VwGH 12.09.2012, 2009/08/0042
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des G N jun. in D, vertreten durch Dr. Gerhard Pail, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Evangelische Kirchengasse 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz (nunmehr: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) vom , Zl. BMSK-327723/0001- II/A/3/2008, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (mitbeteiligte Parteien: 1. K C in D,
2. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67, 4. Burgenländische Gebietskrankenkasse in 7001 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in dem Ausspruch über die Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde ausgesprochen, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Tätigkeit für den Beschwerdeführer in der Zeit vom "bis laufend" der Vollversicherungspflicht und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliege.
Der Beschwerdeführer habe im März 2001 ein bis dahin von seiner Mutter betriebenes Pflegeheim übernommen. Seiner Mutter sei die Betriebsbewilligung durch die zuständige Behörde entzogen worden. Der Beschwerdeführer habe mit den im Wohnheim untergebrachten Personen bzw. mit deren gesetzlichen Vertretern bzw. Sachwaltern Mietverträge für ein Zimmer (oder den Teilbereich eines Zimmers) abgeschlossen. Mit den Mietern sei ein bestimmter Betrag vereinbart worden, welcher nicht nur den Mietzins, sondern auch einen Betrag beinhaltet habe, mit dem die sonstigen anfallenden Kosten für den Aufenthalt bezahlt worden seien. Dieser "Restbetrag" habe die Kosten für das Personal, das Essen und die notwendigen Pflegematerialien umfasst.
Der Erstmitbeteiligte habe in Polen die Ausbildung zum Physiotherapeuten und zum Röntgenassistenten absolviert. Aufgrund eines Inserats des Beschwerdeführers habe er die Arbeit im Wohnheim ab aufgenommen. Der Erstmitbeteiligte habe im Wohnheim Betreuungsarbeit geleistet, indem er die zu Pflegenden gewaschen, angezogen und gefüttert habe, aber auch Einkäufe für die Insassen erledigt habe. Das zur Pflege erforderliche Material, wie Windeln, Haarshampoo, etc. sei im Wesentlichen auch von den PflegerInnen besorgt worden, und zwar auf Rechnung und im Auftrag des Beschwerdeführers. Der Erstmitbeteiligte sei in einem Zimmer im Wohnheim untergebracht gewesen. Das Entgelt sei ihm nicht bar ausbezahlt, sondern allmonatlich, meistens bis zum Monatsfünften, auf sein Bankkonto überwiesen worden. Dabei habe es sich um einen monatlichen Betrag in der Höhe von ca. EUR 1.730,-- gehandelt. Ab März 2003 sei die Auszahlung des jeweiligen Entgelts im Wege der C.
Wirtschaftstreuhand GmbH vorgenommen worden.
Die Arbeitszeit sei so geregelt gewesen, dass für die PflegerInnen ein sogenannter "Radldienst" gegolten habe. Entweder sei an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils zwölf Stunden gearbeitet worden, worauf zwei Tage frei gewesen wären, und in der Woche darauf sei an zwei Tagen gearbeitet worden, worauf drei Tage frei gewesen seien. Die Tagesdienste hätten von 6.00 Uhr früh bis 18.00 Uhr, oder von 7.00 Uhr früh bis 19.00 Uhr gedauert. Darüber hinaus habe es auch von 19.00 Uhr bis 7.00 Uhr früh einen Nachtdienst gegeben. Die Einteilung sei in einem Dienstplan erfolgt bzw. hätten sich die PflegerInnen bei Bedarf (zB krankheitsbedingter Ausfall, etc.) die Dienstzeiten auch untereinander ausgemacht. Das Rote Kreuz habe jeden Tag - auf Bestellung der Bewohner und im Auftrag des Beschwerdeführers - das Mittagessen in Warmhaltebehältern gebracht. Das Frühstück und das Abendessen für die Bewohner sei von den PflegerInnen zubereitet worden.
