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VwGH vom 16.12.2014, 2014/19/0101

VwGH vom 16.12.2014, 2014/19/0101

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Feiel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des K A S in S, vertreten durch Mag. Christian Schweinzer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W192 1424149-1/8E, betreffend Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtene Entscheidung wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er machte im Zuge der Antragstellung geltend, seine Halbbrüder, die Taliban seien, hätten ihn zwingen wollen, sich den Taliban anzuschließen. Das habe er aber nicht gewollt. Im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) führte er - unter anderem und hier auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, er habe die Taliban nicht gemocht, weil sie Menschen getötet und Verbrechen begangen hätten. Immer wenn er den Vorschlag seiner Halbbrüder abgelehnt habe, sei er von diesen, aber auch von anderen Taliban, denen es von seinen Halbbrüdern befohlen worden sei, - mitunter auch mit einer Peitsche - geschlagen worden. Er sei auch mehrfach von seinen Halbbrüdern und anderen Taliban zu Taliban-Stützpunkten verschleppt und dort eingesperrt worden. Zum Schein habe er eingewilligt, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, damit er freigelassen werde. Als seine Halbbrüder mitbekommen hätten, dass er überlege "wegzugehen", habe ihm der ältere Halbbruder mitgeteilt, dass es egal sei, wo er hingehe. Sie würden ihn finden und wieder zurückholen.

Das Bundesasylamt wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom (gemeint: 2012) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem wurde der Revisionswerber nach Afghanistan ausgewiesen.

In ihrer Begründung führte die Verwaltungsbehörde aus, der Revisionswerber sei afghanischer Staatsangehöriger, Zugehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischen Glaubens. Seine Identität stehe "nicht verlässlich" fest. Die von ihm angegebenen Gründe für das Verlassen Afghanistans seien unglaubwürdig. Es sei dem Revisionswerber nicht gelungen, ein nachvollziehbares, gehaltvolles und glaubhaftes Fluchtvorbringen darzulegen. Die von ihm ins Treffen geführte Bedrohungssituation könne nicht als gegeben festgestellt werden. Nach näheren Ausführungen zur Beweiswürdigung - insbesondere unter Darlegung, weshalb sich etliche der Angaben als unplausibel und nicht nachvollziehbar darstellten - führte die Behörde resümierend aus, die Erzählung des Revisionswerbers zur "Fluchtgeschichte" sei distanziert, unsubstantiiert und oberflächlich geblieben.

Im Fall der Rückkehr in sein Heimatland verfüge der Revisionswerber über Anknüpfungspunkte. Er habe zuletzt mit seiner Mutter und seinem "kleinen" Bruder im Dorf Spola in Jalalabad gelebt. Da er keine Verfolgung glaubhaft habe machen können, gehe die Behörde davon aus, dass ihm in Afghanistan auch keine Gefahr drohe, welche die Erteilung von subsidiärem Schutz rechtfertige. Es handle sich beim Revisionswerber um einen jungen gesunden Mann, dem zumutbar sei, seine Erfahrungen in der Landwirtschaft in einem landwirtschaftlichen Betrieb auch fern ab seines Heimatdistriktes einzubringen. Kabul wäre im landesweiten Vergleich objektiv betrachtet eine sichere Stadt; es bestehe somit eine zumutbare inländische Fluchtalternative. Es sei "eher" auszuschließen, dass der Revisionswerber von seinen Halbbrüdern in ganz Afghanistan gesucht werde. Dass dem Revisionswerber in Afghanistan die Lebensgrundgrundlage entzogen wäre, habe er zudem gar nicht vorgebracht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof. In dieser Beschwerde wurde ua. die Durchführung einer Verhandlung beantragt. Das Verfahren über die Beschwerde wurde gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 ab vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende geführt.

Das Bundesverwaltungsgericht informierte den Revisionswerber mit Schreiben vom vom Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme. Es wurde dem Revisionswerber zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt sei, Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul zu treffen, die auf in diesem Schreiben genannte Beweismittel gegründet werden sollten. Dazu nahm der Revisionswerber mit Schreiben vom Stellung, in dem er seinerseits (andere) Beweismittel ins Treffen führte und darauf Bezug nehmend vorbrachte, es bestehe für Personen wie ihn keine innerstaatliche Fluchtalternative.

