VwGH vom 26.05.2014, 2014/17/0003
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, Hofrat Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag. Nussbaumer-Hinterauer und Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fries, über die Beschwerde des KR in T, vertreten durch Mag. Martin Reihs, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Kellermanngasse 5/12, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom , Zl. ND- 02-04-245-1-2013, betreffend Vorschreibung eines Kostenbeitrages nach § 6 Bgld. Stare-Vertreibungs-Verordnung für 2012 (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde P), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom schrieb der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde dem Beschwerdeführer einen Kostenbeitrag für gemeinsame Bekämpfungsmaßnahmen gegen Stare für das Jahr 2012 in der Höhe von EUR 600,14 vor.
In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die Ermittlung der Berechnungsfläche sei fehlerhaft. Er habe "2012 keine 5,83 ha Weingarten" bewirtschaftet. Überdies sei für die Weingärten, die er eingenetzt habe, ein anderer Berechnungssatz heranzuziehen.
Der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde gab mit Bescheid vom der Berufung keine Folge. Begründend führte er aus, die Fläche der geschützten und ungeschützten Weingartengrundstücke ergebe sich "aus den Rückmeldungen der Erhebungsbögen bezüglich Weingartenaufstellung", die allen Bewirtschaftern zugesendet worden seien. Der Beschwerdeführer habe den Erhebungsbogen, in dem er sowohl die Flächenänderungen als auch die eingenetzten Flächen hätte bekanntgeben können, nicht ausgefüllt bzw. nicht zurückgeschickt. Der Beschwerdeführer sei nachweislich mit Schreiben vom darüber informiert worden, dass die von ihm bewirtschaftete Weingartenfläche "aus dem Vorjahr" von 5,83 Hektar als Berechnungsgrundlage für den Kostenbeitrag herangezogen werde, sofern er nicht innerhalb von zwei Wochen dazu schriftlich Stellung nehme. Mit Verordnung des Gemeinderates vom sei der Einheitssatz mit EUR 102,94 je Hektar ungeschützter Weingartenfläche festgesetzt worden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Vorstellung vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, der Behörde sei es zumutbar, die tatsächlich eingenetzten Flächen zur Berücksichtigung eines abweichenden Tarifes selbst zu erheben, weil es sich nicht um eine Selbstberechnungsabgabe handle. Es seien ihm Kosten für Flächen vorgeschrieben worden, auf denen sich seit Jahren kein Weingarten mehr befinde und die 2012 auch nicht vom Beschwerdeführer bewirtschaftet worden seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung des Beschwerdeführers keine Folge. Begründend verwies sie nach Wiedergabe des Sachverhaltes, des Verwaltungsgeschehens und der einschlägigen Rechtsvorschriften auf die Begründung des Berufungsbescheides, wonach der Beschwerdeführer zur Bekanntgabe der bewirtschafteten Flächen aufgefordert worden sei bzw. ihm nachweislich die für die Berechnung des Kostenbeitrages heranzuziehenden Flächen mitgeteilt worden seien, ohne dass er dagegen einen Einwand erhoben habe. Ein sorgloses oder rechtswidriges Verhalten der Behörde könne aufgrund des ausreichend gewährten Parteiengehörs nicht erkannt werden.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid wird allgemein dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die kostenpflichte Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.
Nach Abs. 1 des § 6 des Bgld. Pflanzenschutzgesetzes, LGBl. Nr. 47/2004 idF 36/2008, kann die Landesregierung zur Abwehr erheblicher Schäden an Weinbaukulturen für die jeweilige Weinbaufläche eines Gemeindegebiets durch Verordnung gemeinsame Maßnahmen zur Vertreibung von Staren zulassen. Die Geltungsdauer dieser Verordnung ist auf ein Jahr zu beschränken.
Als gemeinsame Maßnahmen kommen nach § 6 Abs. 2 leg. cit. u. a. die Vertreibung der Stare durch Gewehrschüsse und Schüsse (zB Schreckschusspistolen, Knallkörper, ...) durch Jägerinnen und Jäger (Z 2) und durch Schüsse (zB Schreckschusspistolen, Knallkörper, ...) durch Weingartenhüterinnen und Weingartenhüter (Z 3) in Betracht.
