VwGH vom 22.06.2016, Ro 2014/03/0080
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. W B in R, vertreten durch Dr. Peter Semlitsch und Dr. Wolfgang Klobassa, Rechtsanwälte in 8570 Voitsberg, Kirchengasse 5, gegen den Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer (Plenum) vom , GZ 2013/0251, betreffend Berufsunfähigkeitspension nach der Rechtsanwaltsordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzten.
Begründung
1 Der Revisionswerber hatte mit Schreiben vom einen Antrag auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension gestellt, weil er auf Grund seines psychischen und physischen Gesundheitszustands nicht mehr weiter imstande sei, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben und somit berufsunfähig sei.
2 Mit Bescheid vom wies der Ausschuss der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer, Abteilung 3 (iF: Ausschuss), diesen Antrag gemäß § 7 Abs 1 und 2 in Verbindung mit § 5 Abs 3 der Satzung der Versorgungseinrichtung der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer Teil A (iF: Satzung) ab. Dem seitens des Ausschusses eingeholten Sachverständigengutachten Dris. H vom sei zu entnehmen, dass beim Revisionswerber keine krankheitswertige psychische Störung feststellbar sei und die geschilderte depressive Anpassungsstörung nicht von hohem Krankheitswert sei. Nachdem der Revisionswerber (mittlerweile anwaltlich vertreten) dazu - unter Hinweis auf frühere Verhaltensweisen und Vorlage einer nervenärztlichen Bestätigung Dris. P vom - eine Gutachtensergänzung beantragt habe, sei von Dr. H im Ergänzungsgutachten ausgeführt worden, es würden die im Gutachten vom gezogenen Schlussfolgerungen vollinhaltlich aufrechterhalten werden. In der vom Revisionswerber selbst vorgelegten Bestätigung Dris. P werde darauf hingewiesen, dass der Revisionswerber seit keinen Alkohol mehr trinke; aus einer Angststörung könne kein Alkoholmissbrauch entstehen. Ein Leidensdruck, der eine Behandlung notwendig gemacht hätte, bestehe beim Revisionswerber offenbar nicht, zumal es sich bei der von Dr. P verordneten Medikation um eine antidepressive Gesamtdosierung im unteren Dosisspektrum handle. Der Ausschuss sehe keinen Grund, an dem unbedenklichen und nachvollziehbaren Gutachten Dris. H in Zusammenhalt mit dessen Ergänzungsgutachten zu zweifeln. Anhaltspunkte für das Bestehen einer krankheitswertigen psychischen Störung, welche die Arbeitsfähigkeit als Rechtsanwalt ausschließen ließe, lägen nicht vor; für eine weitere Erhebung des Sachverhalts bestehe daher keine Notwendigkeit. Es fehle daher an den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 lit b der Satzung für die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension, nämlich einer mehr als drei Monate andauernden Unfähigkeit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen.
3 Dagegen erhob der Revisionswerber Vorstellung, in der er insbesondere - unter Hinweis auf seine Stellungnahme vom - näher dargelegte Mängel des Verfahrens geltend machte (im Wesentlichen: trotz seines Antrags auf neuerliche Untersuchung durch den Sachverständigen habe dieser nur ein aktenmäßiges Ergänzungsgutachten erstattet; es sei auf sein (durch seine anwaltlichen Vertreter erstattetes) Vorbringen, er beschönige bzw leugne die bestehende Alkoholproblematik samt den dazu gestellten Beweisanträgen nicht eingegangen worden; durch die Zustellung des Ergänzungsgutachtens erst mit dem Bescheid des Ausschusses vom sei sein rechtliches Gehör verletzt und ihm die Möglichkeit genommen worden, dazu Stellung zu nehmen und Sachvorbringen zu erstatten).
4 Mit Bescheid vom gab der Ausschuss der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer (Plenum) der Vorstellung des Revisionswerbers nicht Folge. Die vom Revisionswerber geltend gemachten Verfahrensmängel lägen nicht vor, zumal im Ergänzungsgutachten auf das vom Revisionswerber in seiner Stellungnahme erstattete Vorbringen und die dazu übermittelten ärztlichen Unterlagen, vor allem Dris. P, eingegangen worden sei. Die belangte Behörde hob hervor, dass der Revisionswerber auch gegenüber dem ihn behandelnden Arzt Dr. P einen höhergradigen Konsum von Alkohol in Abrede gestellt habe; geltend gemachte physische Beeinträchtigungen seien nicht konkretisiert worden, ein Konnex mit nunmehr vorgelegten ärztlichen Unterlagen zur Arbeitsfähigkeit des Revisionswerbers sei nicht gegeben.