Mit der nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht die vom Revisionswerber eingebrachte Beschwerde betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab und verwies im Übrigen das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei "Angehöriger der muslimischen Religionsgemeinschaft aus der Provinz Nangarhar". Er sei im Oktober 2011 unrechtmäßig in Österreich eingereist. Seine Identität stehe nicht fest. Er verfüge in Österreich über keine familiären oder "sonstigen intensiven" Bindungen. Er sei gesund und arbeitsfähig. In Österreich gehe er keiner Arbeit nach, sondern nehme die Leistungen der Grundversorgung in Anspruch. Er verfüge über Kenntnisse der deutschen Sprache. Im Heimatland habe er keine Schule besucht; er habe in der Landwirtschaft gearbeitet. Er beherrsche die Sprache Paschtu. Die Mutter und der Bruder des Revisionswerbers lebten in Pakistan. Sein Vater sei im Jahr 2008 verstorben.

Es könne - so das Bundesverwaltungsgericht weiter - dahingestellt bleiben, ob die Angaben des Revisionswerbers, wonach seine Halbbrüder auf ihn Druck ausgeübt hätten, sich den Taliban anzuschließen, den Tatsachen entsprächen. Selbst bei "Wahrunterstellung" sei "erkennbar", dass "daraus eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit" des Revisionswerbers "nicht abgeleitet werden" könne. Unabhängig davon stehe dem Revisionswerber eine innerstaatliche Schutz- bzw. Fluchtalternative zur Verfügung.

Im Weiteren legt das Bundesverwaltungsgericht - unter der Überschrift "Beweiswürdigung" - dar, weshalb die Angaben des Revisionswerbers zu den von ihm behaupteten Gründen der Flucht aus seinem Heimatland als unplausibel anzusehen seien und weshalb angesichts der vom Revisionswerber angeführten Zeitpunkte der jeweiligen Ereignisse nicht von einer "maßgeblich wahrscheinlichen Bedrohungssituation" auszugehen sei. Ausgehend davon zieht das Bundesverwaltungsgericht weitere Schlüsse dahin, dass es auch unwahrscheinlich sei, dass seine Halbbrüder gegen ihn "etwaige Verfolgungshandlungen" in Kabul setzen würden.

Es ergebe sich "aus dem Inhalt der Länderfeststellungen der vorliegenden Entscheidung", dass eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe und zumutbarerweise in Anspruch genommen werde könne. Die Sicherheitslage in Kabul sei "als relativ friedlich" anzusehen. Die afghanische Nationalarmee und die Polizei hätten "die Lage in Kabul relativ gut unter Kontrolle". Es sei zu erwarten, dass Angriffe der Taliban in Kabul sich auf "wichtige" Personen fokussieren würden. Diese "scheinen" aber nicht daran interessiert zu sein, "relativ machtlose" Personen zu verletzen. Da der Revisionswerber in seiner Heimatregion schon mehrere Monate vor seiner Ausreise keinen Übergriffen mehr ausgesetzt gewesen und auch nicht als "wichtige Person oder Machtträger" anzusehen sei, bestehe für ihn in Kabul keine Gefahr.

Aus den Feststellungen ergebe sich auch, dass ein Leben in städtischen Gegenden mit entwickelter Infrastruktur und unter effektiver Kontrolle der Regierung - was auf Kabul zutreffe - möglich sei. Auch wenn Rückkehrer ohne soziales oder familiäres Netzwerk auf größere Schwierigkeiten stoßen würden, sei dem Revisionswerber die Meisterung solcher Schwierigkeiten zumutbar. Er sei als junger und gesunder Mann mit Berufserfahrung in der Lage, seinen notdürftigen Lebensunterhalt zumindest durch Gelegenheitsarbeiten auch ohne Unterstützung durch Familienangehörige zu erwirtschaften. Kabul sei für ihn auch angesichts der "festgestellten Anbindung" an den internationalen Flugverkehr auch tatsächlich erreichbar.

Auch der in der Stellungnahme des Revisionswerbers vom angesprochene "Abschnitt der UNHCR-Richtlinien" stehe der Annahme einer innerstaatliche Fluchtalternative nicht entgegen, weil sich die darin angesprochene Verschlechterung der Sicherheitslage nicht auf Kabul beziehe und diese Stadt nicht von "regierungsfeindlichen Elementen" kontrolliert werde.

