VwGH vom 26.05.2011, 2011/16/0058
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1d, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/0442- W/08, betreffend Familienbeihilfe ab März 2007, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.286,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte für ihre am geborene Tochter E Familienbeihilfe ab März 2007. Ihre Tochter habe das Musikgymnasium mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen und studiere seit dem Sommersemester 2007 Rechtswissenschaften. Mit dem Wintersemester 2005/2006 habe E mit dem Medizinstudium begonnen. Als E sich für die summativ integrative Prüfung (SIP) innerhalb der Anmeldefrist im Wintersemester 2006 habe anmelden wollen, sei sie plötzlich gesperrt gewesen. Auf Grund eines Fehlers der Medizinischen Universität W sei E zu dieser Prüfung vom nicht zugelassen worden, obwohl sie sich zeitgerecht über das Internet angemeldet habe. Der Fehler sei darin gelegen, dass ihr seitens der MedUniW vorgeworfen worden sei, sie habe das Praktikum im Block 6 nicht bestanden. Tatsächlich habe ihre Tochter alle Unterschriften, die für das Bestehen des Praktikums von Nöten seien, gehabt, seitens der Universität sei aber vergessen worden, den erfolgreichen Abschluss "PC-mäßig" einzugeben. Auf Grund dieses Fehlers sei E nicht zur SIP vom zugelassen worden. Da der nächste Termin erst am stattfinden werde und auf Grund des Umstandes, dass sie von der Organisation und den Rahmenbedingungen, welche auf der MedUniW angeboten würden, mehr als enttäuscht sei, habe E beschlossen, das Studium zu wechseln. E sei für die Prüfung am durch einen Eingabefehler gesperrt gewesen, obwohl sie schon Monate vorher für diese umfangreiche Prüfung gelernt habe, alle ihre Seminare positiv abgeschlossen und die feste Absicht gehabt habe, die Prüfung positiv zu bewältigen, damit sie ihr Studium fortsetzen könne. Auf Grund dieses Umstandes und des dadurch bedingten Wechsels des Studiums werde der Beschwerdeführerin die Auszahlung der Familienbeihilfe nicht mehr gewährt.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag ab. E habe nach drei Semestern die Studienrichtung gewechselt. Auf Grund der vorgelegten Nachweise könne ein zwingend herbeigeführter Wechsel nicht erkannt werden.
Dagegen berief die Beschwerdeführerin mit der Begründung, ihre Tochter E habe sich für die summativ integrative Prüfung (SIP 1) in Medizin für den aus technischen Gründen nicht anmelden können und sei somit auch nicht zu dieser Prüfung angetreten. Ein Schreiben der Studien- und Prüfungsabteilung der Medizinischen Universität W lege sie der Berufung bei. Da die nächste Antrittsmöglichkeit für diese Prüfung erst im April 2007 gewesen wäre und somit kein Erfolg in dieser Zeit hätte erbracht werden können, habe sich E entschieden, das Studium zu wechseln und mit dem Studium der Rechtswissenschaften im Sommersemester 2007 begonnen. Der Berufung legte die Beschwerdeführerin ein Schreiben der Medizinischen Universität W, Studien- und Prüfungsabteilung, vom vor, in welchem festgehalten wird, dass es E aus technischen Gründen nicht möglich gewesen sei, sich für die SIP 1 am anzumelden.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Eine Anrechnung der gesamten Vorstudienzeiten könne nicht erfolgen, auch ein zwingender Grund (unabwendbares Ereignis) für den Studienwechsel sei nicht erkennbar, denn die angegebenen Probleme (technische Gründe bei der Anmeldung für eine Prüfung) beträfen die Mehrzahl der Studierenden. Im Studienbereich auftretende Probleme könnten im Einzelfall bei zweifelsfreier Glaubhaftmachung allenfalls die vorgesehene Studienzeit um ein Semester verlängern. Die Begründung, die Prüfung hätte erst vier Monate später absolviert werden können, stelle jedenfalls kein unabwendbares Ereignis dar, welches die Fortsetzung des Studiums unmöglich gemacht hätte.
