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VwGH vom 27.05.2008, 2007/05/0138

VwGH vom 27.05.2008, 2007/05/0138

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde der P in Wien, vertreten durch Mag. Gerhard Angeler, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Grabengasse 21, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1- BR-514/001-2006 und RU1-BR-514/002-2006, betreffend Bauauftrag (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Baden), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 723/213 Baufläche, Am Haidhofteich 41, mit 429 m2, inneliegend der Liegenschaft EZ 1588, Grundbuch 04017 Leesdorf. Das Grundstück ist als "Bauland-Sondergebiet-Badesiedlung" gewidmet. Für das Grundstück gilt ein Bebauungsplan mit folgenden, für das Grundstück der Beschwerdeführerin geltenden Regelungen (auszugsweise):

"VI. Abschnitt: Planzeichenergänzungen

...

3. Für Bereiche mit der Bebauungsweise e* gilt, dass die Gebäude wahlweise an eine der beiden seitlichen Grundstücksgrenzen angebaut werden dürfen, sofern der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster bestehender Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird, an der anderen seitlichen Grundstücksgrenze ist ein Bauwich sinngemäß § 50 NÖ BO einzuhalten.

..."

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 23 Abs. 1 iVm § 14 Z. 1 NÖ Bauordnung 1996 die Bewilligung für die Errichtung einer Badehütte auf dem eingangs erwähnten Baugrundstück unter Vorschreibung von Nebenbestimmungen erteilt.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde der Beschwerdeführerin "gemäß § 35 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1996 der Auftrag zum Abbruch der konsenslos errichteten Badehütte" auf dem Baugrundstück erteilt.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde Baden vom , berichtigt mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde Baden vom , keine Folge gegeben, die Frist zur Durchführung der Abbruchsarbeiten mit jedoch neu festgesetzt. Im Wesentlichen begründete dies die Berufungsbehörde damit, dass die errichtete Badehütte nicht den dem Bewilligungsbescheid zu Grunde liegenden Bauwich von 3 m zur nordöstlichen Grundstücksgrenze einhalte; tatsächlich sei nunmehr ein geringerer Bauwich von 2,60 m bis 2,70 m gegeben. Es liege insoweit eine Abweichung von der bestehenden Baubewilligung vor. Auf Grund der gegebenen Holzbauweise und der an der nordöstlichen Wand vorhandenen Fensteröffnungen entspräche der Bau nicht den Vorschriften über die Brandbeständigkeit (vollständig geschlossene Brandwand mit einer Brandbeständigkeit von 90 Minuten Vollbrand). Selbst geringfügige Abweichungen vom gesetzlichen Bauwich seien als unzulässig anzusehen.

In der dagegen erhobenen Vorstellung rügte die Beschwerdeführerin u.a. die Rechtsauffassung der Berufungsbehörde, dass eine Bewilligung des errichteten Bauwerkes in dem tatsächlich bestehenden Bauwich nicht möglich wäre, weil die Brandbeständigkeit nicht gegeben sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde entscheidungswesentlich aus, dass sich die Unzulässigkeit des Gebäudes aus der Abweichung von der Baubewilligung (Unterschreitung des seitlichen Bauwichs mit einer Gebäudefront), für welche eine nachträgliche Baubewilligung auch nicht erwirkt werden könne, ergebe. Das Gebäude, welches erkennbar in einer Lage abweichend von der Baubewilligung unter Nichteinhaltung eines Abstandes von 3 m zur Grundstücksgrenze errichtet worden sei, sei zur Gänze als konsenslos zu beurteilen; der Beseitigungsauftrag entspreche dem Gesetz. Unabhängig von der Frage, ob die Anrainerin aus den Bestimmungen des § 50 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 ein Recht auf Einhaltung eines Seitenabstandes ableiten könne oder darüber hinaus eine Verletzung der Belichtungsverhältnisse vorliegen müsse, treffe die Baubehörde die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Beseitigung eines konsenslosen und nicht bewilligungsfähigen Bauwerks.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Nichterteilung eines Abbruchauftrages verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der der Beschwerde zu Grunde liegende Abbruchauftrag wurde von den Baubehörden auf § 35 Abs. 2 Z. 3 NÖ Bauordnung 1996 gestützt. Nach dieser Gesetzesstelle hat die Baubehörde den Abbruch eines Bauwerkes anzuordnen, wenn