Weder in den bisherigen Vernehmungen durch das Bundesasylamt noch in der Beschwerde noch in der im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht abgegebenen Stellungnahme habe der Revisionswerber "konkrete Hinderungsgründe für die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul" aufgezeigt. Die von ihm geäußerte Befürchtung, seine beiden Halbbrüder würden ihn überall finden können, gehe "ins Leere", weil die "angeblichen Verfolger" in den letzten Monaten seines Aufenthalts im Heimatland nicht gegen den Revisionswerber vorgegangen seien.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergäben sich aus jenen Länderberichten, die das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber mit Schreiben vom zwecks Einräumung von Parteiengehör übermittelt habe; des Weiteren aus jenen Berichten, die schon dem bekämpften Bescheid zu Grunde gelegt worden seien.

Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht, selbst bei "Wahrunterstellung" hätte der Revisionswerber ausgehend von den "Länderfeststellungen" nicht im gesamten Staatsgebiet Verfolgung zu befürchten. Es sei ihm zumutbar, die in Kabul gegebene innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch zu nehmen und sich dort niederzulassen. Er würde dort auch nicht in eine ausweglose Lage geraten, sodass ihm weder der Status des Asylberechtigten noch des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.

Des Weiteren legte das Bundesverwaltungsgericht noch dar, weshalb nicht festgestellt werden könne, dass die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf Dauer unzulässig sei und sohin auf Grund der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen sei.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt erscheine. Dies ergebe sich schon allein aus dem Umstand, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative, die die Abweisung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides für sich zu tragen vermöge, gegeben sei. Dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei weder in der Beschwerde noch in der Stellungnahme konkret entgegengetreten worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe die zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle allgemeine Situation im Herkunftsstaat den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht. Den Berichten sei nicht entgegen getreten worden. In seiner Stellungnahme vom habe der Revisionswerber lediglich Ausschnitte aus Länderberichten zitiert, denen "weder ein begründeter Ausschluss einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative noch ein zulässiger Hinweis auf eine sonstige Gefährdungslage" des Revisionswerbers zu entnehmen gewesen sei.

Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG sei nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhänge. Es bestehe ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie eine ohnehin klare Rechtslage.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

Der Revisionswerber bringt - mit näherer Begründung und hier auf das Wesentliche zusammengefasst - zur Zulässigkeit der Revision vor, die Möglichkeit zur (gemeint: schriftlichen) Stellungnahme könne nach der bisherigen Rechtsprechung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht ersetzen. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht den Sachverhalt ergänzt. Somit weiche dieses Gericht in der Frage, ob von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden könne, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere von den im Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017, 0018, festgehalten Kriterien ab.

Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

§ 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:

"Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

..."

§ 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) hat folgenden

Wortlaut:

"Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht

§ 21. ...

(7) Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG."

Im gegenständlichen Fall beantragte der Revisionswerber in der Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Das Bundesverwaltungsgericht hatte demnach gemäß § 24 Abs. 1 (erster Fall) VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen, es sei denn, andere gesetzliche Bestimmungen hätten ermächtigt, davon Abstand zu nehmen. Fallbezogen stützte sich das Bundesverwaltungsgericht für das Absehen von der Verhandlung auf den in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen ersten Tatbestand.

In seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017, 0018, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Des Weiteren ist an dieser Stelle festzuhalten, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0069, näher mit der rechtlichen Einordnung der sog. "Wahrunterstellung" und deren Verhältnis zum Erfordernis der Durchführung einer Verhandlung auseinander gesetzt hat (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/19/0059). Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird insoweit auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom verwiesen. Es sei daraus aber an dieser Stelle im besonderen hervorgehoben, dass demnach im Rahmen einer "Wahrunterstellung" in der Entscheidung offenzulegen ist, von welchen als hypothetisch richtig angenommenen Sachverhaltsannahmen bei der rechtlichen Beurteilung konkret ausgegangen wird, um sowohl den Verfahrensparteien als auch dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung zu ermöglichen, ob einerseits die derart erfolgte rechtliche Beurteilung - und daher auch die Annahme, keine (allenfalls: ergänzenden) Feststellungen zum Vorbringen treffen zu müssen - dem Gesetz entspricht, und ob andererseits überhaupt bei der rechtlichen Beurteilung vom Inhalt des Vorbringens ausgegangen wurde.

Ausgehend davon ist zunächst festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht weder eine "Wahrunterstellung" im Sinn des genannten Erkenntnisses vom vorgenommen noch die Anforderungen, die diesfalls an eine Entscheidungsbegründung zu stellen sind, erfüllt hat.

Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich in seiner Entscheidung zum Einen nicht offen gelegt, von welchem Vorbringen es bei der rechtlichen Beurteilung ausgegangen ist. Insbesondere wird es den an eine Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts zu stellenden Anforderungen nicht gerecht, wenn anstatt dessen - wie im vorliegenden Fall - lediglich im Rahmen der Darstellung des bisherigen Verfahrensganges die von der Verwaltungsbehörde mit dem Revisionswerber angefertigte Niederschrift wörtlich integriert (vgl. dazu, dass die bloße Inklusion von Aktenteilen den Anforderungen an eine Begründung nicht genügt, etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2006/21/0332, und vom , 2006/21/0203, sowie ausführlich zur Entscheidungsbegründung das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0076, in dem u.a. auch festgehalten wurde, dass die bloße Zitierung von Beweisergebnissen, wie etwa von Aussagen, weder erforderlich noch hinreichend ist) oder das Vorbringen bloß grob kursorisch wiedergegeben wird. Es geht sohin in keiner Weise aus der Entscheidung hervor, welches Vorbringen bzw. allenfalls welche Teile des Vorbringens der rechtlichen Beurteilung als hypothetisch richtig zu Grunde gelegt wurden.

Zum Anderen hat das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Revisionswerbers mehrfach als unplausibel gewertet und so zu erkennen gegeben, dass es der Entscheidung - auch im Rahmen der Beurteilung, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative - gerade nicht zu Grunde gelegt wird. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass das Bundesverwaltungsgericht seine rechtlichen Überlegungen (auch) auf Basis der von ihm konstatierten mangelnden Nachvollziehbarkeit von sachverhaltsbezogenen Angaben des Revisionswerbers - etwa indem es davon ausging, dass es unwahrscheinlich sei, dass seine Halbbrüder (weiterhin) ihm nachforschen würden - tätigte.

Darüber hinaus erachtete es das Bundesverwaltungsgericht - insoweit zutreffend - für geboten, die Feststellungen zur Situation im Herkunftsland des Revisionswerbers, insbesondere zur Sicherheitslage in Kabul, unter Heranziehung neuer Beweismittel zu aktualisieren. Der Revisionswerber hat zudem im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die Verwertung weiterer neuer Beweismittel eingefordert und mit ausreichend substantiiertem Vorbringen darauf hingewiesen, daraus ergebe sich, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht bestünde.

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu sehen, dass die - oben wiedergegebenen - Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung der beantragten Verhandlung gegeben gewesen wären. An der dadurch gegebenen Rechtsverletzung (vgl. dazu nochmals das bereits erwähnte Erkenntnis vom ) kann auch die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Einräumung von Parteiengehör auf schriftlichem Weg nichts ändern (vgl. dazu auch die zu den gleichgelagerten Vorgängerregelungen des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG und § 67d AVG ergangenen hg. Erkenntnisse vom , 99/20/0161 bis 0163, vom , 98/20/0277, und vom , 99/20/0142 bis 0144). Soweit das Bundesverwaltungsgericht seine anderslautende Rechtsansicht auf das hg. Erkenntnis vom , 2005/20/0459, zu stützen sucht, ist ihm entgegenzuhalten, dass die dort getätigte Aussage im Zusammenhang mit den weiteren Ausführungen zu lesen sind, die auf eine antragsstattgebende Entscheidung Bezug nehmen. Eine solche hat das Bundesverwaltungsgericht hier aber nicht getroffen, sodass fallbezogen eine Konstellation, wie sie im genannten Erkenntnis vom angesprochen wird, nicht vorliegt. Es bedarf daher schon deswegen keiner weiteren Prüfung, ob die in diesem Erkenntnis enthaltene Aussage infolge der Grundrechtecharta (GRC), der seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon Verbindlichkeit zukommt (vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV), überhaupt auf die aktuelle Rechtslage übertragbar ist (vgl. insoweit aus neuerer Zeit statt vieler die nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Anwendbarkeit des Art. 47 GRC ergangenen Erkenntnisse vom , 2010/15/0196, vom , 2012/21/0103, vom , 2013/21/0101, und vom , Ra 2014/20/0017, 0018).

Die angefochtene Entscheidung war daher - infolge der rechtlich aufeinander aufbauenden Entscheidungen auch im Beschluss betreffend die Zurückverweisung nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005 - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Fundstelle(n):
MAAAE-89864

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