VwGH vom 02.05.2012, 2009/08/0002

VwGH vom 02.05.2012, 2009/08/0002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Opernring 8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMSK-328994/0001- II/A/3/2008, betreffend Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei: H H in W, vertreten durch die Dr. Wolfgang Schimek Rechtsanwalt GmbH in 3300 Amstetten, Graben 42), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen - im Instanzenzug ergangenen - Bescheid (soweit im Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung) stellte die belangte Behörde fest, die Mitbeteiligte sei vom bis der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG unterlegen (Spruchpunkt II); weiter stellte sie fest, die Mitbeteiligte sei vom bis nicht der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG unterlegen (Spruchpunkt III).

Die belangte Behörde ging von folgendem Sachverhalt aus:

Die Mitbeteiligte sei Eigentümerin einer Liegenschaft in G, auf welcher ein Campingplatz betrieben werde. Mit Notariatsakt vom habe die Mitbeteiligte diese Liegenschaft an ihren Ehemann "verpachtet" (laut der in den Akten des Verwaltungsverfahrens befindlichen Vertragsurkunde: Einräumung eines Fruchtgenussrechtes). Am habe die Mitbeteiligte der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt mitgeteilt, dass sie per das Fruchtgenussrecht des Campingplatzes ihrem Ehemann eingeräumt habe.

Die Mitbeteiligte sei als Inhaberin einer Gewerbeberechtigung für "Gastgewerbe" und "Betrieb eines Campingplatzes" Mitglied der Wirtschaftskammer gewesen. Mit Eingabe vom habe die Mitbeteiligte der Wirtschaftskammer den Nichtbetrieb der Gewerbeberechtigung angezeigt. Am habe die Wirtschaftskammer die Ruhendmeldung des Gewerbes der Mitbeteiligten bestätigt und (u.a.) die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt hievon verständigt.

Die Mitbeteiligte habe im Juli 2003 zwei Leistungen aus der Krankenversicherung bezogen; von August bis Oktober 2003 habe sie keine Leistungen aus der Krankenversicherung bezogen. Sie habe von Juni bis Oktober 2003 keine Leistungen aus der Pensionsversicherung in Anspruch genommen.

Der Ausnahmetatbestand von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG sei dann erfüllt, wenn das Gewerbe tatsächlich nicht ausgeübt werde, also der Betrieb ruhe, und das Ruhen des Gewerbes angezeigt worden sei. Die Ruhendmeldung eines Gewerbes erfolge gemäß § 93 Abs. 1 GewO erst mit der Anzeige des Ruhens an die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft. Die Mitbeteiligte habe den Nichtbetrieb der Gewerbeberechtigung mit Eingabe vom angezeigt; ab gelte das Gewerbe der Mitbeteiligten somit jedenfalls als ruhend.

Die Mitbeteiligte habe der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt aber bereits am mitgeteilt, dass sie das Fruchtgenussrecht am Campingplatz in G ihrem Ehemann schon zum eingeräumt habe. Dies sei als rückwirkende Ruhendmeldung ab Juni 2003 zu werten. Die Ausnahme von der Kranken- und Pensionsversicherung wirke gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 letzter Satz GSVG in die vor der Anzeige liegende Zeit des Ruhens (längstens bis zu 18 Monate) zurück, wenn in dieser Zeit keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung in Anspruch genommen werden. Da die Mitbeteiligte im Juli 2003 noch Leistungen aus der Krankenversicherung in Anspruch genommen habe, könne eine rückwirkende Ausnahme aus der Krankenversicherung nicht festgestellt werden. Da die Mitbeteiligte aber keine Leistungen aus der Pensionsversicherung in Anspruch genommen habe, sei eine rückwirkende Ausnahme aus der Pensionsversicherung ab festzustellen.

Gegen Spruchpunkt III dieses Bescheides wendet sich die vorliegende Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die Mitbeteiligte erwogen hat:

1. Die Beschwerde macht zusammengefasst geltend, das Schreiben der Mitbeteiligten vom sei nicht als rückwirkende Ruhendmeldung ab zu werten. Eine Rückwirkung würde voraussetzen, dass die Mitbeteiligte der Wirtschaftskammer den Nichtbetrieb der Gewerbeberechtigung mit angezeigt und die Wirtschaftskammer diese rückwirkende Ruhendmeldung akzeptiert hätte.

2. Gemäß § 2 Abs. 2 Z 1 GSVG sind die Mitglieder der Kammern der gewerblichen Wirtschaft, soweit es sich um natürliche Personen handelt, auf Grund dieses Bundesgesetzes in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung pflichtversichert.

Gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG (idF vor BGBl. Nr. 412/1996) waren Personen, die das Ruhen ihres Gewerbebetriebes bzw. ihrer Befugnis zur Ausübung der die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründenden Erwerbstätigkeit angezeigt haben, für die Dauer des Ruhens von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung ausgenommen.

Mit BGBl. Nr. 412/1996 wurde dem § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG folgender Halbsatz angefügt:

"die Ausnahme von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung oder Pensionsversicherung wirkt auch in die vor der Anzeige liegende Zeit des Ruhens, längstens jedoch bis zu 18 Monaten vor der Anzeige, zurück, wenn der Versicherte in dieser Zeit keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung in Anspruch genommen hat".

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 GSVG endet die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung bei den im § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG genannten Pflichtversicherten mit dem Letzten des Kalendermonates, in dem die die Pflichtversicherung begründende Berechtigung erloschen ist; bei Eintritt eines Ausnahmegrundes endet die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung mit dem Letzten des Kalendermonates, in dem der Ausnahmegrund eintritt (§ 7 Abs. 1 Z 7 GSVG). Auch die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung endet bei den im § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG genannten pflichtversicherten Kammermitgliedern mit dem Letzten des Kalendermonates, in dem die die Pflichtversicherung begründende Berechtigung erloschen ist (§ 7 Abs. 2 Z 1 GSVG), bzw. bei Eintritt eines Ausnahmegrundes mit dem Letzten des Kalendermonates, in dem der Ausnahmegrund eintritt (§ 7 Abs. 2 Z 6 GSVG).

3. Zu § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG idF vor BGBl. Nr. 412/1996 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, aus dem Umstand, dass das Ruhen der Gewerbeausübung nach § 93 Gewerbeordnung 1973 (nunmehr:

§ 93 (Abs. 1) Gewerbeordnung 1994) binnen drei Wochen zu melden sei, sei abzuleiten, dass eine über diese Frist hinausgehende rückwirkende Ruhendmeldung nicht zulässig ist (Erkenntnis vom , Zl. 91/08/0090, VwSlg. 14027 A/1994; vgl. auch die Erkenntnisse vom , Zl. 95/08/0346, vom , Zl. 2001/08/0003, und vom , Zl. 2004/08/0182, welche sich jeweils auf Rechtslagen vor BGBl. Nr. 412/1996 beziehen).

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu BGBl. I Nr. 412/1996, mit welchem - wie oben bereits geschildert - u. a. dem § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG ein Halbsatz über eine unter bestimmten Voraussetzungen zulässige Rückwirkung von höchstens 18 Monaten angefügt wurde, wurde ausgeführt (215 BlgNR 20. GP, 11 f):

"Da die Wirtschaftskammern mit dem Hinweis, es handle sich bloß um eine Ordnungsvorschrift, auch über die dreiwöchige Meldefrist des § 93 Gewerbeordnung hinaus rückwirkende Meldungen des Ruhens des Gewerbebetriebes zulassen, hat auch die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft rückwirkende Ausnahmen von der Pflichtversicherung vorgenommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Z 91/008/0090, entschieden, daß eine über die dreiwöchige Anzeigefrist des § 93 Gewerbeordnung zurückreichende Nichtbetriebsmeldung keine Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG für die Vergangenheit begründen kann. Die Auslegung des Verwaltungsgerichtshofes führt in der Praxis jedoch zu ungewünschten Ergebnissen. Demgegenüber ergeben sich durch die Anerkennung einer rückwirkenden Ruhendmeldung als Ausnahmegrund für die Pflichtversicherung nach dem GSVG insbesondere in den Fällen eines gewerblichbäuerlichen Mischbetriebes Durchführungsschwierigkeiten im Verhältnis der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft zur Sozialversicherungsanstalt der Bauern.

Es wurde daher die Möglichkeit der rückwirkenden Ruhendmeldung durch eine achtzehnmonatige Frist eingeschränkt. Weiter soll die Rückwirkung auch auf jene Fälle beschränkt sein, in denen keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung bezogen wurden, um eine nur schwer durchführbare Rückabwicklung auszuschließen."

4. Die Anzeige des Ruhens kann demnach auch in die vor der Anzeige liegende Zeit des Ruhens - und zwar bis zu 18 Monate vor der Anzeige - zurückwirken. Diese Rückwirkung tritt nur dann ein, wenn der Versicherte in dieser Zeit keine Leistungen aus dem jeweiligen Zweig der Pflichtversicherung in Anspruch genommen hat.

