VwGH vom 15.09.2011, 2011/15/0126

VwGH vom 15.09.2011, 2011/15/0126

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der A H in S, vertreten durch Dr. Elisabeth Zonsics-Kral, Rechtsanwältin in 2100 Korneuburg, Hovengasse 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zlen. RV/0214-W/08, RV/1056-W/08, RV/1436-W/08 und RV/1635-W/10, betreffend Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2003 sowie Einkommensteuer 2005 bis 2008, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde, der Beschwerdeergänzung und dem in Kopie vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin erzielt seit dem Jahr 2002 Einkünfte aus der Vermietung eines Gebäudes in S, E-Straße 41. Ihrer für das Jahr 2002 eingereichten Einkommensteuererklärung fügte die Beschwerdeführerin ein Gutachten über den Verkehrswert sowie die Restnutzungsdauer des Gebäudes bei. Unter Hinweis auf dieses Gutachten legte die Beschwerdeführerin der Abschreibung des Gebäudes eine Restnutzungsdauer von 15 Jahren zu Grunde.

Das Finanzamt unterzog die Ermittlung der Abschreibung bei der Veranlagung für das Jahr 2002 keiner Überprüfung. Erst im Rahmen einer für das Veranlagungsjahr 2003 ergangenen Berufungsvorentscheidung vom nahm das Finanzamt eine Kürzung des Afa-Satzes vor. Die Berufungsvorentscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin, die Berufungsvorentscheidung gemäß § 299 BAO aufzuheben, weil mit der Anerkennung der Gebäudeabschreibung für das Jahr 2002 das Recht des Finanzamtes auf Überprüfung der Restnutzungsdauer erloschen sei.

Das Finanzamt wies den Aufhebungsantrag ab. Dass das von der Beschwerdeführerin der Einkommensteuererklärung 2002 angeschlossene Gutachten zunächst unbeanstandet geblieben sei, hindere die Abgabenbehörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht daran, die Abschreibung in späteren Veranlagungszeiträumen dem Gesetz entsprechend zu bemessen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung rügte die Beschwerdeführerin, dass das Finanzamt in seiner Berufungsvorentscheidung gegen das Überraschungsverbot verstoßen habe. Weiters legte die Beschwerdeführerin zum Nachweis der strittigen Restnutzungsdauer eine mit datierte Gutachtensergänzung vor.

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung brachte die Beschwerdeführerin einen Vorlageantrag ein. In diesem sowie in Berufungen gegen die (zwischenzeitig ergangenen) Einkommensteuerbescheide 2005 bis 2008 vertrat die Beschwerdeführerin die Ansicht, dass das beabsichtigte Abgehen von der bereits anerkannten Restnutzungsdauer eines ausdrücklichen Vorbehaltes bedurft hätte. Nach Durchführung der Veranlagung für das Jahr 2002 habe die Beschwerdeführerin darauf vertrauen dürfen, dass das von ihr vorgelegte Gutachten zur Begründung einer kürzeren Abschreibungsdauer ausreiche. Die Beschwerdeführerin habe im Jahr 2002 von ihrem Wahlrecht, eine kürzere als die gesetzliche Nutzungsdauer anzusetzen, Gebrauch gemacht. Damit habe sowohl die Beschwerdeführerin selbst als auch das Finanzamt das eingeräumte Wahlrecht konsumiert. Eine nachträgliche Änderung des AfA-Satzes sei nicht mehr möglich.

