VwGH 29.07.2014, Ro 2014/02/0074
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | VStG §1 Abs2; VStG §31 Abs2 Z4; VwGbk-ÜG 2013 §2 Abs1; VwGbk-ÜG 2013 §2 Abs3; VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs2; |
RS 1 | Hinsichtlich des Beginns und des Endes der Fristenhemmung iSd § 31 Abs 2 Z 4 VStG sind einerseits der Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde bzw. Revision beim VwGH und andererseits der Zeitpunkt der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde und nicht an den Beschwerdeführer bzw. Revisionswerber maßgebend (vgl. E VS , 86/02/0171, VwSlg. 12570 A/1987; E , 88/09/0017). |
Normen | VStG §1 Abs2; VStG §31 Abs2; VStG §31; VwGbk-ÜG 2013 §2 Abs1; VwGbk-ÜG 2013 §2 Abs3; VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs2; VwGG §42 Abs2 Z1; VwRallg; |
RS 2 | Die Zustellfiktion des § 2 Abs. 1 VwGbk-ÜG 2013 hat als fristwahrendes Ereignis für die Strafbarkeitsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG keine Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr - wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat - die Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Revisionswerberin. Erst damit besteht für sie als Beschuldigte die Möglichkeit der Kenntnisnahme, die im Zusammenhang mit der Strafbarkeitsverjährung - wo die rechtswirksame Erlassung gegenüber dem Beschuldigten maßgebend ist - entscheidend ist (vgl. E , 2008/10/0010). Die Annahme der Zustellfiktion des § 2 Abs. 1 VwGbk-ÜG 2013 als fristwahrendes Ereignis würde der Systematik des § 31 VStG diametral widersprechen, wonach "es entscheidend auf den Beschuldigten ankommt" (vgl. E , 94/09/0374, VwSlg. 14241 A/1995). Eine Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Revisionswerberin als Beschuldigte des Verwaltungsstrafverfahrens erst nach Ablauf der in § 31 Abs. 2 VStG geregelten Frist, und damit nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung, belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Revision der K in Blindenmarkt, vertreten durch die Dr. Wolfgang Schimek Rechtsanwalt GmbH in 3300 Amstetten, Graben 42, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-WU-13-0119, betreffend Übertretungen des KFG 1967 und der StVO 1960 (weitere Parteien: 1. Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie und 2. Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund und das Land Niederösterreich haben der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von je EUR 673,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom wurde die Revisionswerberin als verantwortliche Beauftragte der K.-GmbH je einer Übertretung des KFG 1967 und der StVO 1960 für schuldig befunden und über sie jeweils eine (EUR 500,-- nicht übersteigende) Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Im Spruch dieses Straferkenntnisses ist als Tatzeit der angeführt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Berufung, in der sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.
Die belangte Behörde wies mit ihrem Bescheid vom die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab.
Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Dieser hob den Bescheid der belangten Behörde vom mit dem Erkenntnis vom , Zl. 2012/02/0104, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Die belangte Behörde wäre im Beschwerdefall gemäß § 51e Abs. 1 VStG verpflichtet gewesen, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Deren Unterlassung habe die Revisionswerberin zu Recht gerügt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Revisionswerberin gegen das zitierte Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erneut ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legte die Verwaltungsakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 2 Abs. 1 und 3 sowie § 4 Abs. 1, 2 und 5 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, lauten:
"§ 2. (1) Ist ein Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates ..., dessen Zustellung vor dem Ablauf des veranlasst worden ist, bis zum Ablauf dieses Tages nicht gültig zugestellt worden, so gilt dieser Bescheid dennoch gegenüber allen Parteien, denen gegenüber die Zustellung veranlasst worden ist, als zugestellt.
...
(3) Wird durch die Zustellung der Lauf einer Frist bestimmt, so beginnt diese Frist mit jenem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Bescheid gemäß den Bestimmungen des Zustellgesetzes - ZustG, BGBl. Nr. 200/1982, als zugestellt gelten würde. Der Vollzug des Bescheides ist bis zu diesem Zeitpunkt gehemmt. Tritt der im ersten Satz genannte Fall nicht bis zum Ablauf des ein, tritt der Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft.
...
§ 4. (1) Ist ein Bescheid, gegen den eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung beim Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, vor Ablauf des erlassen worden, läuft die Beschwerdefrist mit Ende des noch und wurde gegen diesen Bescheid nicht bereits bis zum Ablauf des Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann gegen ihn vom 1. Jänner bis zum Ablauf des in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
...
(2) Abs. 1 gilt in den Fällen des § 2 Abs. 1 mit der Maßgabe, dass die Revision innerhalb von sechs Wochen ab dem in § 2 Abs. 3 genannten Zeitpunkt erhoben werden kann.
...
