VwGH vom 20.04.2016, Ro 2014/04/0071

VwGH vom 20.04.2016, Ro 2014/04/0071

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der Lgesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zlen. VGW-123/077/23937/2014-23, VGW- 123/077/23976/2014, und VGW-123/077/23977/2014, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Parteien: 1. Stadt Wien, vertreten durch die Schwartz Huber-Medek Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Stubenring 2; 2. B Gesellschaft m.b.H. in W; 3. K Gesellschaft m.b.H. in W, und

4. H Ges.m.b.H. in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Im Jahr 2006 schloss die erstmitbeteiligte Partei (im Folgenden "Auftraggeberin") im Wege eines förmlichen Vergabeverfahrens einen Rahmenvertrag betreffend Baumeisterleistungen zur Deckung des Bedarfs an Instandsetzungsarbeiten im Zusammenhang mit der Verwaltung ihrer Wohnhausanlagen. Ebenfalls zur Deckung des Bedarfs für die Wohnhausanlagen wurden in den Jahren 2005 und 2007 von der Auftraggeberin jeweils Rahmenverträge für Glaserarbeiten abgeschlossen.

Diese Rahmenverträge endeten jeweils spätestens November 2013. 1.2. Im ersten Quartal 2014 vergab die Auftraggeberin im Wege

der Direktvergabe je zwei Aufträge für Baumeisterarbeiten und für Glaserarbeiten.

Die Baumeisterarbeiten wurden nach Auftragserteilung jeweils von der zweitmitbeteiligten Partei erbracht und mit EUR 3.562,74 bzw. EUR 3.091,36 in Rechnung gestellt.

Die Glaserarbeiten wurden in einem Fall von der viertmitbeteiligten Partei erbracht und mit EUR 151,75 in Rechnung gestellt. Der zweite Auftrag wurde der drittmitbeteiligten Partei erteilt, die für die Leistung EUR 277,50 in Rechnung stellte.

2. Die Revisionswerberin begehrte hinsichtlich der unter Punkt 1.2. genannten Aufträge jeweils die Feststellung, dass die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006 oder die hierzu ergangenen Verordnungen oder wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht rechtswidrig war.

In eventu beantragte sie, hinsichtlich dieser Aufträge möge jeweils festgestellt werden, dass