Ab dem seien die PflegerInnen als Dienstnehmer zur Sozialversicherung gemeldet und gemäß dem Kollektivvertrag Hausgehilfen (Hausangestellte) Burgenland als nicht in einer Hausgemeinschaft tätige Krankenpfleger abgerechnet worden. Als Dienstgeber seien die zu pflegenden Personen angegeben worden. Dies habe zu der Situation geführt, dass ein Pfleger offiziell bis zu vier Arbeitgeber habe haben können. Bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse seien in Bezug auf das verfahrensgegenständliche Heim zumindest 22 Dienstgeberkonten auf diese Art und Weise eröffnet worden.
Dieser festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus dem Versicherungsakt der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, dem Verwaltungsakt des Amtes der Burgenländischen Landesregierung, insbesondere aus dem Gutachten von Dr. G A vom , sowie dem vorläufigen Prüfbericht von T T von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom .
Die belangte Behörde halte fest, dass sich aus dem Gutachten von Dr. A vom "" und dem vorläufigen Prüfbericht von T T von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom ohne Zweifel ergebe, dass in D, Haus Nr. 7572, ohne die entsprechenden Qualitätsvoraussetzungen ein Pflegeheim betrieben werde.
Vom Beschwerdeführer werde eingewandt, dass er lediglich die Miete für die Zimmer erhalten habe, mit der Pflege und Betreuung der Bewohner jedoch nichts zu tun habe. Die Pflege sei von den Bewohnern selbst organisiert und finanziert worden. Deswegen sei er auch nicht als Dienstgeber der Pfleger anzusehen.
Dieser Ansicht könne sich die belangte Behörde nicht anschließen. Der Beschwerdeführer habe laut den der belangten Behörde vorliegenden Einvernahmen bestimmt, welcher Pflegling als Arbeitgeber für welchen Pfleger in Betracht komme. Diese "Konstruktion" stimme allerdings nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten und dem wahren Gehalt des zugrunde liegenden Auftragsverhältnisses überein. Die Angehörigen der zu Pflegenden hätten diese Personen in das Altersheim gebracht, damit diese dort entsprechend versorgt würden. Sie seien jedoch davon ausgegangen, dass sie einen Betreuungsvertrag mit dem Beschwerdeführer abgeschlossen hätten. Keine einzige Einvernahme beinhalte auch nur den Hinweis darauf, dass sich die Angehörigen oder gar die zu Pflegenden darüber bewusst gewesen wären, dass sie nur Mieter der Räume gewesen und sie als Dienstgeber herangezogen worden seien und dass in der Folge diesbezügliche Dienstgeberkonten bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse eröffnet worden seien. Diese "Konstruktion" sei mit den Umständen, mit denen ein aufmerksamer Patient beziehungsweise Kunde oder Angehöriger zu rechnen habe, nicht in Einklang zu bringen und ein solches Auftragsverhältnis sei von den zu Pflegenden bzw. deren Angehörigen auch nicht gewollt. Dafür spreche auch die Aussage des Erstmitbeteiligten im Verwaltungsverfahren, wonach er anscheinend diese Verträge von der "Steuerberatung" erhalten, er selbst jedoch bewusst weder mündlich noch schriftlich unmittelbar mit den Pfleglingen oder deren Angehörigen ein Dienstverhältnis vereinbart habe. Wer auf Seiten der Pfleglinge bzw. deren Angehörigen unterschrieben habe, müsse dabei offen bleiben. Jedoch hätten weder die Pfleglinge (im vollen Bewusstsein) noch deren Angehörige als Sachwalter unterschrieben.
Unglaubwürdig sei diese Konstruktion aber auch, weil sie mit dem Betrieb eines Altersheims nicht vereinbar sei. Der Bewohner müsse schließlich auch gepflegt werden, wenn der "vorgesehene" Dienstnehmer frei habe, auf Urlaub oder krank sei. Die belangte Behörde sehe die tatsächlichen Verhältnisse nach vorgenommener Beweiswürdigung so, dass die PflegerInnen und damit auch der Erstmitbeteiligte je nach Arbeitseinteilung für die zu Pflegenden zuständig gewesen seien und sie gepflegt hätten. Die mit den zu Pflegenden bzw. deren Angehörigen geschlossenen Verträge (auch die mit den PflegerInnen mit eingeschlossen) würden sich als Scheinverträge erweisen und seien unbeachtlich. Vielmehr sei der Erstmitbeteiligte als Dienstnehmer für das Pflegeheim des Beschwerdeführers tätig.