Die gemeinsamen Maßnahmen im Sinne des Abs. 2 sind gem. § 6 Abs. 5 leg. cit. von der Gemeinde anzuordnen und unter Vermeidung unverhältnismäßig hoher Kosten durchzuführen. Die Gemeinde hat dabei zu überprüfen, ob die Voraussetzungen des Abs. 4 Z 1 und 2 vorliegen und welche konkreten Maßnahmen gemäß Abs. 2 Z 1 bis 4 heranzuziehen sind.
Nach Beendigung der Vertreibungsmaßnahmen kann die Gemeinde gemäß § 6 Abs. 10 leg. cit. den Eigentümerinnen oder Eigentümern oder den sonstigen Nutzungsberechtigten der Weingärten die ihr durch die angeordneten Maßnahmen erwachsenen Kosten anteilsmäßig vorschreiben.
Das Maß der Verpflichtung der Einzelnen richtet sich gemäß § 6 Abs. 11 leg. cit. nach der Größe ihrer in der Gemeinde gelegenen Weingartenfläche. Verpflichteten, deren Weingärten zum Zeitpunkt des verordneten Beginns der Maßnahmen mit einem geeigneten Netz in einer für die Stareabwehr geeigneten Weise überzogen waren, und die diese Maßnahme der Gemeinde bis spätestens 1. August angezeigt haben, ist ein ermäßigter Beitrag von jenen Kosten vorzuschreiben, die sich für Weingärten ohne Netz errechnen. Die Höhe der Kostenermäßigung ist von der Gemeinde festzulegen. Für Weingärten, deren Reben weniger als drei Jahre alt sind, ist kein Kostenbeitrag zu leisten. Die Landesregierung wird ermächtigt, die Eignungskriterien für Netze zur Stareabwehr mit Verordnung festzulegen.
Nach § 2 der Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom , mit der gemeinsame Maßnahmen zum Schutz von Pflanzenkulturen vor Schädigungen durch Stare angeordnet werden (Burgenländische Stare-Vertreibungs-Verordnung), LGBl. Nr. 50/2011, können zur Vermeidung erheblicher Schäden an Weinbaukulturen gemeinsame Maßnahmen im Bereich der jeweiligen Weinbauflächen eines Gemeindegebiets angeordnet werden.
§ 6 der Burgenländischen Stare-Vertreibungs-Verordnung lautet:
" § 6
Kostenverrechnung
Nach Beendigung der Vertreibungsmaßnahmen kann die Gemeinde den Eigentümerinnen und Eigentümern oder den sonstigen Nutzungsberechtigten der Weingärten die ihr durch die angeordneten Maßnahmen erwachsenen Kosten nach den Bestimmungen des § 6 Abs. 5 des Bgld. Pflanzenschutzgesetzes 2003 anteilsmäßig und unter Bedachtnahme auf allfällige von den Eigentümerinnen und Eigentümern oder von sonstigen Nutzungsberechtigten getroffenen Einnetzungsmaßnahmen vorschreiben."
Die Verordnung des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom über die Einhebung von Kostenbeiträgen für die gemeinsamen Bekämpfungsmaßnahmen gegen Stare im Jahre 2012 lautet (auszugsweise):
"§ 1
Für die gemeinsamen Bekämpfungsmaßnahmen gegen Stare im Bereich der Marktgemeinde P werden Kosten ausgeschrieben.
§ 2
Die der Ermittlung des Einheitssatzes zugrunde gelegten Kosten der gemeinsamen Bekämpfungsmaßnahmen gegen Stare betragen 40.767,09 Euro.
§ 3
Die für die Berechnung des Einheitssatzes heranzuziehende Fläche der Weingartengrundstücke beträgt insgesamt 409,35 ha. Die in Ertrag stehende und ungeschützte Weingartenfläche beträgt 342,69 ha, die in Ertrag stehende und mit Netzen geschützte Weingartenfläche beträgt 66,66 ha.
§ 4
(1) Die Kosten, die aus der Durchführung der gemeinsamen Bekämpfungsmaßnahmen gegen Stare erwachsen, sind von den Eigentümern, Fruchtnießern, Pächtern oder sonstige Verfügungsberechtigten aller Weingartengrundstücke zu tragen.