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-
die Zuschlagserteilung ohne Mitteilung der Zuschlagsentscheidung gemäß den §§ 131 bzw. 272 BVergG 2006, bzw.
-
der Zuschlag
wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006 oder die hierzu ergangenen Verordnungen oder wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht rechtswidrig war.
Zur Begründung des Antrages brachte sie vor, die Auftraggeberin verwalte, saniere und bewirtschafte unter der Unternehmensbezeichnung "Wiener Wohnen" rund 220.000 Gemeindewohnungen, 5.400 Lokale und 47.000 Abstellplätze. Seit dem Auslaufen der Rahmenverträge für die Instandsetzungsarbeiten Ende 2013 vergebe sie die entsprechenden Aufträge im Wege der Direktvergabe an die ehemaligen Vertragspartner der Rahmenverträge, ohne eine freiwillige Bekanntmachung vorzunehmen. Es seien pro Gebiet bestimmte Anbieter festgelegt worden, die abwechselnd von der Auftraggeberin beauftragt würden.
Der Gesamtwert der Aufträge, die auf Basis der Rahmenverträge für Glaserarbeiten aus dem Jahre 2005 während einer Laufzeit von drei Jahren abgeschlossen worden seien, habe EUR 5.961.100,00 betragen. Der Gesamtauftragswert, der auf die Ausschreibung aus dem Jahr 2007 zurückgehe, habe für die Laufzeit von drei Jahren EUR 615.935,49 ausgemacht.
Am habe die Auftraggeberin wiederum die Vergabe eines Rahmenvertrages über Baumeisterarbeiten für die Bezirke 1.-
23.
bekannt gemacht. Der Auftrag sei in 49 Lose gegliedert. Der geschätzte Gesamtauftragswert für die Laufzeit von drei Jahren betrage EUR 136.013.021,42. Daraus ergebe sich rechnerisch für jeden Monat die Vergabe von Aufträgen für Baumeisterleistungen im Wert von ca EUR 3,78 Mio, die derzeit im Wege der Direktvergabe erfolge.
Bei sämtlichen Direktvergaben handle es sich um Renovierungsarbeiten an Wohnungen der Auftraggeberin in einem einheitlichen Gebiet. Die Verträge würden zu den Bedingungen der ausgelaufenen Rahmenverträge vergeben. Die Auftragsvergabe erfolge immer auf die gleiche standardisierte Weise und verfolge jeweils den Zweck der Bewirtschaftung der Wohnungen der Auftraggeberin. Die Leistungen der Direktvergaben stünden daher in einem technischen, funktionalen und wirtschaftlichen Zusammenhang. Die Auftragswerte seien aus diesem Grund bei der Berechnung des geschätzten Auftragswerts gemäß § 13 Abs. 1 BVergG 2006 zusammenzurechnen. Dies führe zu einer Überschreitung des für die Direktvergabe zulässigen Schwellenwerts.
3.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht den Feststellungsantrag (Spruchpunkt I.), die Eventualanträge (Spruchpunkt II.) sowie den Kostenersatzantrag ab (Spruchpunkt III.) und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei (Spruchpunkt IV.).
Begründend hielt das Verwaltungsgericht fest, dass keine Bedenken gegen die von der Auftraggeberin bestrittene Antragslegitimation der Revisionswerberin bestünden.
Gemäß § 4 Z 1 BVergG 2006 handle es sich bei den gegenständlichen Leistungen um Bauaufträge. Das BVergG 2006 normiere keine Verpflichtung zur Zusammenrechnung wiederkehrender Bauaufträge. Betreffend die Zusammenrechnungspflicht komme es daher auf die Beurteilung an, inwieweit ein einheitliches Bauvorhaben vorliege, weil gemäß § 13 BVergG 2006 alle Leistungen innerhalb eines "Vorhabens" zusammenzurechnen seien. Bei dieser Beurteilung sei der Bezug auf ein Bauwerk ein wesentlicher Aspekt. Die vergaberechtlichen Bestimmungen sähen eine "bauwerksübergreifende" Zusammenrechnung wiederkehrender Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten nicht vor, weshalb jeweils auf das einzelne Bauwerk abzustellen sei. Es bestehe daher keine Verpflichtung, unterschiedliche Renovierungsarbeiten in unterschiedlichen Wohnhausanlagen zusammenzufassen. Für die einzelne Wohnhausanlage seien die anfallenden Arbeiten nicht vorherseh- und planbar. Die Planbarkeit durch die Auftraggeberin für den gesamten Wohnhausanlagenbestand sei wegen des rechtlich gebotenen Abstellens auf die einzelne Wohnhausanlage irrelevant. Zudem würden die Instandsetzungsarbeiten aus der Reparaturrücklage der jeweiligen Wohnhausanlage zu tragen sein, sodass ein wirtschaftlicher Zusammenhang zum jeweiligen Wohnobjekt bestehe.
Die Beauftragung der einzelnen Bauvorhaben im Wege der Direktvergabe sei nicht zu beanstanden, weil die Auftragswerte nicht zusammenzurechnen seien und der Wert der einzelnen Aufträge den Schwellenwert für die Zulässigkeit der Direktvergabe jeweils nicht erreiche. Die Feststellungsanträge seien daher abzuweisen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der zugrundeliegenden Rechtsfrage, ob bei Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten, die sich auf viele verschiedene Bauwerke beziehen, ein einheitliches Bauvorhaben vorliegen könne oder ob es zulässig sei, den Auftragswert bauwerksbezogen zu errechnen, grundsätzliche Bedeutung zukomme. Diese Rechtsfrage sei durch die vorhandene Judikatur nicht abschließend geklärt.
4.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der Antragstellerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die erstmitbeteiligte Partei beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist zur Klarstellung der vom Verwaltungsgericht angeführten Rechtsfrage zulässig. Sie ist auch berechtigt.