Im Verwaltungsakt befindet sich ein Schreiben des Erstmitbeteiligten an die belangte Behörde, datiert mit (eingelangt nach dem Einlaufstempel jedoch am ). In diesem Schreiben gibt der Erstmitbeteiligte an, er möchte betonen, dass er in keinem Wohnheim des Beschwerdeführers gearbeitet habe, sondern privat angemeldet sei, jeweils bei Pfleglingen bzw. deren Angehörigen. Der Beschwerdeführer sei jedoch nie sein Arbeitgeber gewesen und werde es auch nie sein. Er sei dem Erstmitbeteiligten nur bei Amtswegen und Verschiedenem behilflich.
Zu diesem Schreiben führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, dass der Erstmitbeteiligte unzulässigerweise versuche, die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde vorwegzunehmen, anstatt die klare und einfache Frage, ob er die gegenständliche Tätigkeit noch ausübe, zu beantworten. Es sei nach Auffassung der belangten Behörde nur allzu deutlich, dass diese Beantwortung in ihrer Formulierung nicht vom Erstmitbeteiligten stamme, sondern sie weise eher auf die "Vertretung des Beschwerdeführers" hin.
Wie sich aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides ergebe, sei Gegenstand des Verfahrens der Zeitraum vom bis laufend. Um den Abspruch "bis laufend" bestätigen zu können, sei der Erstmitbeteiligte von der belangten Behörde befragt worden, ob er immer noch im Pflegeheim tätig sei. Auf diese Anfrage habe der Erstmitbeteiligte mit dem (eben wiedergegebenen) Schreiben vom bekannt gegeben, dass er niemals im Wohnheim des Beschwerdeführers gearbeitet habe, sondern dass er privat von den Pfleglingen bzw. deren Angehörigen angemeldet worden sei und der Beschwerdeführer daher nie sein Arbeitgeber gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei ihm nur bei Amtswegen und Verschiedenem behilflich gewesen.
Aus der Einvernahme vor der zweitinstanzlichen Behörde ergebe sich, dass der Erstmitbeteiligte im Zeitpunkt der damaligen Bescheiderlassung noch bei dem Beschwerdeführer gearbeitet habe. Für den darüber hinausgehenden Zeitraum ("bis laufend") gehe die belangte Behörde davon aus, dass der Erstmitbeteiligte weiter die verfahrensgegenständliche Tätigkeit ausgeübt habe beziehungsweise ausübe. Nach Auffassung der belangten Behörde sei dies der ausweichenden Antwort mittelbar zu entnehmen. Würde er nicht mehr dort arbeiten, würde er nicht fast wörtlich die Argumentation des Heimleiters übernehmen, zumal er bei der Einvernahme vor der zweitinstanzlichen Behörde selbst angegeben habe, die Konstruktion mit den "Pfleglingen als Dienstgeber" nicht verstanden zu haben. Im Falle der Beendigung der Tätigkeit wäre es ihm ein Leichtes gewesen, diese Tatsache und das Datum der Behörde bekannt zu geben. Im Wesentlichen gehe die belangte Behörde aber von einer laufenden Beschäftigung aus, weil der Erstmitbeteiligte an der Anschrift des Heimes erreichbar gewesen sei und diese auch bei seinem Rückantwortschreiben angegeben habe.
Wie sich aus der Beweiswürdigung ergebe, sei das Altersheim auf Rechnung und Gefahr des Beschwerdeführers geführt worden. Er sei nicht nur für den reibungslosen "Betrieb" verantwortlich, sondern habe vielmehr auch die Ausgaben getragen, die Immobilie zur Verfügung gestellt und die Einnahmen vereinnahmt. Auch die vorliegenden "Treuhandvereinbarungen" sprächen dafür. So werde beispielsweise in der Treuhandvereinbarung mit Herrn F. festgehalten, dass dieser dem Beschwerdeführer monatlich EUR 1.308,-- übergebe. Dieser Betrag umfasse die Miete und die Betriebskosten. Der Restbetrag von EUR 1.177,33 werde treuhändig für die Bezahlung Dritter weitergegeben (zB Personal, Essen, Pflegematerialien, etc.), wobei diese Hilfestellung (gemeint sei die Weitergabe) vom Beschwerdeführer unentgeltlich erbracht werde.
