VwGH vom 11.07.2012, 2009/08/0116

VwGH vom 11.07.2012, 2009/08/0116

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 5-7, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMSK- 420613/0001-II/A/3/2008, betreffend Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG (mitbeteiligte Partei: G G in V), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen - im Instanzenzug ergangenen - Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass die Mitbeteiligte in der Zeit vom bis der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG unterlegen sei (Spruchpunkt I); in der Zeit vom bis sei die Mitbeteiligte hingegen nicht der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG unterlegen (Spruchpunkt II).

Begründend führte die belangte Behörde - nach Schilderung des Verfahrensganges - aus, die Beschwerdeführerin habe mit das Gewerbe "Werbeagentur" bei der Wirtschaftskammer Tirol angemeldet. Mit Schreiben an die Wirtschaftskammer Tirol vom habe sie dieses Gewerbe rückwirkend ab wieder abgemeldet. Am sei die rückwirkende Ruhendmeldung bei der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt eingegangen. Die Mitbeteiligte habe das Gewerbe "Werbeagentur" nie betrieblich aufgenommen; es habe zu keiner Zeit einen Betrieb zu dieser Gewerbeanmeldung gegeben.

Die Mitbeteiligte habe am bei einer Fachärztin für Augenheilkunde Sachleistungen in der Höhe von EUR 28,82 in Anspruch genommen; die Fachärztin habe den Betrag mit der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt abgerechnet. Die Mitbeteiligte habe den Betrag von EUR 28,82 der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt sowohl am als auch am zurückerstattet; die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt habe die Beträge am Beitragskonto der Beschwerdeführerin gutgeschrieben.

Eine rückwirkende Ausnahme von der Pflichtversicherung sei möglich, wenn der Betrieb tatsächlich stillgelegt worden sei und die Mitbeteiligte in der rückwirkenden Zeit keine Leistungen aus der Kranken- und Pensionsversicherung in Anspruch genommen habe. Da die Mitbeteiligte am Sachleistungen bei einer Fachärztin in Anspruch genommen habe und die Leistungen mit der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt abgerechnet worden seien, sei eine rückwirkende Ausnahme aus der Krankenversicherung nur ab möglich; die versuchte Rückzahlung der Kosten der Leistung sei mangels einer entsprechenden Regelung unmaßgeblich. Auch das Vorbringen der Mitbeteiligten, die Ärztin habe einfach mittels eines Ersatzkrankenscheines die Abrechnung vorgenommen und es sei ihr unbekannt gewesen, dass die Ärztin die Leistung über die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt abgerechnet habe, vermöge die abgerechnete Leistung rückwirkend nicht zu beseitigen.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 GSVG ende die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung bei Eintritt eines Ausnahmegrundes mit dem Letzten des Kalendermonates, in dem der Ausnahmegrund eintrete. Der Ausnahmegrund, nämlich die letzte Leistung aus der Krankenversicherung nach GSVG sei am eingetreten, sodass eine rückwirkende Ausnahme aus der Krankenversicherung nach GSVG ab möglich sei.

Gegen Spruchpunkt II dieses Bescheides wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens durch die belangte Behörde - die Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt - erwogen hat:

1. Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt macht geltend, im Hinblick auf die mögliche Rückwirkung von 18 Monaten sei allenfalls eine Ausnahme von der Pflichtversicherung ab möglich, da die Mitbeteiligte am ein rückwirkendes Ruhen angezeigt habe. Liege aber ein Sachbezug in der Krankenversicherung vor, so sei in diesem Zweig generell keine rückwirkende Ausnahme möglich. Eine Teilung in der Form, wie sie im angefochtenen Bescheid ausgesprochen werde, sei im Gesetz nicht vorgesehen. § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG sehe im Übrigen gerade nicht vor, dass der die Rückwirkung der Ausnahme verhindernde Leistungsbezug durch eine Verrechnung der Leistungen mit einem anderen Sozialversicherungsträger bzw. durch Rückzahlung des Leistungsbetrages "neutralisiert" werden könne. Gerade diese Verrechnung und Rückabwicklung solle laut den Erläuterungen zur Änderung des § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG durch die 21. GSVG-Novelle verhindert werden. Die von der Mitbeteiligten als geplante Leistungsrückzahlung eingezahlten Beträge hätten daher nur dem Beitragskonto gutgeschrieben werden können und hätten daher zu einer entsprechenden Reduktion des Beitragsrückstandes geführt.

2. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG sind die Mitglieder der Kammern der gewerblichen Wirtschaft, soweit es sich um natürliche Personen handelt, auf Grund dieses Bundesgesetzes in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung pflichtversichert.

Gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG sind Personen, die das Ruhen ihres Gewerbebetriebes bzw. ihrer Befugnis zur Ausübung der die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründenden Erwerbstätigkeit angezeigt haben, für die Dauer des Ruhens von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung ausgenommen; die Ausnahme von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung oder Pensionsversicherung wirkt auch in die vor der Anzeige liegende Zeit des Ruhens, längstens jedoch bis zu 18 Monaten vor der Anzeige, zurück, wenn der Versicherte in dieser Zeit keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung in Anspruch genommen hat.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 7 GSVG endet die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung bei Eintritt eines Ausnahmegrundes mit dem Letzten des Kalendermonates, in dem der Ausnahmegrund eintritt.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu BGBl. I Nr. 412/1996, mit welchem u.a. dem § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG der Halbsatz über eine unter bestimmten Voraussetzungen zulässige Rückwirkung von höchstens 18 Monaten angefügt wurde, wurde u. a. ausgeführt (215 BlgNR 20. GP, 11 f):

"Es wurde daher die Möglichkeit der rückwirkenden Ruhendmeldung durch eine achtzehnmonatige Frist eingeschränkt. Weiter soll die Rückwirkung auch auf jene Fälle beschränkt sein, in denen keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung bezogen wurden, um eine nur schwer durchführbare Rückabwicklung auszuschließen."

3. Dass die Mitbeteiligte am eine Leistung aus der Krankenversicherung der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt in Anspruch genommen hat, ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr strittig.

4. Ausnahmegrund (iSd § 7 Abs. 1 Z 7 GSVG) ist im vorliegenden Fall die Anzeige des Ruhens (samt tatsächlichem Ruhen) des Gewerbebetriebes gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG (vgl. hiezu zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0002), nicht aber das Nichtbeziehen von Leistungen aus der Pensions- oder Krankenversicherung.

§ 4 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz GSVG normiert, dass die Ausnahme von der Pflichtversicherung auch in die vor der Anzeige liegende "Zeit" des Ruhens (längstens 18 Monate) zurückwirkt, wenn der Versicherte "in dieser Zeit" keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung in Anspruch genommen hat. Mit der Formulierung "in dieser Zeit" ist offenkundig die zuvor genannte Zeit des Ruhens (maximal 18 Monate) gemeint. Die Verknüpfung der beiden Sätze erfolgte mit "wenn" (und nicht etwa mit "insoweit"), woraus ebenfalls ableitbar ist, dass die Ausnahme von der Pflichtversicherung nur dann eintreten soll, wenn in diesem gesamten Zeitraum des Ruhens keine Leistung in Anspruch genommen wird. In Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien, wonach die Rückwirkung auf jene "Fälle" (und nicht lediglich auf jene Zeiträume) beschränkt sei, in denen keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung bezogen wurden, tritt die Ausnahme von der Pflichtversicherung sohin nur entweder im gesamten Zeitraum des Ruhens vor der Ruhenserklärung oder gar nicht ein.

Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am