5.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006), BGBl. I Nr. 17/2006 idF BGBl. I Nr. 10/2012, lauten auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

(...)

11. Bauwerk ist das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll.

(...)

2. Abschnitt

Auftragsarten

Bauaufträge

§ 4. Bauaufträge sind entgeltliche Aufträge, deren Vertragsgegenstand

1. die Ausführung oder die gleichzeitige Ausführung und Planung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I genannten Tätigkeiten, oder


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2.
die Ausführung eines Bauwerkes, oder
3.
die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen, gleichgültig mit welchen Mitteln dies erfolgt,
ist.
(...)
Allgemeine Bestimmungen betreffend die Berechnung des
geschätzten Auftragswertes

§ 13. (1) Grundlage für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes eines öffentlichen Auftrages ist der Gesamtwert ohne Umsatzsteuer, der vom Auftraggeber voraussichtlich zu zahlen ist. Bei dieser Berechnung ist der geschätzte Gesamtwert aller der zum Vorhaben gehörigen Leistungen einschließlich aller Optionen und etwaiger Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen.

(...)

(3) Der geschätzte Auftragswert der auszuschreibenden Leistung ohne Umsatzsteuer ist vom Auftraggeber vor der Durchführung des Vergabeverfahrens sachkundig zu ermitteln. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermittlung ist der Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens durch den Auftraggeber. Bei Vergabeverfahren mit vorheriger Bekanntmachung ist dies der Zeitpunkt der Absendung der Bekanntmachung gemäß § 46, bei Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung die erste nach außen in Erscheinung tretende Festlegung.

(4) Die Wahl der angewandten Berechnungsmethode darf nicht den Zweck verfolgen, die Anwendung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes zu umgehen.

Berechnung des geschätzten Auftragswertes bei Bauaufträgen und Baukonzessionsverträgen

§ 14. (1) Besteht ein Bauvorhaben aus mehreren Losen, für die jeweils ein gesonderter Auftrag vergeben wird, so ist als geschätzter Auftragswert der geschätzte Gesamtwert aller dieser Lose anzusetzen. Als Lose im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch gewerbliche Tätigkeiten im Sinne des Anhanges I (Gewerke).

(2) Bei der Berechnung des geschätzten Auftragswertes von Bauaufträgen oder Baukonzessionsverträgen ist neben dem Auftragswert der Bauleistungen auch der geschätzte Gesamtwert aller für die Ausführung der Bauleistungen erforderlichen Waren einzubeziehen, die dem Unternehmer vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Der Wert von Waren oder Dienstleistungen, die für die Ausführung eines bestimmten Bauauftrages nicht erforderlich sind, darf zum Wert dieses Auftrages insbesondere nicht mit der Folge hinzugefügt werden, dass die Vorschriften dieses Bundesgesetzes für die Beschaffung dieser Waren oder Dienstleistungen umgangen werden.

(3) Erreicht oder übersteigt der kumulierte Wert der Lose den in § 12 Abs. 1 Z 3 genannten Schwellenwert, so gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für die Vergabe von Bauaufträgen im Oberschwellenbereich für die Vergabe aller Lose. Dies gilt nicht für jene Lose, deren geschätzter Auftragswert weniger als 1 Million Euro beträgt, sofern der kumulierte Wert der vom Auftraggeber ausgewählten Lose 20 vH des kumulierten Wertes aller Lose nicht übersteigt. Für die Vergabe dieser Lose gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für die Vergabe von Bauaufträgen im Unterschwellenbereich.

(4) Erreicht oder übersteigt der kumulierte Wert der Lose den in § 12 Abs. 1 Z 3 genannten Schwellenwert nicht, so gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für die Vergabe von Bauaufträgen im Unterschwellenbereich für die Vergabe aller Lose. Für die Wahl des Verfahrens zur Vergabe von Aufträgen im Unterschwellenbereich gilt als geschätzter Auftragswert der Wert des einzelnen Gewerkes.

(...)

3. Abschnitt

Nur im Unterschwellenbereich zugelassene Vergabeverfahren

(...)

Direktvergabe

§ 41. (...)