Im dagegen erhobenen Vorlageantrag führte die Beschwerdeführerin aus, ihre Tochter E habe sich zur SIP 1 am nicht anmelden können. Der Grund sei ein technischer Defekt der Medizinischen Universität W gewesen, der die Anmeldung, welche ausschließlich über Internet möglich sei, unmöglich gemacht habe. E habe kein Verschulden bezüglich der Nichtanmeldung zur SIP 1 im Dezember getroffen. Der nächste Antrittstermin für diese Prüfung sei erst vier Monate später im April 2007 gewesen. Dadurch hätte sich allerdings viel geändert, denn bereits im November sei bekannt gewesen, dass die Plätze für "das Weiterstudieren" im Wintersemester 2007/2008 äußerst beschränkt gewesen seien und dass Studierende, die nicht im Dezember anträten, keinen Platz im Wintersemester 2007/2008 bekommen würden. Tatsächlich sei nach der Prüfung im Dezember 2006 bekannt gemacht worden, dass nicht alle Studierenden einen Platz bekommen hätten. Manche von ihnen, die im Dezember angetreten seien und die Prüfung positiv absolviert hätten, müssten tatsächlich auf das Wintersemester 2008/2009 warten um weiterstudieren zu können. E hätte somit erst im April 2007 antreten können und hätte damit auf jeden Fall erst im Wintersemester 2008/2009 Medizin weiterstudieren können. Damit hätte E nach dem April 2007 noch ganze 17 Monate warten müssen, bis sie weiterstudieren könne.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und rechtlichen Ausführungen vertrat die belangte Behörde die Ansicht, im Beschwerdefall habe die Tochter der Beschwerdeführerin nach dem dritten Semester des Studiums der Medizin das Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen. Das Studium Medizin sei mit Beginn des Wintersemesters 2005/2006 begonnen worden und die Tochter der Beschwerdeführerin sei im Wintersemester 2006/2007 innerhalb der Anmeldefrist für eine Prüfung (SIP) aus technischen Gründen gesperrt worden. Dies sei von der Studien- und Prüfungsabteilung der Medizinischen Fakultät vom auch bestätigt worden. Mit Beginn des Sommersemesters 2007 habe die Tochter der Beschwerdeführerin das Studium der Rechtswissenschaften begonnen. Eine Anrechnung von Vorstudienzeiten sei nicht erfolgt.
Ein unabwendbares Ereignis könne im Regelfall eine Krankheit, die Pflege eines Kindes oder ein nachgewiesenes Auslandsstudium, in Ausnahmefällen aber auch eine individuelle Studienbehinderung im Lehr- und Prüfungsbetrieb darstellen. Im Beschwerdefall wende die Beschwerdeführerin jedoch ein, dass selbst Studierende, die im Dezember die Prüfung positiv abgelegt hätten, im Wintersemester 2007/2008 keinen Studienplatz bekommen hätten. Daraus sei ersichtlich, dass diese Schwierigkeiten selbst bei positiver Anmeldung und Ablegung der Prüfung auch andere Studierende gleichermaßen beträfe und somit nicht als unabwendbares Ereignis für den Studienwechsel erkennbar seien, sondern eine Beschränkung der Anzahl der Studienplätze alle Studierende betreffend gleichkomme. Da das Studium nach dem dritten Semester gewechselt worden sei, liege ein "familienbeihilfenschädlicher" Studienwechsel vor.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführerin im Recht auf (Gewährung der) Familienbeihilfe verletzt erachtet.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 23/1999 lautet:
"§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
...
b) für volljährige Kinder, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. .... Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Wahl- und Pflichtfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden nachgewiesen wird. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß."
§ 17 bis 19 des Studienförderungsgesetzes 1992 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der Bundesgesetze BGBl. I Nr. 76/2000 und 75/2003 lauten auszugsweise:
"§ 17. (1) Ein günstiger Studienerfolg liegt nicht vor, wenn der Studierende
Tabelle in neuem Fenster öffnen
1. | das Studium öfter als zweimal gewechselt hat oder |
2. | das Studium nach dem jeweils dritten inskribierten Semester (nach dem zweiten Ausbildungsjahr) gewechselt hat oder |
3. | ... |
(2) Nicht als Studienwechsel im Sinne des Abs. 1 gelten:
…….
2. Studienwechsel, die durch ein unabwendbares Ereignis ohne Verschulden des Studierenden zwingend herbeigeführt wurden,
3. .....
§ 18. (1) Die Anspruchsdauer umfasst grundsätzlich die zur Absolvierung von Diplomprüfungen, Bakkalaureatsprüfungen, Magisterprüfungen, Rigorosen, Lehramtsprüfungen oder anderen das Studium oder den Studienabschnitt abschließenden Prüfungen vorgesehene Studienzeit zuzüglich eines weiteren Semesters. .... Wenn wichtige Gründe für die Überschreitung dieser Zeitspanne vorliegen, kann die Anspruchsdauer entsprechend verlängert werden (§ 19).
(2) ....