Dass die Mitbeteiligte im hier zu beurteilenden Zeitraum eine Leistung aus der Pensionsversicherung in Anspruch genommen hätte, wird auch von der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt nicht behauptet, sodass die zuletzt genannte Voraussetzung (hinsichtlich der hier nur mehr zu prüfenden Ausnahme von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung) erfüllt ist.

5. Die Erfüllung des Ausnahmetatbestandes setzt (weiterhin) voraus, dass das Ruhen des Gewerbebetriebes angezeigt wird und - da die Ausnahme von der Pflichtversicherung nur für die Dauer des Ruhens gilt - der Betrieb tatsächlich ruht.

Gemäß § 93 (Abs. 1) GewO 1994 muss der Gewerbetreibende das Ruhen und die Wiederaufnahme der Gewerbeausübung binnen drei Wochen der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft anzeigen.

Ein Verstoß gegen diese Anzeigepflicht begründet eine Verwaltungsübertretung (§ 368 GewO 1994;

vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3, § 93 Rz 3). Im Hinblick auf die durch BGBl. Nr. 412/1996 geänderte Rechtslage zu § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG ist aus einer Fristversäumung der Anzeige aber nicht mehr abzuleiten, dass eine verspätet erfolgte Anzeige nicht zurückwirkt (vgl. dem gegenüber § 93 Abs. 2 und 3 GewO 1994 idF BGBl. I Nr. 42/2008, wonach bei Versicherungsvermittlern und Immobilientreuhändern eine Anzeige des Ruhens im Nachhinein unzulässig und unwirksam ist).

Die Mitbeteiligte wäre zwar im Übrigen auch nach § 18 Abs. 1 GSVG verpflichtet gewesen, den Eintritt (oder den Wegfall) eines Ausnahmegrundes nach § 4 GSVG binnen einem Monat nach dessen Eintritt dem Versicherungsträger zu melden. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung begründet jedoch ebenfalls nur eine Verwaltungsübertretung (§ 23 GSVG), ändert aber nichts an der (möglichen) Rückwirkung der Anzeige des Ruhens nach § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG (vgl. dem gegenüber § 7 Abs. 4 Z 1 GSVG, wonach ein Verstoß gegen die Meldepflicht dort bewirkt, dass die Pflichtversicherung - der in § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG genannten Personen - erst mit dem Ende des Kalenderjahres und nicht bereits mit dem Letzten des Kalendermonats endet, es sei denn, der Versicherte macht glaubhaft, dass er die betrieblichen Tätigkeiten zu einem früheren Zeitpunkt beendet hat).

6. Eine Anzeige des Ruhens der Gewerbeausübung gegenüber der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft erfolgte unstrittig am . Bereits zuvor hatte die Mitbeteiligte der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt (mit einem mit datierten, bei der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt am eingelangten Schreiben) eine "Veränderung der Erwerbstätigkeit" mitgeteilt, in welcher sie anführte, sie habe "per " ihrem Ehemann das Fruchtgenussrecht am Campingplatz in G eingeräumt und ersuche daher um eine "Befreiung (ihrer) Sozialversicherungsbeiträge", weil sie nunmehr ein "Arbeitsverhältnis auf Basis 'geringfügige Beschäftigung'" annehme.

Im Hinblick auf diese Mitteilung war die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt im Zusammenhang mit der Anzeige des Ruhens vom im vorliegenden Fall zu prüfen verpflichtet, ob eine Ausnahme von der Pflichtversicherung eingetreten war, wobei - im Umfang des Vorbringens der Mitbeteiligten - auch ein Zeitraum von bis zu 18 Monaten vor der Anzeige des Ruhens in die Prüfung einzubeziehen war.

7. Notwendige Voraussetzung für die Ausnahme von der Pflichtversicherung - neben der Anzeige des Ruhens - ist, dass der Gewerbebetrieb tatsächlich ruhte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/08/0091, mwN). "Ruhen" bedeutet ein längeres Nichtausüben einer bestehenden Gewerbeberechtigung (vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, aaO § 93 Rz 2).

Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen reichen für eine abschließende Beurteilung nicht aus:

Ob und ab welchem Zeitpunkt der Gewerbebetrieb der Mitbeteiligten (bzw. ihre Befugnis zur Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit) tatsächlich ruhte, hat die belangte Behörde nicht festgestellt.

8. Der Bescheid war daher im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt III) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455.

Wien, am