Daraus ergebe sich, dass die gesamten Beträge vom Beschwerdeführer vereinnahmt worden seien, wobei es in seinem Ermessen gestanden habe, die jeweilig zu bezahlenden Beträge aufzuteilen. Dass er an die C. Wirtschaftstreuhand GmbH das Entgelt der PflegerInnen übergeben habe und diese schlussendlich die Auszahlung vorgenommen habe, habe jedoch keinen Einfluss auf die Beurteilung, wer Dienstgeber sei, da hier nur die auszahlende Stelle benannt werde. Die Aufgabe des Beschwerdeführers als Leiter des Heimes habe auch darin gelegen, dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche Pflegematerialien vorhanden seien, und zwar einschließlich der Versorgung mit Essen und die Ausbezahlung dieser Kosten.
Sämtliche Einnahmen und Ausgaben seien über den Beschwerdeführer gelaufen, ihn habe das unternehmerische Risiko getroffen und er sei für die Beschäftigung der PlegerInnen zuständig gewesen und habe die PflegerInnen auch ausgesucht und eingestellt bzw. vom vormaligen Betrieb seiner Mutter übernommen. Es gebe für die belangte Behörde keinen Grund daran zu zweifeln, dass er das verfahrensgegenständliche Altersheim auf seine Rechnung und Gefahr geführt habe und dass er in allen notwendigen Bereichen die Möglichkeit der unternehmerischen Disposition gehabt habe. Die Zuhilfenahme von Mietverträgen, Treuhandvereinbarungen, Auszahlungen des Lohnes durch die C. Wirtschaftstreuhand GmbH sowie die Eröffnung von über zwanzig Dienstgeberkonten könnten nur als ein Versuch zur Umgehung von sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen angesehen werden.
Die Beantwortung der Frage, ob bei Erfüllung einer übernommenen Arbeitspflicht (also der Beschäftigung) die Merkmale persönlicher Abhängigkeit einer Person vom Empfänger der Arbeit gegenüber jenen persönlicher Unabhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG überwiegen würden, hänge nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs davon ab, ob nach dem Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Beschäftigung die Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch die Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet oder - wie bei anderen Formen der Beschäftigung - nur beschränkt sei.
Wesentliches Merkmal der persönlichen Abhängigkeit sei Fremdbestimmung im Sinne von (persönlicher) Weisungsgebundenheit. Diese liege dann vor, wenn der Dienstnehmer seine Arbeitsleistung nicht nach eigenen Vorstellungen gestalten könne, sondern an die Anordnungen des Beschäftigers gebunden sei und somit über seine Arbeitskraft während eines längeren Zeitraums nicht verfügen könne. Dies betreffe nicht nur Inhalt der Arbeitspflicht, sondern auch Zeit, Ort und sonstige Umstände der Leistungserbringung (etwa persönliche Leistungspflicht und Weisungs- und Kontrollbefugnisse).
Die Kriterien, die für die Annahme (überwiegender) persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Einzelnen beachtlich seien, habe der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur ausführlich dargelegt. Die persönliche Abhängigkeit charakterisiere der Gerichtshof dabei als weitgehende Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten, die sich insbesondere in seiner Unterwerfung unter betriebliche Ordnungsvorschriften, seiner Verpflichtung zur Befolgung von Weisungen des Dienstgebers, der Überwachung der Arbeit durch den Dienstgeber und die disziplinäre Verantwortlichkeit des Dienstnehmers äußere.
Wie sich aus den obigen Ausführungen ergebe, sei der Erstmitbeteiligte an den Arbeitsort gebunden gewesen und habe im Rahmen des "Radldienstes" eine bestimmte Arbeitszeit einzuhalten gehabt. Er habe die Weisungen des Beschwerdeführers zu befolgen gehabt und sei in den Betrieb des Altersheims eingegliedert gewesen.
