VwGH vom 19.01.2011, 2009/08/0058
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der S Kin Wien, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 21, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2009-0566-9- 000199, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zum Sachverhalt und bisherigen Verfahrensgang wird eingangs auf das im ersten Rechtszug ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0049, verwiesen. Mit jenem Erkenntnis wurde der dort angefochtene Bescheid der Geschäftsführerin der Landesgeschäftsstelle mangels Entscheidung durch den Ausschuss für Leistungsangelegenheiten infolge Unzuständigkeit der (dortigen) belangten Behörde aufgehoben.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin vom (neuerlich) als unzulässig zurückgewiesen. Der Spruch des angefochtenen Bescheides lautet wie folgt:
"BESCHEID
Ihre Berufung vom (Poststempel) gegen die Mitteilung über den Leistungsanspruch des Arbeitsmarktservice Wien Hietzinger Kai vom betreffend die Gebührlichkeit von Notstandshilfe ab in der Höhe von EUR 10,24 täglich, hat die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien durch den gemäß § 56 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 58 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (BGBl. Nr. 609/1977 - AlVG) zuständigen Ausschuss mit Beschluss entschieden:
Die Berufung wird gemäß § 63 Abs. 3 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (BGBl. Nr. 51/1991 - AVG) in geltender Fassung
als unzulässig zurückgewiesen. "
Begründend wurde ausgeführt, mit Mitteilung über den Leistungsanspruch des Arbeitsmarktservice Wien Hietzinger Kai vom sei der Notstandshilfebezug der Beschwerdeführerin aufgrund der von ihr vorgelegten Unterlagen und ihren Angaben ab neu bemessen und mit EUR 10,24 täglich festgesetzt worden. Dagegen habe die Beschwerdeführerin Berufung eingebracht und vorgebracht, die Mitteilung als Bescheid zu qualifizieren. Bescheidqualität komme aber nur individuellen, hoheitlichen, im Außenverhältnis ergehenden, normativen (rechtsgestaltenden oder rechtsfeststellenden) Verwaltungsakten zu. Die normative Qualität eines Aktes sei primär aus seinem Inhalt abzuleiten. Nach § 47 Abs. 1 AlVG sei bei Anerkennung des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe der Leistungsbezieherin eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehe, nur bei nicht erfolgter Anerkennung des Anspruches ergehe ein Bescheid. Nach § 24 Abs. 1 iVm § 38 AlVG sei die bezugsberechtigte Person von der amtswegigen Einstellung oder Neubemessung für den Anspruch auf Notstandshilfe unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Die bezugsberechtigte Person habe das Recht, binnen vier Wochen nach Zustellung der Mitteilung einen Bescheid über die Einstellung oder Neubemessung zu begehren. Demnach habe das Arbeitsmarktservice als Verwaltungsbehörde die Neubemessung des Leistungsanspruches in Form einer Mitteilung zu erlassen. Dem werde auch in den formellen Merkmalen entsprochen, als keine Bezeichnung als "Bescheid", keine Bescheidbegründung, keine Rechtsmittelbelehrung und keine Nennung oder Unterschrift eines Organwalters des Arbeitsmarktservice in der Mitteilung aufscheine. Die bloße "Mitteilung" sei kein Bescheid. Der Ausschuss für Leistungsangelegenheiten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien sei daher zur Ansicht gekommen, dass ein Bescheid des Arbeitsmarktservice nicht vorliege und eine Berufung unzulässig sei.
Der angefochtene Bescheid ist "Für die Landesgeschäftsführerin" von einem stellvertretenden Abteilungsleiter unterfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde macht geltend, die Beschwerdeführerin habe mit ihrer Berufung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich mit der Reduktion des Tagsatzes nicht abfinden möchte, sondern vielmehr dagegen vorzugehen beabsichtige. Anbringen einer Partei, deren Bedeutung unklar sei, seien von der Behörde entweder im Sinne des offensichtlich Gemeinten zu deuten oder es sei der wahre Wille des Einschreiters durch Nachfrage (Verbesserungsauftrag) zu erforschen. Die "Berufung" hätte daher in einen Antrag auf Ausstellung eines Bescheides umgedeutet werden müssen; allenfalls hätte hiezu ein Verbesserungsauftrag erteilt werden müssen.
Die Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom an die Beschwerdeführerin lautet auszugsweise wie folgt:
"Sehr geehrte Frau (Beschwerdeführerin)
aufgrund der von Ihnen vorgelegten Unterlagen sowie Ihrer Angaben und der gesetzlichen Bestimmungen konnte das Arbeitsmarktservice Ihre Leistung wie folgt bemessen.
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Anfallstag | Vorauss. Ende | Leistungsart | Anspruch in EUR Bemessung |
Notstandshilfe Tgl. 10,24 | 1.865,50 |
Hinweise
Das angegebene voraussichtliche Leistungsende gilt
vorbehaltlich einer vorherigen Abmeldung oder des Wegfalles der Anspruchsvoraussetzungen.
Zur Beachtung
Zur Vermeidung von finanziellen Nachteilen beachten Sie bitte
die entsprechenden Hinweise über Ihre Meldepflichten auf der Rückseite dieser Mitteilung.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Arbeitsmarktservice".
Auf der Rückseite dieses Schreibens finden sich Hinweise betreffend Meldepflichten, Bezugsunterbrechung, Auszahlung und Leistungsende. Weiters wird darauf hingewiesen, dass das Arbeitsmarktservice für allfällige weitere Auskünfte und Beratungen gerne zur Verfügung stehe. Hinweise über eine allfällige Bekämpfbarkeit der Neubemessung enthält das Schreiben nicht; ebenso wenig einen Hinweis darauf, dass ein bekämpfbarer Bescheid nur binnen vier Wochen verlangt werden könne.