Zudem habe sich das Finanzamt mit dem ergänzten Sachverständigengutachten nicht ausreichend auseinandergesetzt. Der Sachverständige beschreibe darin - auch unter Verweis auf eine entsprechende Fotodokumentation - den (mangelhaften) Zustand des Gebäudes und komme unter ausführlicher Bezugnahme auf einschlägige Fachliteratur zum Ansatz einer Restnutzungsdauer von (lediglich) 15 Jahren.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufungen als unbegründet ab. Gemäß § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 könnten bei Gebäuden, die der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dienten, ohne Nachweis der Nutzungsdauer jährlich 1,5 % der Bemessungsgrundlage als AfA geltend gemacht werden. Eine kürzere Nutzungsdauer müsse vom Steuerpflichtigen nachgewiesen werden. Das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten sei nicht geeignet, eine kürzere Nutzungsdauer erweislich zu machen.

Der Gutachter habe nicht einmal einen Befund erhoben. Vielmehr werde im Gutachten ausdrücklich festgehalten, dass eine eingehende Besichtigung nicht möglich gewesen wäre. Auch in seiner Gutachtensergänzung habe der Gutachter erklärt, dass nur eine "optische Wahrnehmung" erfolgt sei. Es seien weder "Eingriffe in die Konstruktion" erfolgt, noch würden Angaben hinsichtlich der Statik und der genauen Aufbauten vorliegen. Detaillierte Erhebungen bei der Baubehörde, insbesondere hinsichtlich etwaiger Mängel, seien nicht durchgeführt worden. Wenn der Gutachter weiter ausführe, dass "möglicherweise" bauphysikalische Probleme vorlägen, äußere er damit eine bloße Vermutung. Gehörige Befundung und Begutachtung könnten nicht durch einen Hinweis auf beiliegende Fotos ersetzt werden. Davon abgesehen, vermittelten die Fotos nur einen äußeren Eindruck, Anhaltspunkte für den technischen Bauzustand könnten daraus nicht gewonnen werden. Inwiefern aufsteigende oder eindringende Feuchtigkeit und die nicht näher beschriebene Beeinträchtigung der Dachkonstruktion zu Schäden an der Bausubstanz geführt hätten, ließe sich den Ausführungen des Gutachters nicht entnehmen. Damit fehle dem Gutachten ein nachvollziehbarer Bezug zwischen Befund und der vom Gutachter angenommenen Restnutzungsdauer. Der Gutachter beziehe sich lediglich auf einschlägige Literatur zur Liegenschaftsbewertung, ohne zu begründen, an Hand welcher Befunde er gerade zu einer "wirtschaftlichen mittleren" Restnutzungsdauer von 15 Jahren gelangt sei. Die Aussage zur Restnutzungsdauer ginge daher letztlich nicht über den Rahmen einer Behauptung hinaus.

Solcherart sei das Finanzamt zu Recht davon ausgegangen, dass das Gutachten keine taugliche Grundlage für die Annahme einer kürzeren als der gesetzlichen Nutzungsdauer bilde. Das von der Beschwerdeführerin angesprochene Wahlrecht, eine kürzere Nutzungsdauer nachzuweisen, sei nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ein Recht des Steuerpflichtigen. Der Abgabenbehörde räume das Gesetz keinen Vollzugsspielraum ein. Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , 2002/13/0112, vielmehr ausgesprochen, dass es den Abgabenbehörden unbenommen sei, die vom Steuerpflichtigen angewandten Abschreibungssätze zunächst unbeanstandet zu lassen und erst für spätere Veranlagungszeiträume eine entsprechende Nachweisführung zu verlangen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom , B 341/11, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