Die wirtschaftliche Abhängigkeit finde nach der Rechtsprechung ihren sinnfälligen Ausdruck im Fehlen der im eigenen Namen auszuübenden Verfügungsmacht über die nach dem Einzelfall für den Betrieb wesentlichen organisatorischen Einrichtungen und Betriebsmittel und werde bei entgeltlichen Arbeitsverhältnissen durch die persönliche Abhängigkeit indiziert.
Die Entgeltlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses sei unbestritten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde abzuweisen. Die mitbeteiligte Unfallversicherungsanstalt verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse beteiligte sich nicht am verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Der Erstmitbeteiligte gab eine Stellungnahme ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG sind die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Versicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet.
Dienstnehmer im Sinn dieses Bundesgesetzes ist gemäß § 4 Abs. 2 ASVG, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbstständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.
Gemäß § 35 Abs. 1 erster Satz ASVG gilt als Dienstgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgelts verweist.
Gemäß § 539a Abs. 1 ASVG ist für die Beurteilung von Sachverhalten nach dem ASVG in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgeblich. Durch den Missbrauch von Formen und durch Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts können Verpflichtungen nach dem ASVG gemäß Abs. 2 der genannten Bestimmung nicht umgangen oder gemindert werden. § 539a Abs. 3 ASVG sieht vor, dass ein Sachverhalt so zu beurteilen ist, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu beurteilen gewesen wäre. Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen sind für die Feststellung eines Sachverhaltes nach dem ASVG gemäß § 539a Abs. 4 ASVG ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Beurteilung maßgeblich.
2. Die Organisation des vom Beschwerdeführer betriebenen Pflegeheims stellt sich nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid derart dar, dass die Heimbewohner mit dem Beschwerdeführer einen "Mietvertrag" für ein Zimmer oder einen Teil eines Zimmers abschlossen und monatlich ein Betrag zu zahlen war, der nicht nur die "Miete", sondern auch sonst anfallende Kosten des Aufenthalts, wie Personalkosten, Essen und Pflegematerialien, abdeckte. Die im Pflegeheim beschäftigten Pflegerinnen und Pfleger wurden bei der Gebietskrankenkasse als Dienstnehmer gemeldet, wobei als deren Dienstgeber die jeweils zu pflegenden Heimbewohner angegeben wurden. Der Beschwerdeführer nahm die von den Heimbewohnern zu leistenden Beiträge entgegen und führte die Auszahlung des Entgelts an die Pflegekräfte über eine Wirtschaftstreuhandkanzlei durch.
2.1. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass der Erstmitbeteiligte durch die verfahrensgegenständliche Tätigkeit Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit vom Beschwerdeführer bezogen habe. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum habe der Beschwerdeführer lediglich Zimmer (per Mietvertrag) an Personen vermietet, welche dagegen - sofern eine Pflege benötigt worden sei - einen Arbeitsvertrag mit beispielsweise dem Erstmitbeteiligten abgeschlossen hätten.
In der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheids gehe die belangte Behörde davon aus, dass es sich bei dieser "Konstruktion" (zB Miet- und Treuhandvertrag mit dem Beschwerdeführer) offensichtlich um ein Umgehungsgeschäft handle, dies ohne die tatsächlichen Mieter und Treuhandgeber als Zeugen befragt zu haben.
2.2. Zu dem behaupteten Verfahrensmangel, dass die belangte Behörde die "tatsächlichen Mieter und Treuhandgeber" (also die vom Erstmitbeteiligten gepflegten Personen) nicht als Zeugen befragt habe, ist zunächst anzumerken, dass der Beschwerdeführer es verabsäumt, die Relevanz eines solchen Verfahrensmangels darzulegen. Er führt nicht weiter aus, zu welchem Zweck diese Zeugeneinvernahmen durchgeführt hätten werden sollen und welche daraus gewonnenen Beweisergebnisse zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt hätten.
Die belangte Behörde hat die Existenz der vertraglichen Konstruktion mit Miet- und Treuhandverträgen zum Beschwerdeführer außerdem nicht angezweifelt, sondern den Schluss gezogen, dass es sich dabei um Umgehungsgeschäfte handle. Diese Beurteilung stellt jedoch eine Rechtsfrage und keine Tatfrage dar; Rechtsfragen können aber nicht von Zeugen beantwortet werden.