(2) Eine Direktvergabe ist nur zulässig, wenn der geschätzte Auftragswert 100 000 Euro nicht erreicht."

5.2. Der Leistungsgegenstand der von der Auftraggeberin vergebenen Aufträge fällt unstrittig jeweils unter Anhang I des BVergG 2006. Es handelt sich bei den verfahrensgegenständlichen Aufträgen daher um Bauaufträge im Sinne des § 4 Z 1 BVergG 2006. 5.3. Gemäß § 41 Abs. 2 BVergG 2006 ist die Direktvergabe nur zulässig, wenn der geschätzte Auftragswert EUR 100.000,-- nicht erreicht. § 13 BVergG 2006 regelt allgemein die Berechnung des geschätzten Auftragswerts. § 14 BVergG 2006 enthält ergänzend spezifische Regeln für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes bei Bauaufträgen und Baukonzessionsverträgen.

5.4.1. Gemäß § 13 Abs. 1 BVergG 2006 sind bei der Berechnung des geschätzten Gesamtwerts alle zum Vorhaben gehörigen Leistungen einschließlich aller Optionen und etwaiger Verlängerungen zu berücksichtigen. Diese Bestimmung wird durch § 13 Abs. 4 BVergG 2006 insofern ergänzt, als die angewandte Berechnungsmethode nicht den Zweck verfolgen dürfe, die Anwendung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes zu umgehen (vgl. grundsätzlich zum Aufteilungsverbot das hg. Erkenntnis vom , 2007/04/0188). Die Anwendung dieser Grundsätze ist nicht auf bestimmte Auftragsarten eingeschränkt. Sie gelten auch für Bauaufträge.

Für den Fall, dass sich ein Bauvorhaben in mehrere Lose unterteilen lässt und für diese jeweils ein gesonderter Auftrag vergeben wird, sind alle diese Lose gemäß § 14 Abs. 1 BVergG 2006 bei Berechnung des geschätzten Auftragswerts zusammenzurechnen. Somit knüpft das BVergG 2006 die Frage der Zusammenrechnung einzelner Lose an den Begriff des (einheitlichen) Vorhabens (vgl. Budischowsky/Porsch in Schramm/Aicher/Fruhmann, Bundesvergabegesetz 2006 - Kommentar3 (2013), § 14 Rz 3).

5.4.2. Für die Beurteilung, ob ein für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes maßgebliches einheitliches Vergabevorhaben iSd § 13 BVergG 2006 vorliegt, ist der Rechtsprechung des EuGH zufolge von einer - in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht - funktionellen Betrachtungsweise auszugehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/04/0025, mit Verweis auf das , Kommission/Deutschland, Rn 36 ff). Die gebotene funktionelle Betrachtung erfordert nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Einbeziehung unterschiedlicher Gesichtspunkte wie den örtlichen Zusammenhang, den gemeinsamen Zweck, die gemeinsame Planung oder das Vorliegen von Aufträgen aus gleichen Fachgebieten (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis 2013/04/0025, mwN).

Darüber hinaus ist als weiterer Gesichtspunkt zu berücksichtigen, ob die in Frage stehenden Auftragsvergaben einen wirtschaftlichen Zusammenhang aufweisen. Die Beurteilung der Zugehörigkeit von Aufträgen zu einem (einheitlichen) Vorhaben im Sinne des § 13 Abs. 1 BVergG 2006 ist demzufolge im Einzelfall der Vergabe eines Auftrags ausgehend von den jeweiligen tatsächlichen Umständen, die einen allfälligen wirtschaftlichen und technischen Zusammenhang begründen, vorzunehmen (vgl. das genannte Urteil des EuGH, C-16/98, Rn 64 und 65).

Der EuGH nennt in seiner Entscheidung C-16/98 konkret als gewichtige Gründe, die für die Zusammenfassung von Aufträgen sprechen, die Gleichzeitigkeit der Einleitung der streitigen Vergabeverfahren, die Ähnlichkeit der Bekanntmachungen, die Einheitlichkeit des Gebietes, in dem diese Verfahren eingeleitet worden sind, und die Koordinierung durch eine einzige Einrichtung (vgl. das genannte , Rn 65).