"3. für das Bauwerk keine Baubewilligung (§ 23) oder Anzeige (§ 15) vorliegt und


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-
das Bauwerk unzulässig (§ 15 Abs. 3 und § 23 Abs. 1) oder
-
der Eigentümer den für die fehlende Bewilligung erforderlichen Antrag oder die Anzeige nicht innerhalb der von der Baubehörde bestimmten Frist ab der Zustellung der Aufforderung hiezu eingebracht hat.
..."
Das vom Bauauftrag erfasste Gebäude der Beschwerdeführerin wurde entgegen der erteilten Baubewilligung innerhalb des vorgesehenen Bauwichs von 3 m zur nordöstlichen Grundstücksgrenze errichtet.
Eine Baubewilligung wird für ein durch seine Lage bestimmtes Vorhaben erteilt, sodass für jedes Verrücken des Vorhabens eine neuerliche Bewilligung erwirkt werden muss (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/05/0368). Es sind zwar Einzelfälle denkbar, in denen durch eine geringfügige Verschiebung eines Bauwerkes nicht vom Vorliegen eines rechtlichen "Aliud" auszugehen ist, dies kann jedoch bei einer Verringerung des dreimetrigen Bauwichs um bis zu 30 cm nicht mehr gesagt werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/05/0743). Die Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften ist jedenfalls als wesentliche Änderung anzusehen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/05/0072). Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt nur mehr ein Auftrag nach § 35 Abs. 2 und nicht ein solcher gemäß § 33 leg. cit. in Betracht.
Die belangte Behörde ging jedoch - wie auch die Baubehörden - unzutreffend davon aus, dass der Bebauungsplan und die Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1996 über den Mindestabstand eines Gebäudes zu den seitlichen Grundstücksgrenzen einer Bewilligung des tatsächlich errichteten vom Bauauftrag erfassten Gebäudes der Beschwerdeführerin entgegen stehen, das errichtete Gebäude also unzulässig im Sinne des § 23 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 sei.
Der im Beschwerdefall anzuwendende Bebauungsplan enthält gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 NÖ Bauordnung 1996 Regelungen über die Bebauungsweise des gegenständlichen Baugrundstückes (Bebauungsweise e*). Demnach darf ein Gebäude auf dem gegenständlichen Grundstück wahlweise an eine der beiden seitlichen Grundstücksgrenzen angebaut werden (dies jedoch nur dann, wenn der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster bestehender Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird); in diesem Fall ist an der anderen seitlichen Grundstücksgrenze ein Bauwich sinngemäß nach § 50 NÖ Bauordnung 1996 einzuhalten.
Für den Fall, dass von der Wahlmöglichkeit des Anbaus an eine seitliche Grundstücksgrenze (arg.: "dürfen") nicht Gebrauch gemacht wird (wurde) bzw. die Voraussetzungen für den Anbau an keine seitliche Grundstücksgrenze gegeben sind, findet sich im Bebauungsplan keine Bestimmung, die im Anwendungsbereich der Bebauungsweise e* die Möglichkeit der Ausnutzung des Baugrundstückes ohne Anbau an eine seitliche Grundstücksgrenze verbieten würde. Im Sinne der Baufreiheit (vgl. hiezu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2007/05/0067) ist daher davon auszugehen, dass für das Baugrundstück der Beschwerdeführerin auch die offene Bauweise zulässig ist.
§ 70 Abs. 1 Z. 4 NÖ Bauordnung 1996 definiert die offene Bebauungsweise wie folgt: "An beiden Seiten ist ein Bauwich einzuhalten."
Nach § 4 Z. 5 leg. cit. ist der Bauwich: "Der vorgeschriebene Mindestabstand eines Gebäudes zu den Grundstücksgrenzen (seitlicher und hinterer Bauwich) oder zur Straßenfluchtlinie (vorderer Bauwich)."
Ausgehend von der Zulässigkeit einer offenen Bebauungsweise für das beschwerdegegenständliche Grundstück sind daher die Regelungen über den Bauwich gemäß § 50 NÖ Bauordnung 1996 zu beachten. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"§ 50
Bauwich

(1) Der seitliche Bauwich (§ 70 Abs. 1 Z. 2 bis 5) muss im geregelten Baulandbereich (Bebauungsplan) der halben Gebäudehöhe entsprechen. Wenn er nicht in den folgenden Bestimmungen oder im Bebauungsplan durch Baufluchtlinien anders geregelt ist, muss er mindestens 3 m betragen. Ab einer Gebäudehöhe von mehr als 8 m und einer Länge der der Grundstücksgrenze zugewandten Gebäudefront von mehr als 15 m muss der Bauwich für jenen Teil der Gebäudefront, der über diese 15 m hinausreicht, der vollen Gebäudehöhe entsprechen (abgesetzte Gebäudefront).

...

(3) Ein geringerer Bauwich als nach Abs. 1 und 2 genügt, wenn

1. dies zur Wahrung des Charakters der Bebauung in Schutzzonen, erhaltungswürdigen Altortgebieten und zusammenhängend bebauten Ortsgebieten erforderlich ist,

2. der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbarbauplätzen gewährleistet ist und

3. keine hygienischen oder brandschutztechnischen Bedenken bestehen. Einen anderen Bauwich als nach Abs. 1 und 2 darf die Baubehörde für Betriebsgebäude im Bauland-Betriebsgebiet oder - Industriegebiet bewilligen, wenn Z. 2 und 3 zutreffen, und vorschreiben, wenn dies zum Brandschutz notwendig ist.

(4) Wenn die Grundstücksgrenze und die Gebäudefront nicht parallel zueinander verlaufen, muss jeweils der geringste Abstand das im Abs. 1 oder 2 bestimmte Ausmaß aufweisen.

(5) Bei Fahnengrundstücken (§ 10 Abs. 2 Z. 4), darf der streifenförmige Grundstücksteil je zur Hälfte seiner Breite dem Bauwich der angrenzenden Grundstücke angerechnet werden. Einfriedungen oder sonstige Bauwerke auf diesem Grundstücksteil dürfen den freien Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster der zulässigen Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigen."

§ 50 Abs. 3 NÖ Bauordnung 1996 ermöglicht somit auch einen geringeren seitlichen Bauwich als er im § 50 Abs. 1 leg. cit. grundsätzlich vorgesehen ist.

Sowohl die Baubehörden als auch die belangte Behörde haben diese Bestimmung ausgehend von ihrer als nicht zutreffend erkannten Rechtsansicht, es sei zwingend eine gekuppelte Bebauungsweise im Bebauungsplan vorgeschrieben, nicht geprüft. Mangels entsprechender Feststellungen kann daher der Verwaltungsgerichtshof abschließend nicht beurteilen, ob im Beschwerdefall ein geringerer Bauwich in Betracht kommt und die Baubehörden gemäß § 35 Abs. 2 Z. 3 NÖ Bauordnung 1996 vor Erlassung des Bauauftrages verpflichtet gewesen wären, der Beschwerdeführerin den für die fehlende Bewilligung erforderlichen Antrag unter Fristsetzung zu ermöglichen.

Auf Grund dieser Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am