(5) Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur kann durch Verordnung für einzelne Studienrichtungen und Studienzweige an jenen Universitäten die Anspruchsdauer um ein Semester je Studienabschnitt verlängern, an denen
.....
3. mehr als die Hälfte der Studienbeihilfenbezieher die Anspruchsdauer gemäß Abs. 1 überschreiten, wobei die Gründe für diese Überschreitung im Bereich der Universitäten gelegen sein müssen.
(6) ....
§ 19. (1) Die Anspruchsdauer ist zu verlängern, wenn der Studierende nachweist, dass die Studienzeitüberschreitung durch einen wichtigen Grund verursacht wurde.
(2) Wichtige Gründe im Sinne des Abs. 1 sind:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
1. | Krankheit des Studierenden, wenn .... |
2. | Schwangerschaft der Studierenden und |
3. | jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, wenn den Studierenden daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. |
(3) ...."
Die Tochter der Beschwerdeführerin hat infolge der Sperre der Zulassung zur Prüfung SIP 1 im Dezember 2006 und im Zusammenhang mit der Wartezeit auf den nächsten Prüfungstermin und der sich abzeichnenden Wartezeit bis zur Fortsetzung des Studiums von einer Fortsetzung des Studiums abgesehen und das Studium gewechselt. Dass die Tochter der Beschwerdeführerin im Gefolge der bereits für den ersten Studienabschnitt erfolglos verbrachten Zeit einen Wechsel des Studiums für zweckmäßiger oder ihren persönlichen Vorstellungen angemessener gehalten hat, bedeutet aber nicht, dass sie zum Studienwechsel gezwungen gewesen wäre, weil aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht hervorgeht, dass es ihrer Tochter aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen unmöglich gewesen wäre, das Studium der Humanmedizin weiter zu betreiben (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/16/0076).
Zu Recht hat die belangte Behörde daher den Studienwechsel nicht als zwingend herbeigeführt im Sinn des § 17 Abs. 2 Z 2 des Studienförderungsgesetzes gesehen.
Der angefochtene Bescheid leidet aber an einer - vom Verwaltungsgerichtshof von Amts wegen aufzugreifenden - inhaltlichen Rechtswidrigkeit:
Ein dem Anspruch auf Familienbeihilfe entgegenstehender Studienwechsel liegt vor, wenn das Studium nach dem jeweils dritten inskribierten Semester gewechselt wird (§ 17 Abs. 1 Z 2 Studienförderungsgesetz). Auf diese Bestimmung hat sich die belangte Behörde tragend gestützt.
Bei der Zählung der Semester wird die vorgesehene Studienzeit durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verlängert (§ 2 Abs. 1 lit. b vierter Satz FLAG). Auch nach dem Studienförderungsgesetz wird die Anspruchsdauer (§ 18 Studienförderungsgesetz) durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, an welchem den Studierenden kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, verlängert (§ 19 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3 Studienförderungsgesetz).
Diese Grundsätze sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch für die Zählung der Semester heranzuziehen, nach welchen ein Wechsel des Studiums einem Familienbeihilfenanspruch entgegensteht (§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG iVm § 17 Abs. 1 Z 2 Studienförderungsgesetz) .
Wäre es daher der Tochter der Beschwerdeführerin wegen eines ausschließlich von der Medizinischen Universität W zu verantwortenden technischen Fehlers nicht möglich gewesen, eine Prüfung (SIP 1) in diesem Semester abzulegen und wäre sie aus diesem Grund für das gesamte Semester an der Fortsetzung dieses Studiums verhindert gewesen, so wäre - unbeschadet dessen, dass auch andere Studierende davon betroffen gewesen wären und bei einer qualifizierten Zahl solcher Studierender § 19 Abs. 4 Studienförderungsgesetz sogar eine Verordnung zur Verlängerung der vorgesehenen Studienzeit vorsieht - ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis eingetreten, welches dieses Semester nicht zu den Semestern zählen ließe, nach welchen ein Studienwechsel im Sinn des § 17 Studienförderungsgesetz im Anwendungsbereich der Familienbeihilfe schädlich ist.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hätte die belangte Behörde daher auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Verhinderung der Anmeldung zum in Rede stehenden Prüfungstermin - unter Inanspruchnahme der Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin - Feststellungen treffen müssen, ob die Tochter der Beschwerdeführerin im gesamten Wintersemester 2006/2007 an der Fortsetzung ihres Studiums aus diesem Grund gehindert gewesen wäre und ob dieser daran ein Verschulden vorzuwerfen gewesen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am