5 Gegen diesen dem Revisionswerber am zugestellten Bescheid erhob er zunächst gemäß Art 144 B-VG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser hat deren Behandlung mit Beschluss vom , B 209/2014-4, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bereits ausgeführte Revision nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
7 Da die Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof nach dem dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten wurde, ist § 4 VwGbk-ÜG sinngemäß anzuwenden (vgl , mwN). Die abgetretene Beschwerde gilt daher als Revision, die gemäß § 4 Abs 5 VwGbk-ÜG ohne die Beschränkungen nach Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist, weil es sich bei der belangten Behörde nicht um eine Behörde iSd § 4 Abs 5 zweiter Satz VwGbk-ÜG handelt.
8 Die Revision ist auch begründet.
9 Gemäß § 50 Abs 1 RAO, RGBl Nr 96/1868 idF BGBl I Nr 159/2013, hat jeder Rechtsanwalt bei Vorliegen der Voraussetzungen und bei Eintritt des Versorgungsfalls Anspruch auf (ua) Berufsunfähigkeitsversorgung.
10 Gemäß § 50 Abs 2 RAO ist dieser Anspruch in den Satzungen der Versorgungseinrichtungen nach festen Regeln festzusetzen, wobei näher genannte Grundsätze zu beachten sind.
11 Die im Revisionsfall maßgeblichen Vorschriften der Satzung der Versorgungseinrichtung Teil A der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer lauten (auszugsweise):
" § 7 Berufsunfähigkeitsrente
(1) Bedingung für den Anspruch auf Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente ist:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | ... |
b) | bei Rechtsanwälten und niedergelassenen europäischen Rechtsanwälten eine infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen voraussichtlich mehr als 3 Monate andauernde Unfähigkeit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, bei Rechtsanwaltsanwärtern eine infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen voraussichtlich mehr als 3 Monate andauernde Unfähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, bei Rechtsanwaltsanwärtern nach erfolgreich abgelegter Rechtsanwaltsprüfung einer seinen Ausbildungen und/oder Fähigkeiten entsprechenden Erwerbstätigkeit, |
c) | bis g) ... |
h) | dass sich der Beitragspflichtige den von der Rechtsanwaltskammer angeordneten Untersuchungen zur Feststellung der Voraussetzungen der lit b) durch einen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen unterzieht. |
(2) Die Berufsunfähigkeitsrente ist bei Vorliegen aller in § 7 Abs 1 genannten Voraussetzungen für die Dauer der Berufsunfähigkeit, maximal jedoch für 12 Monate zuzuerkennen. ...
...
(4) Der Anspruch auf Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente beginnt bei Vorliegen und Nachweis aller hiefür erforderlichen Voraussetzungen mit dem auf die Antragstellung folgenden Monatsersten, im Falle des Verzichtes auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft unter der Bedingung der Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente mit dem auf die Bescheiderlassung folgenden Monatsersten."
12 Im Revisionsfall ist lediglich strittig, ob der Revisionswerber das Erfordernis nach § 7 Abs 1 lit b der Satzung - also infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen voraussichtlich mehr als drei Monate andauernde Unfähigkeit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs - erfüllt.
13 Ausgehend von der Regelung des § 7 Abs 1 lit b der Satzung setzt die Beurteilung der Berufsunfähigkeit in der Regel (wenn nicht Offenkundigkeit vorliegt) auf - gegebenenfalls in Zusammenspiel der beteiligten Professionen (Mediziner, Berufskundler) erstatteten - Sachverständigengutachten beruhende Feststellungen der Behörde über die körperlichen oder geistigen Gebrechen des Betroffenen und die davon ausgehenden Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Ausübung des anwaltlichen Berufs voraus (vgl , und vom , 2006/06/0234, sowie vom , 2011/11/0225, zur insoweit vergleichbaren Regelung nach dem Ärztegesetz 1998).
14 Der Revisionswerber hatte die von ihm im verfahrenseinleitenden Antrag geltend gemachten "psychischen und physischen" Probleme zunächst nicht näher konkretisiert. Nach Gutachtenserstattung durch den seitens des Ausschusses bestellten Sachverständigen Dr. H (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie), der beim Revisionswerber "eine länger dauernde ängstlichdepressive Reaktion (ICD 10, F 43) sowie einen Zustand nach Alkoholgebrauch (ICD 10, F 10)" diagnostizierte, was nicht von hohem Krankheitswert sei und den Revisionswerber nicht hindere, den Herausforderungen des Anwaltsberufs gerecht zu werden, machte der Revisionswerber (mittlerweile anwaltlich vertreten) in der Stellungnahme vom zum Gutachten (auf das Wesentliche zusammengefasst) Folgendes geltend:
15 Die Annahme des Sachverständigen, das "Alkoholproblem" des Revisionswerbers sei bloß minderen Grades und "schon vorbei", negiere den Umstand, dass der den Revisionswerber behandelnde Arzt Dr. P knapp vorher eine stationäre Behandlung wegen der Alkoholkrankheit empfohlen habe, und stütze sich offenkundig allein auf die Schilderung des Revisionswerbers selbst, der den Alkoholmissbrauch aber beschönige bzw verleugne, wie schon im Befund Dris. P festgehalten sei. Näher dargestellte Vorfälle belegten, dass der Revisionswerber auf Grund seiner Alkoholkrankheit nicht in der Lage sei, den Anforderungen des Anwaltsberufs gerecht zu werden.
