nicht ernsthaft releviert werden. Die erstmitbeteiligte Partei könne nicht entsprechend den Wünschen der revisionswerbenden Partei dazu verhalten werden, den Keller an einer anderen Stelle zu situieren oder auch die Stiegenanlage entsprechend ihren ursprünglichen Absichten in einem Abstand von 1,5 m zu errichten, zumal es sich um ein Projektgenehmigungsverfahren handle. Durch Bauarbeiten bewirkte Schäden an den Fundamenten der Einfriedung und an bestehenden Pflanzen beträfen nicht die Frage der Bewilligungsfähigkeit des Bauvorhabens, sondern lediglich die Frage der Bauausführung. Dies gelte auch für die Verhinderung von Schäden an Nachbargebäuden, die in diesem Zusammenhang auftreten könnten, jedoch von der revisionswerbenden Partei gar nicht behauptet worden seien. Die Bauausführung sei nicht Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens.
10 Es könnten die Auswirkungen von Abstellanlagen im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß nicht geltend gemacht werden. Sie seien daher hinzunehmen. Ein diesbezüglicher Immissionsschutzanspruch bestehe nicht. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Errichtung von Abstellanlagen nicht Gegenstand des vorliegenden Baubewilligungsverfahrens sei. Inwiefern mit einem Keller sowie einer Stiegenanlage der Immissionsschutz im Sinne des § 48 BO beeinträchtigt sein solle, könne die Vorstellungsbehörde - in Übereinstimmung mit den Baubehörden - nicht nachvollziehen.
11 In der dagegen erhobenen Revision wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
12 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG in das Verfahren eintretende Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erstattete - wie die mitbeteiligten Parteien - eine Revisionsbeantwortung und beantragte, die Revision kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Der angefochtene Bescheid wurde der revisionswerbenden Partei am zugestellt. Für die Behandlung der gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) dagegen erhobenen Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG in der zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß mit einer - im vorliegenden Zusammenhang nicht relevanten - Maßgabe.
14 Die revisionswerbende Partei war als Miteigentümerin eines unmittelbar angrenzenden Grundstückes Nachbarin im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 3 BO, die durch das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben im Sinn des § 6 Abs. 1 letzter Satz BO in den in § 6 Abs. 2 BO erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sein konnte. Indem die revisionswerbende Partei im erstinstanzlichen Verfahren gemäß § 22 Abs. 2 BO rechtzeitig auf die Bestimmungen des Bauwiches (§§ 50 ff BO) verwies und eine bestimmte "Minimaldistanz" des geplanten Kellers zu ihrer Grundgrenze forderte, wurde in tauglicher Weise eine Einwendung betreffend die Einhaltung abstandsrechtlicher Bestimmungen geltend gemacht (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2005/05/0345, und vom , Zl. 2009/05/0278). Es kam der revisionswerbenden Partei daher im Baubewilligungsverfahren Parteistellung zu.
15 Die revisionswerbende Partei bringt unter anderem vor, dass die Vorstellungsbehörde ihrer Vorstellung gegen die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung durch den Gemeindevorstand Folge gegeben, diesen Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde zurückverwiesen habe. Dazu wurde auf den der Revision angeschlossen Bescheid der Vorstellungsbehörde vom verwiesen, mit welchem einer Vorstellung der revisionswerbenden Partei Folge gegeben, der Baubewilligungsbescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Marktgemeinde vom betreffend den Neubau des Gebäudes (Schiverleih und Gastronomiebetrieb) behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde zurückverwiesen wurde. Dieser Fall sei bis dato nicht entschieden und stehe in einem inneren Zusammenhang zu dem hier geltend gemachten Vorbringen.
16 Das zur Bewilligung eingereichte Bauvorhaben der erstmitbeteiligten Partei wurde von den Baubehörden und der Vorstellungsbehörde in Bezug auf den Kellerraum zutreffend als Zubau im Sinn des § 14 Z 1 BO qualifiziert. Ein Zubau ist nämlich jede Vergrößerung eines Gebäudes in waag- oder lotrechter Richtung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/05/0071, mwN).
17 Im Fall einer Bewilligung für einen Zubau nach § 14 Z 1 BO ist es erforderlich, dass für den Altbestand, an welchen zugebaut werden soll, ein rechtskräftiger Baukonsens vorhanden ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/05/0130, mwN). Diese Voraussetzung ist im Revisionsfall dadurch weggefallen, dass die Vorstellungsbehörde mit Bescheid vom die Stammbewilligung für das Gebäude, an welches zugebaut werden soll, aufgehoben hat. Der aufhebenden Entscheidung einer Vorstellungsbehörde kommt Wirkung ex tunc zu (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/05/0145, mwN).
18 Auf Grund der Aufhebung der Stammbewilligung lag daher im Zeitpunkt der Bewilligung des gegenständlichen Bauvorhabens mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Marktgemeinde vom kein rechtskräftiger Baukonsens, auf dessen Grundlage der im Revisionsfall gegenständliche Zubau hätte bewilligt werden können, vor. Indem die Vorstellungsbehörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
19 Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wodurch es sich erübrigte, näher auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen.
20 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der gemäß § 3 Z 1 und § 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014, weiterhin anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil in den in der Verordnung vorgesehenen Pauschalbeträgen Umsatzsteuer mit enthalten ist.
Wien, am
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