2.3. Die Schlussfolgerung der belangten Behörde, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen vertraglichen Konstruktion um Umgehungsgeschäfte im Sinne des § 539a ASVG handelt, begegnet vor dem Verwaltungsgerichtshof keinen Bedenken:
Die Dienstgebereigenschaft im Sinne des § 35 ASVG ist in Abhängigkeit von der Beantwortung der Frage zu beurteilen, wer nach rechtlichen (und nicht bloß tatsächlichen) Gesichtspunkten aus den im Betrieb getätigten Geschäften, zu denen auch die Beschäftigung von Personen gehört, unmittelbar berechtigt und verpflichtet wird, wen also demnach das Risiko des Betriebes im Gesamten unmittelbar trifft. Nicht entscheidend für die Dienstgebereigenschaft einer aus der Betriebsführung unmittelbar berechtigten und verpflichteten Person ist es, ob sie den Betrieb selbst oder durch dritte Personen (Organe, Bevollmächtigte, Beauftragte, Familienangehörige, Dienstnehmer usw.) führt, wenn ihr nur (auch) im Falle der Betriebsführung durch dritte Personen (weiterhin) zumindest die rechtliche Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Betriebsführung zusteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/08/0222).
Aus den unbedenklichen Feststellungen der belangten Behörde geht hervor, dass der Beschwerdeführer als Leiter des Pflegeheims über die monatlichen Ein- und Ausgaben disponierte und den wesentlichen organisatorischen Rahmen des Pflegeheims bestimmte, etwa durch die Erstellung von Dienstplänen und die Auswahl neuer Beschäftigter. Er verfügte über die von den Bewohnern eingenommenen Mittel und deren Verwendung für die im Pflegeheim anfallenden Ausgaben. Er war damit alleiniger Träger des unternehmerischen Risikos. Den Heimbewohnern kamen hingegen keine vergleichbaren Gestaltungsmöglichkeiten zu. Sie leisteten eine monatliche Zahlung an den Beschwerdeführer und erwarteten von diesem als Gegenleistung die Bereitstellung einer Wohnmöglichkeit, von Mahlzeiten und verschiedenen Pflegeleistungen. Es besteht daher kein Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer und nicht die vom Erstmitbeteiligten gepflegten Personen Dienstgeber des Erstmitbeteiligten im Sinne des § 35 ASVG war.
2.4. Soweit der Beschwerdeführer weiters - unter Urkundenvorlage - behauptet, der Erstmitbeteiligte sei ab Arbeitslosengeldbezieher und ab selbständig tätig gewesen und scheide spätestens zu diesem Zeitpunkt aus der Pflichtversicherung nach dem ASVG aus, weil er der gewerblichen Sozialversicherung unterliege, stellt dieses Vorbringen eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar. Darüber hinaus legt der Beschwerdeführer nicht dar, weshalb der Bezug von Arbeitslosengeld oder die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit eine Pflichtversicherung nach dem ASVG generell ausschließen solle.
3. Der angefochtene Bescheid leidet jedoch an einer im Rahmen des Beschwerdepunkts liegenden Rechtswidrigkeit, die amtswegig aufzugreifen war:
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat im Spruch ihres erstinstanzlichen Bescheids nur über die Pflichtversicherung nach dem ASVG abgesprochen. Sie hat aber nicht zugleich auch ausgesprochen, dass die Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG besteht. Die zweitinstanzliche Behörde hat dem gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und damit den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt. Die Pflichtversicherung nach dem AlVG war damit nicht die Sache des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens und die belangte Behörde hat die Sache des Verfahrens insofern überschritten, als sie auch eine Pflichtversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG ausgesprochen hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/08/0206 und vom , Zl. 99/08/0146).
4. Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich des Ausspruches über die Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das den Ersatz der Pauschalgebühr betreffende Kostenmehrbegehren war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | AlVG 1977 §1 Abs1 lita; ASVG §35; ASVG §4 Abs1 Z1; ASVG §4 Abs2; ASVG §539a; AVG §66 Abs4; VwGG §42 Abs1; VwGG §42 Abs2 Z2; |
Schlagworte | Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2009080042.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAE-89571