In der für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ergänzten Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht verletzt, "einen höheren Abschreibungssatz als den gesetzlichen in Höhe von 1,5 % der Bemessungsgrundlage gem. § 16 Abs. 1 Z. 8 lit e) EStG 88 geltend zu machen". Im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflicht sei die Behörde gehalten, nach der genannten Gesetzesstelle gestellte Anträge entsprechend zu prüfen. Durch die antragsgemäße Veranlagung des Kalenderjahres 2002 habe die Behörde "akzeptiert", dass die Beschwerdeführerin von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht habe. Sollte die Behörde nachträglich zum Schluss kommen, dass die Voraussetzungen des Nachweises nicht erfüllt seien, bliebe es ihr unbenommen, im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens des ersten Jahres die entsprechenden Korrekturen vorzunehmen. Die Forderung eines nachträglichen Nachweises finde im Gesetz hingegen keine Deckung. Der angefochtene Bescheid greife in den Grundsatz von Treu und Glauben ein, weil der Steuerpflichtige davon ausgehen könne, dass "sein Wahlrecht akzeptiert" worden sei, wenn die Behörde im ersten Jahr eine antragsgemäße Veranlagung vornehme. Oftmals würden "sämtliche weiteren Dispositionen im Vermögen auf diese Akzeptanz abgestimmt, da davon z.B. die möglichen Tilgungen im Fremdkapital bzw. die Durchführung von kostenintensiven Sanierungen" abhingen. Durch höhere, unvorhersehbare Einkommensteuerbelastungen sei die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gefährdet, "da damit sämtliche Prognosen mit einer zusätzlichen immensen Unvorhersehbarkeit belastet" würden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde erwogen:

Gemäß § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 können bei Gebäuden, die nicht zu einem Betriebsvermögen gehören und die der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dienen, ohne Nachweis der Nutzungsdauer jährlich 1,5 % der Bemessungsgrundlage als AfA geltend gemacht werden. Mit dieser Vorschrift stellt das Gesetz die Vermutung im Sinne des § 167 Abs. 1 BAO auf, dass die Nutzungsdauer eines Gebäudes, das der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dient, 66 2/3 Jahre und nicht weniger beträgt; die Beweislast für die Widerlegung dieser Vermutung mit der Behauptung des Vorliegens einer kürzeren Restnutzungsdauer trifft den Steuerpflichtigen, wobei ein solcher Beweis im Regelfall durch die Vorlage eines Sachverständigengutachtens zu erbringen ist (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 2004/15/0006).

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Feststellung der belangten Behörde, dass das im Verwaltungsverfahren von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten ungeachtet seiner späteren Ergänzung zum Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer ungeeignet gewesen sei. Aus dem Umstand aber, dass das Gutachten im "ersten Jahr" der Vermietung unbeanstandet blieb, ist für die Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen. Die Abgabenbehörde ist vielmehr - worauf die belangte Behörde zu Recht hingewiesen hat - hinsichtlich jedes einzelnen Veranlagungszeitraumes verpflichtet, die Abgaben dem Gesetz entsprechend zu bemessen. An dieser Verpflichtung ändert es nichts, wenn die Behörde den von der Beschwerdeführerin angewandten Abschreibungssatz zunächst (für das Jahr 2002) der Abgabenfestsetzung zu Grunde gelegt und erst für die folgenden Veranlagungszeiträume eine entsprechende Nachweisführung verlangt hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2001/13/0135, und vom , 2002/13/0112).

Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer allenfalls auch unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung für die Vergangenheit. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Grundsatz von Treu und Glauben nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zum Tragen (vgl. zusammenfassend die bei Ritz, BAO3, § 114 Tz. 7ff, referierte Rechtsprechung). Es müssen besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Rechtsauffassung durch die Abgabenbehörde unbillig erscheinen lassen, wie dies z. B. der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der (zuständigen) Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wird und sich nachträglich die Unrichtigkeit derselben herausstellt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 93/15/0076, und vom , 94/15/0104). Derartige besondere Umstände sind im Beschwerdefall nicht zu erkennen.

Überdies kann der Grundsatz von Treu und Glauben nur insoweit Auswirkungen zeitigen, als das Gesetz der Vollziehung einen Vollzugsspielraum einräumt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2004/14/0076). Ein solcher Vollzugsspielraum bestand bei Festsetzung der Einkommensteuer (der Ermittlung des anzuwendenden AfA-Satzes auf der Grundlage der Bestimmung des § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988) nicht. Auch deswegen vermag der angesprochene Grundsatz der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am