16 Der seitens der Behörde mit einer ergänzenden Stellungnahme betraute Sachverständige Dr. H führte dazu in seinem Ergänzungsgutachten vom im Wesentlichen aus, die im Gutachten geäußerten Schlussfolgerungen würden vollinhaltlich aufrecht erhalten. Der Revisionswerber sei "zum Begutachtungszeitpunkt alkoholfrei" gewesen; auch im aktuellen Befund des Dr. P vom würde darauf hingewiesen, dass der Revisionswerber seit keinen Alkohol mehr trinke. Zum Vorwurf, er habe verkannt, dass ein wesentliches Merkmal des Alkoholmissbrauchs darin bestehe, dieses massiv zu leugnen, führte Dr. H aus, es sei der naheliegendste Zugang, die betroffene Person zu befragen und deren Schilderungen als Grundlage des Befunds zu nehmen, wenn sich aus klinischer Perspektive kein konkreter Anhalt dafür finde und keine anderen konkreten Beobachtungen vorlägen. Von "teilweise angebrochenen Flaschen hochprozentigen Alkohols unter dem Schreibtisch etc" (wie in der Stellungnahme des Revisionswerbers vom geltend gemacht) sei ihm nichts zur Kenntnis gebracht worden. Gebe es hier eine "tatsächliche Verdichtung von Information" und stünden auch "umfangreiche Zeugenaussagen der Mitarbeiter" zur Verfügung, könne man "die Sache neu bewerten".
17 Nachdem der Revisionswerber gegen den ohne Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erlassenen - abschlägigen Bescheid des Ausschusses vom Vorstellung (samt Beweisanträgen betreffend das Ausmaß des Alkoholmissbrauchs des Revisionswerbers und die durch ihn erfolgte Negierung) erhoben hatte, wurde von der belangten Behörde ohne Durchführung der beantragten Beweisaufnahme der nun in Revision gezogene Bescheid erlassen.
18 Vor dem Hintergrund der - oben zusammengefasst wiedergegebenen - Aktenlage zeigt die Revision mit dem Argument, es hätte der beantragten Beweisaufnahme bedurft, um die erforderlichen Feststellungen zu Art und Ausmaß der beim Revisionswerber vorliegenden Erkrankung und deren Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Ausübung des anwaltlichen Berufs treffen zu können, einen relevanten Verfahrensmangel auf: Zentrales Thema des Verfahrens waren die psychischen Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs durch den Revisionswerber, wobei der vom Ausschuss beigezogene ärztliche Sachverständige Dr. H seiner Beurteilung zu Grunde legte, der Alkoholmissbrauch sei geringgradig gewesen und nunmehr "vorbei". Über Vorhalt, diese Annahmen entsprächen nicht den Tatsachen, zudem habe die Alkoholkrankheit des Revisionswerbers dazu geführt, dass dieser nicht in der Lage sei, anwaltlich tätig zu werden (was unter Hinweis auf beispielsweise Vorfälle näher begründet wurde), relativierte der Sachverständige seine Beurteilung unter Hinweis auf eine diesfalls erforderliche "Neubewertung" (vgl Rz 16).
19 Unter diesen Umständen war es Aufgabe der belangten Behörde, durch Aufnahme der entsprechenden Beweise - im Wesentlichen Einvernahme der namhaft gemachten Mitarbeiter, Kollegen und behandelnder Ärzte des Revisionswerbers als Zeugen - und Treffen der notwendigen Feststellungen dem Sachverständigen die Grundlage für eine Gutachtensergänzung zu liefern. Die Entscheidung darüber, welcher Sachverhalt der durch den Sachverständigen vorzunehmenden wissenschaftlichen (medizinischen) Beurteilung zu Grunde zu legen ist, obliegt nämlich der Verwaltungsbehörde (bzw nunmehr dem deren Entscheidung überprüfenden Verwaltungsgericht) und nicht dem Sachverständigen (vgl zu der in diesem Sinn bestehenden Aufgabenverteilung zwischen dem entscheidenden Organ und dem Sachverständigen etwa , mwN). Dadurch, dass die belangte Behörde dies unterlassen hat, wurde der von ihr erlassene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass die angesprochene Verfahrensergänzung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
20 Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.
21 Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-89689