VwGH vom 26.01.2010, 2009/08/0051

VwGH vom 26.01.2010, 2009/08/0051

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der NK in L, vertreten durch Dr. Christian Ransmayr, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Honauerstraße 2, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt.4/2008-0566-4-000789-12, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin bezog seit mit kurzen Unterbrechungen Notstandshilfe. Am teilte ihre Tochter dem Arbeitsmarktservice mit, dass die Beschwerdeführerin ab diesem Tag "krankgeschrieben" sei. Ein früherer Anspruch der Beschwerdeführerin auf Krankengeld endete wegen Erreichens der Höchstdauer am .

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice L vom wurde der Notstandshilfebezug der Beschwerdeführerin mangels Arbeitsfähigkeit eingestellt. In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin (unter anderem) wörtlich aus:

"Da ich seit krankgemeldet bin und mein gesundheitlicher Zustand sich nicht verbessert, sondern verschlechtert hat, kann ich Ihnen versichern, dass ich derzeit nicht arbeitsfähig bin und dies auch mein Arzt bestätigt. Leider kann ich Ihnen auch keinen Zeitpunkt nennen, an dem sich mein gesundheitlicher Zustand verbessert. Nicht mal mich selbst kann ich pflegen und beanspruche die Hilfe meiner ganzen Familie."

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen, da auf Grund der Angaben der Beschwerdeführerin in einer Niederschrift vom und in der Berufung vom davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (unter anderem) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (Z. 1). Nach § 7 Abs. 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

§ 8 AlVG lautet:

"Arbeitsfähigkeit

§ 8. (1) Arbeitsfähig ist, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.

(2) Der Arbeitslose ist, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.

(3) Die ärztlichen Gutachten der regionalen Geschäftsstellen einerseits und der Sozialversicherungsträger andererseits sind, soweit es sich um die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit handelt, gegenseitig anzuerkennen. Die erforderlichen Maßnahmen trifft der Bundesminister für soziale Verwaltung nach Anhören des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger."

Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es gemäß § 24 Abs. 1 AlVG einzustellen.

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der angefochtene Bescheid "im Widerspruch zu dem vor dem Landesgericht

L als Arbeits- und Sozialgericht geführten Verfahren der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung der Invaliditätspension" stehe. In diesem Verfahren seien sowohl ein unfallchirurgischorthopädisches als auch ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Beurteilung des Leistungskalküls der Beschwerdeführerin eingeholt worden. Mit Gutachten vom habe der unfallchirurgische Sachverständige ein - in der Beschwerde näher dargelegtes - Gutachten erstattet und zusammengefasst festgestellt, dass bei der Beschwerdeführerin Arbeitsfähigkeit gegeben sei. Auch das neurologisch-psychiatrische Fachgutachten vom sei zusammengefasst ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass Arbeitsfähigkeit vorliege. Der angefochtene Bescheid sei zudem auch deshalb rechtswidrig, weil die Behörde keine ärztliche Untersuchung angeordnet habe.

3. Erklärt sich eine arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle mit oder ohne Bezugnahme auf eine konkrete, ihr namhaft gemachte Arbeitsgelegenheit für arbeitsunfähig, so hat die regionale Geschäftsstelle dazu zunächst ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde nach der solcherart erfolgten Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes den Antragsteller unter Vorhalt des ihr zur Verfügung stehenden Gutachtens zur Äußerung aufzufordern, ob er - insbesondere auch im Hinblick auf die ihm zu erteilende ausführliche Rechtsbelehrung - bereit sei, eine dem Gutachten entsprechende und ihm nach § 9 AlVG zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Erst im Fall einer ablehnenden Stellungnahme trotz der genannten Vorhalte wäre die Behörde berechtigt, Arbeitsunwilligkeit anzunehmen. Nach dieser Rechtsprechung muss die Behörde dem Antragsteller nicht nur die seine Arbeitsfähigkeit bestätigenden Gutachten, sondern auch die diesem Gutachten entsprechenden und ihm nach § 9 AlVG zumutbaren Beschäftigungen vorhalten. Eine ablehnende Stellungnahme des Antragstellers nach solchen Vorhalten enthebt die Behörde von der Verpflichtung, ihm eine zumutbare Beschäftigung anzubieten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0183).

Ohne ärztliche Untersuchung im Sinne des § 8 Abs. 2 AlVG oder Vorliegen eines - in § 8 Abs. 3 AlVG den ärztlichen Gutachten der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice gleichgestellten - ärztlichen Gutachtens der Sozialversicherungsträger durfte die belangte Behörde daher nicht von der (dauernden) Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin im Sinne des § 8 Abs. 1 AlVG - also vom Vorliegen von Invalidität oder Berufsunfähigkeit im Sinne der §§ 255, 273 bzw. 280 ASVG - ausgehen.

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift unter Bezugnahme auf § 8 Abs. 3 AlVG auf die von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegte "Arbeitsunfähigkeitsbestätigung" für den Sozialversicherungsträger verweist, ist festzuhalten, dass es sich dabei nicht um das Gutachten eines Sozialversicherungsträgers über eine Invalidität oder Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin handelt, sondern um eine Bestätigung eines praktischen Arztes über die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, die als solche nicht zur Einstellung der Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung führt.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das den Ersatz der Umsatzsteuer betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

Wien, am