5.4.3. Fallbezogen stellen nach dem bisher Gesagten die von der Antragstellerin vorgebrachten Behauptungen betreffend die nach Ablauf der Rahmenverträge gepflogene Praxis der Auftragsvergabe (nämlich Vergabe nach den jeweils gleichen, den ausgelaufenen Rahmenverträgen entnommenen Bedingungen), der mit den Aufträgen verbundene gemeinsame Zweck (nämlich Instandhaltung zur Bewirtschaftung der von der Auftraggeberin verwalteten Wohnungen), der örtliche Zusammenhang aufgrund der Einheitlichkeit des Gebietes, in dem die Vergaben eingeleitet werden, die zentrale Koordinierung der Auftragsvergabe und die behauptete gemeinsame Budgetierung für die Beurteilung, ob die Direktvergaben gemeinsam mit weiteren Instandsetzungsarbeiten ein einheitliches Vorhaben bilden, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts rechtlich relevantes Tatsachenvorbringen dar, zu dem in dem angefochtenen Erkenntnis aber keine Feststellungen getroffen wurden.

Der Verweis auf das Bestehen von gesetzlichen Rücklagen betreffend die einzelnen Wohnhausanlagen ist hingegen nicht geeignet, die Frage des wirtschaftlichen Zusammenhangs der im Rahmen der Verwaltung der Wohnhausanlagen beauftragten Arbeiten abschließend zu klären bzw. zu verneinen.

5.5.1. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, ob die Aufträge einer Zusammenrechnung mit den übrigen von der Auftraggeberin zu vergebenden Instandsetzungsarbeiten unterliegen, primär darauf abgestellt, ob sich die zu erbringenden Leistungen jeweils auf dasselbe Bauwerk, das heißt fallbezogen auf dieselbe Wohnhausanlage, beziehen. Dem ist nach dem oben Gesagten schon deshalb nicht zu folgen, weil damit die Einbeziehung weiterer maßgeblicher Tatsachenumstände, wie es die gebotene funktionale Betrachtung in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht erfordert, außer Acht blieb.

5.5.2. Zur Relation der Begriffe "Bauwerk" und "Bauvorhaben" ist festzuhalten: § 4 BVergG 2006 definiert als Vertragsgegenstand für Bauaufträge neben der "Ausführung und Planung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I genannten Tätigkeiten" unter § 4 Z 2 BVergG 2006 die "Ausführung eines Bauwerks".

Das "Bauwerk" ist nach seiner Definition (§ 2 Z 11 BVergG 2006) das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllt und umfasst daher die Herstellung eines (funktionsfähigen) Ganzen (z.B. ein Gebäude, eine Straße, ein Bauabschnitt einer Straße, eine Brücke), das bis zur letzten Ausbau- und Installationsphase vollendet ist. Die zur Herstellung dieses Ganzen erforderlichen Leistungen sind die Bauleistungen. Demgegenüber ist der Begriff des "Bauvorhabens" der umfassendere, der neben der Erstellung eines Bauwerkes auch andere Bauleistungen erfasst. So stellen etwa Revitalisierungen von Gebäuden, Umbauten, Instandsetzungen und Reparaturen Bauvorhaben, nicht aber Bauwerke dar. Somit ist jede Erstellung eines Bauwerkes ein Bauvorhaben, aber nicht jedes Bauvorhaben identisch mit der Erstellung eines Bauwerkes (siehe zu all dem RV 1171 BlgNR 22. GP 27).

Die Bezugnahme mehrerer Aufträge betreffend Leistungen von im Anhang I genannten Tätigkeiten auf dasselbe Bauwerk mag nach dem oben Gesagten einen berücksichtigungswürdigen Gesichtspunkt für das Vorliegen eines einheitlichen Vergabevorhabens im Sinne des § 13 Abs. 1 BVergG 2006 darstellen. Aufgrund der wiedergegebenen Begriffsbestimmungen ergibt sich jedoch, dass der Umfang eines Bauvorhabens nicht an den Begriff des Bauwerks im Sinne des § 2 Z 11 BVergG 2006 anknüpft. Damit setzt die Zugehörigkeit einzelner beauftragter Leistungen zu einem Vorhaben im Sinne des § 13 Abs. 1 BVergG 2006 nicht voraus, dass diese Leistungen jeweils an demselben Bauwerk durchgeführt werden.