(5) Die Revision gemäß den Abs. 1 bis 3 ist unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Die Revision gegen den Bescheid einer unabhängigen Verwaltungsbehörde oder einer Behörde gemäß Art. 20 Abs. 2 Z 2 oder 3 B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung ist unzulässig, wenn die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen. Eine solche Revision hat gesondert die Gründe zu enthalten, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen. Ob eine solche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, ist vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen. Für die Behandlung der Revision gelten die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung die Revision als unzulässig zurückgewiesen werden kann. Für Revisionen gegen Bescheide anderer als der im zweiten Satz genannten Verwaltungsbehörden gelten die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht."
Im vorliegenden Fall wurde die Zustellung des angefochtenen Bescheides vom am selben Tag im Sinne des § 2 Abs. 1 VwGbk-ÜG veranlasst. Er gilt somit ab diesem Tag als zugestellt. Die Frist zur Erhebung der Revision gemäß § 4 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 3 VwGbk-ÜG begann mit . Die am zur Post gegebene Revision ist daher rechtzeitig.
Die Revisionswerberin macht Verjährung nach § 31 Abs. 2 VStG geltend.
Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.
Gemäß § 31 Abs. 2 VStG tritt Strafbarkeitsverjährung ein, wenn das Straferkenntnis bzw. die dieses bestätigende Berufungsentscheidung erst nach Ablauf von drei Jahren, gerechnet ab dem in Abs. 1 genannten Zeitpunkt (Tatzeit), erlassen wird (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 93/03/0086, und vom , Zl. 2001/09/0074, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Zudem ist nach der ständigen hg. Rechtsprechung die Frist des § 31 Abs. 2 VStG nur dann gewahrt, wenn die Berufungsentscheidung innerhalb der dort genannten Frist gegenüber dem Beschuldigten rechtswirksam erlassen wurde. Die Erlassung der Berufungsentscheidung gegenüber einer anderen Verfahrenspartei (etwa der Bezirkshauptmannschaft als zuständige Bezirksverwaltungsbehörde) ist nicht geeignet, diese Wirkung herbeizuführen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/02/0086, und den hg. Beschluss vom , Zl. 2002/02/0295).
Nach § 31 Abs. 2 Z. 4 VStG wird in die Verjährungsfrist nicht die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eingerechnet.
Hinsichtlich des Beginns und des Endes der Fristenhemmung sind einerseits der Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde bzw. Revision beim Verwaltungsgerichtshof und andererseits der Zeitpunkt der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde und nicht an den Beschwerdeführer bzw. Revisionswerber maßgebend (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 86/02/0171, VwSlg. 12.570 A/1987, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/09/0017).
Daraus folgt für den vorliegenden Fall nachstehendes Beurteilungsbild:
Die Frist begann mit dem Tatzeitpunkt vom zu laufen. Fristende wäre demgemäß der gewesen.
In diese Frist ist jedoch nicht das zum hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/02/0104, führende verwaltungsgerichtliche Verfahren einzurechnen.
Die Beschwerde dazu langte beim Verwaltungsgerichtshof am ein. Das Erkenntnis vom , Zl. 2012/02/0104, wurde der belangten Behörde am zugestellt.
Dies hat zur Folge, dass die Strafbarkeitsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG am eingetreten ist.
Die Zustellfiktion des § 2 Abs. 1 VwGbk-ÜG hat als fristwahrendes Ereignis für die Strafbarkeitsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG keine Bedeutung.
Entscheidend ist vielmehr - im vorliegenden Fall erfolgte anlässlich der Verhandlung keine mündliche Verkündung - die Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Revisionswerberin. Erst damit bestand für sie als Beschuldigte die Möglichkeit der Kenntnisnahme, die im Zusammenhang mit der Strafbarkeitsverjährung entscheidend ist, wo - wie bereits ausgeführt - die rechtswirksame Erlassung gegenüber dem Beschuldigten maßgebend ist (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0010).
Die Annahme der Zustellfiktion des § 2 Abs. 1 VwGbk-ÜG als fristwahrendes Ereignis würde der Systematik des § 31 VStG diametral widersprechen, wonach "es entscheidend auf den Beschuldigten ankommt" (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/09/0374, VwSlg. 14.241 A/1995).
Da die Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Revisionswerberin als Beschuldigte des Verwaltungsstrafverfahrens mit erst nach Ablauf der in § 31 Abs. 2 VStG geregelten Frist, und damit nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung, erfolgte, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und §§ 3 und 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | VStG §1 Abs2; VStG §31 Abs2 Z4; VStG §31 Abs2; VStG §31; VwGbk-ÜG 2013 §2 Abs1; VwGbk-ÜG 2013 §2 Abs3; VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs2; VwGG §42 Abs2 Z1; VwRallg; |
Schlagworte | Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2014:RO2014020074.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
BAAAE-89431