Das Maß der Verpflichtung richtet sich nach der Größe der in die Maßnahme einbezogenen Weingartenflächen, wobei für Weingärten, die mit einem geeigneten Netz in einer für die Stareabwehr geeigneten Weise überzogen wurden und diese Maßnahme der Gemeinde bis spätestens 1. August angezeigt wurde, 80 % jener Kosten vorzuschreiben sind, die sich für Weingärten ohne Netz errechnen.
(2) Bei der Berechnung und Vorschreibung der Kosten sind Weingartengrundstücke, deren Reben weniger als drei Jahre alt sind, nicht zu berücksichtigen.
§ 5
Der Einheitssatz wird mit 102,94 Euro je Hektar ungeschützte
Weingartenfläche und mit 82,35 Euro je Hektar geschützte
Weingartenfläche festgesetzt.
..."
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe bereits in seiner Berufung auf die Unrichtigkeit der der Kostenbeitragsvorschreibung zugrunde gelegten Weingartenfläche hingewiesen. Tatsächlich sei ein (ihm offenbar zugerechneter) Weingarten gerodet und als solcher nicht mehr bewirtschaftet worden. Überdies sei diese Fläche seit der Rodung von einem anderen Bewirtschafter genutzt worden.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass ihm vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides Parteiengehör gewährt worden ist. Er behauptet auch nicht, bereits im erstinstanzlichen Verfahren ein Vorbringen hinsichtlich der von ihm bewirtschafteten Weingartenflächen erstattet zu haben. Solches ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Verwaltungsakten. Demzufolge durfte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde im erstinstanzlichen Bescheid mangels entsprechenden Vorbringens des Beschwerdeführers von einer vom Beschwerdeführer bewirtschafteten Weingartenfläche von 5,83 Hektar ausgehen.
Der Beschwerdeführer hat sich jedoch im Berufungsverfahren gegen die Richtigkeit der der Beitragsbemessung zugrunde gelegten Weingartenfläche gewandt.
Die Berufungsbehörde hat alle in welchem Zusammenhang immer ihr zur Kenntnis gekommenen entscheidungswesentlichen Umstände zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 83/14/0183, mwN). Solange die Abgabenbehörde nicht entschieden hat, hat sie gemäß § 115 Abs. 4 BAO auch die nach Ablauf einer Frist vorgebrachten Angaben über tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse zu prüfen und zu würdigen. Nach der BAO (vgl. § 279 Abs. 1 und § 280 idF vor dem Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012 - FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013) haben im Berufungsverfahren die Abgabenbehörden zweiter Instanz die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden erster Instanz auferlegt und eingeräumt sind; Neuerungen sind im Abgabenverfahren auch im Berufungsverfahren zulässig (in diesem Sinne auch Ritz , BAO4, Tz 1 zu § 280).
Daraus folgt für den Beschwerdefall, dass der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde aufgrund des - wenn auch nicht näher begründeten - Vorbringens des Beschwerdeführers vor Erlassung der Berufungsentscheidung ein Ermittlungsverfahren hätte durchführen müssen, zu dessen Ergebnissen dem Beschwerdeführer wiederum Parteiengehör zu gewähren gewesen wäre.
Der Beschwerdeführer hat überdies auch in seiner Vorstellung gegen die Berufungsentscheidung das Ausmaß der der Beitragsvorschreibung zugrunde gelegten Flächen bestritten. Auch im Vorstellungsverfahren nach der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 besteht mangels einer dem § 41 Abs. 1 VwGG entsprechenden Regelung kein Neuerungsverbot (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/05/0068). Die belangte Behörde hätte daher entweder aufgrund der unterbliebenen Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen im Berufungsverfahren den vor ihr bekämpften Berufungsbescheid aufheben oder ein eigenes Ermittlungsverfahren durchführen und dessen Ergebnisse ihrer Entscheidung zugrunde legen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/17/0247).
Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage den Mangel, der dem vor ihr bekämpften Bescheid anhaftete, nicht wahrgenommen hat und demzufolge weder eine aufhebende Entscheidung getroffen noch selbst ein Ermittlungsverfahren betreffend die vom Beschwerdeführer bewirtschaftete Weingartenfläche durchgeführt hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (§ 79 Abs. 11 VwGG).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
Fundstelle(n):
AAAAE-89787