Dass es sich bei dieser Mitteilung des Arbeitsmarktservice um einen Bescheid handle, wird in der Beschwerde nicht (mehr) behauptet. Mangels Vorliegens eines (erstinstanzlichen) Bescheides war eine Berufung dagegen unzulässig.
Bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens kommt es nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter, sondern auf den Inhalt der Eingabe, also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an. Entscheidend ist, wie das Erklärte, also der Wortlaut des Anbringens unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel darf nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat. Bei eindeutigem Inhalt eines Anbringens sind aber davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck gebrachte Absichten und Beweggründe ohne Belang. Es ist unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann, mag auch das Begehren, so wie es gestellt worden ist, von vornherein aussichtslos oder gar unzulässig sein. Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen. Keinesfalls ist es der Behörde gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen (vgl. - unter Hinweis auf die hg. Rechtsprechung - Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 Rz 38 f).
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin ihre - an die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Hietzinger Kai gerichtete - Eingabe vom ausdrücklich als "Berufung" bezeichnet und vorgebracht, sie qualifiziere das Schreiben des Arbeitsmarktservice vom "als Bescheid iS § 62 AVG". Sie hat darüber hinaus in der Berufungsbegründung umfassend und unter Zitierung zahlreicher Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zur Bescheidqualität behördlicher Erledigungen dargelegt, aus welchen Gründen sie die erhaltene Mitteilung als durch Berufung bekämpfbaren Bescheid beurteilt. Abschließend beantragte sie, ihren Notstandshilfebezug ab 1. Oktober wieder mit EUR 22,99 festzusetzen (sowie die bislang nicht ausbezahlte Notstandshilfe für Oktober auszuzahlen).
Im Hinblick auf die umfangreichen Darlegungen der Beschwerdeführerin zur Bescheidqualität der Mitteilung und der Bezeichnung der Eingabe lag es nahe, diese Eingabe als Berufung zu beurteilen.
Unter Berücksichtigung des Begehrens, den Notstandshilfebezug wieder wie bisher festzusetzen, war aber eindeutig erkennbar, dass die Beschwerdeführerin die mit dem Schreiben vom verfügte Neubemessung bekämpfte. Ausgehend von § 24 Abs. 1 AlVG konnte diese Neubemessung aber nur dadurch bekämpft werden, zunächst die Erlassung eines Bescheides über die Neubemessung zu begehren. Die Mitteilung vom hatte keine Belehrung darüber enthalten, in welcher Weise diese Neubemessung bekämpft werden könnte. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Beschwerdeführerin bei Erhebung der "Berufung" nicht rechtsfreundlich vertreten war.
Vor dem Hintergrund der Rechtslage, wie sie sich aus § 24 Abs. 1 AlVG ergibt, besteht objektiv in einem Fall wie dem vorliegenden ein Widerspruch zwischen dem zweifelsfrei erkennbaren Rechtsschutzziel der Partei und dem von ihr zur Erreichung dieses Ziels ergriffenen, dazu aber offensichtlich ungeeigneten Mittels.
Bei dieser Sachlage ist es aber unzulässig, ungeachtet des klar erkennbaren Rechtsschutzgesuches einer unvertretenen und bislang über die Rechtsschutzmöglichkeit des § 24 Abs. 1 dritter und vierter Satz AlVG nicht ausdrücklich belehrten Partei deren Einschreiten von vornherein jene Bedeutung beizumessen, die ihr Anbringen als unzulässig und damit zur Erreichung des Rechtsschutzziels ungeeignet erscheinen lässt, ohne nicht zumindest den Versuch zu unternehmen, den erwähnten objektiven Widerspruch zwischen Rechtsschutzziel und ergriffenem Mittel in einem Verfahren gemäß §§ 13 Abs. 3 iVm 13a AVG aufzuklären.
Die Verwaltungsbehörden wären daher im vorliegenden Fall verpflichtet gewesen, vor Zurückweisung der "Berufung" der Beschwerdeführerin als unzulässig ein entsprechendes Verbesserungsverfahren durchzuführen. Dieser Verfahrensmangel war auch relevant, da bei der Einhaltung der Verfahrensvorschriften die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Sollte die Beschwerdeführerin im weiteren Verfahren den Inhalt ihrer Eingabe vom im Sinne eines Antrages auf Bescheiderlassung gemäß § 24 Abs. 1 AlVG klarstellen, ist anzumerken, dass die Frist zur Erlassung eines Bescheides erst mit dem Einlangen dieser Klarstellung (und damit des Begehrens iSd § 24 Abs. 1 vierter Satz AlVG) zu laufen beginnt.
2. Die Beschwerde rügt weiters, der angefochtene Bescheid sei neuerlich nicht von der zuständigen Behörde erlassen worden; der Bescheid sei für die Landesgeschäftsführerin und nicht für den zuständigen Ausschuss in Leistungsangelegenheiten gefertigt, auch der Spruchtext bringe dies nicht mit ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck.
Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass der nunmehr angefochtene Bescheid - im Gegensatz zu jenem Bescheid, der mit dem Erkenntnis vom aufgehoben worden war - den Hinweis enthält, dass er auf einem Beschluss eines Kollegialorgans ("durch den gemäß § 56 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 58 ... AlVG zuständigen Ausschuss") beruht, worauf auch in der Begründung ("Ausschuss für Leistungsangelegenheiten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien") verwiesen wurde. Die Fertigung der auf den Beschlüssen des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten beruhenden Berufungsbescheide durch den Landesgeschäftsführer (oder einen von ihm dazu Ermächtigten) entspricht der Rechtslage (vgl. näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0351).
3. Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am