5.6.1. Die Revisionsbeantwortung führt ins Treffen, die Revisionswerberin habe nur vier Direktvergaben angefochten, ohne weitere konkrete Direktbeauftragungen zu nennen. Auch bei Unterstellung der Notwendigkeit, die Auftragswerte der angefochtenen Direktvergaben zusammenzurechnen, würden die kumulierten Auftragswerte nicht annähernd den Schwellenwert von EUR 100.000 erreichen, weshalb die Revision nicht zulässig sei.

5.6.2. Dem ist zu erwidern: Gemäß § 13 Abs. 1 BVergG 2006 ist Grundlage für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes eines öffentlichen Auftrages der Gesamtwert ohne Umsatzsteuer, der vom Auftraggeber voraussichtlich zu zahlen ist. Gemäß Abs. 3 leg. cit. ist der geschätzte Auftragswert vom Auftraggeber vor der Durchführung des Vergabeverfahrens sachkundig zu ermitteln, wobei der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung der Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens ist. Bei Vergabeverfahren ohne vorheriger Bekanntmachung ist dies der Zeitpunkt der ersten nach außen in Erscheinung tretenden Festlegung (§ 13 Abs. 3 letzter Satz BVergG 2006). Die Schätzung des Auftragswerts ist demnach eine Ermittlung ex ante, sodass lediglich die Umstände zu berücksichtigen sind, die bei Einleitung des Vergabeverfahrens bekannt waren. Sie bildet ihrem Gegenstand nach eine Prognose (vgl. Budischowsky in Schramm/Aicher/Fruhmann, Bundesvergabegesetz 2006 - Kommentar3 (2013), § 13 Rz 20 f). Nach dem Willen des Gesetzgebers ist der Auftraggeber an seine Schätzung gebunden, unabhängig davon, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt, aus welchen Gründen auch immer, ein anderer Auftragswert ergibt (vgl. RV 1171 BlgNR 22. GP 101).

5.6.3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund geht das Vorbringen der Revisionsbeantwortung, die Revisionswerberin habe neben den vier verfahrensgegenständlichen Direktvergaben keine anderen konkreten Aufträge genannt, bei deren Berücksichtigung der Schwellenwert für die Direktvergabe gemäß § 41 BVergG 2006 überschritten werde, ins Leere. Die Auftraggeberin wäre nämlich nach dem oben Gesagten verpflichtet gewesen, die Kostenschätzung ex ante unter Einbeziehung aller zu dem Vorhaben gehöriger Leistungen vorzunehmen, und diesem Ergebnis entsprechend die Wahl des Vergabeverfahrens auszurichten. Auf die tatsächliche Auftragsvergabe kommt es bei der Ermittlung des geschätzten Auftragswertes hingegen nicht an.

5.7. Es trifft zu, dass der öffentliche Auftraggeber selbst entscheiden kann, ob er ein Vergabevorhaben, das in der Erbringung gleichartiger Leistungen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang besteht, nun in einem (an einen einzigen Bieter) oder getrennt in Form von Losen (an verschiedene Bieter) vergeben will. Nicht zulässig ist es aber - wie § 13 Abs. 4 BVergG 2006 normiert -

ohne sachliche Rechtfertigung ein Vergabevorhaben aufzuteilen, nicht nur um die Anwendung der Bestimmungen des BVergG 2006 an sich zu umgehen, sondern auch um in den Genuss von Sonderverfahren mit vereinfachten Regeln zu kommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/04/0188).

5.8. Da es das Verwaltungsgericht ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht unterlassen hat, die für die Klärung der Rechtsfrage rechtlich relevanten Feststellungen zu treffen, liegt ein Feststellungsmangel vor, der das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Das Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG entfallen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am