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VwGH vom 07.07.2011, 2011/15/0060

VwGH vom 07.07.2011, 2011/15/0060

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Freistadt Rohrbach Urfahr in 4240 Freistadt, Schloßhof 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, betreffend u.a. Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 gemäß § 299 BAO, (mitbeteiligte Partei: S P in W, vertreten durch MMag. Andreas Payer, Steuerberater-Wirtschaftstreuhänder in 8143 Dobl, Unterberg 41), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Das Finanzamt veranlagte die Mitbeteiligte mit Bescheiden vom zur Einkommensteuer 2005 und 2006. Die Veranlagung erfolgte zunächst erklärungsgemäß.

Am erging an die Mitbeteiligte ein "Ersuchen um Ergänzung", in dem eingangs darauf hingewiesen wurde, dass die Veranlagungen zur Einkommensteuer 2005 und 2006 zur Beschleunigung der Erledigung ohne nähere Prüfung der Erklärungsangaben durchgeführt und die Erklärungen auf Grund einer elektronischen Zufallsauswahl zur nachprüfenden Kontrolle ausgewählt worden seien. Daher werde die Mitbeteiligte gebeten, Sonderausgaben, Werbungskosten und außergewöhnliche Belastungen, soweit beantragt, durch Vorlage der entsprechenden Unterlagen und Belege nachzuweisen.

Mit Schreiben vom erinnerte das Finanzamt die Mitbeteiligte an die Nachreichung der Unterlagen und verwies darauf, dass die geltend gemachten Ausgaben ansonsten gestrichen würden.

Der steuerliche Vertreter der Mitbeteiligten bestätigte mit Eingabe vom den Erhalt der Ergänzungsersuchen vom und vom und brachte vor, dass die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 in Rechtskraft erwachsen seien. Die Rechtskraft könne nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen mit Bescheid durchbrochen werden. Die angeführten Schreiben würden nicht als Bescheid bezeichnet und nähmen auf "keinerlei Rechtsgrundlage Bezug". Zudem enthielten sie keinen Hinweis auf einen konkret zuständigen Organwalter und seien derart unsubstantiiert, "dass ein konkretes Nachweisbegehren nicht erkennbar ist". Die Übermittlung der gesamten Belegsammlung könne wohl nicht Ziel und Zweck derartiger Schreiben sein. Wegen der rechtskräftigen Einkommensteuerbescheide bestehe keine Veranlassung zu einem weiteren Tätigwerden der Mitbeteiligten und keine Rechtsgrundlage zur Abänderung der angeführten Bescheide durch das Finanzamt.

In einer Mitteilung vom stimmte das Finanzamt den Ausführungen in der Eingabe vom dahingehend zu, dass in Bezug auf die Einkommensteuer 2005 und 2006 rechtskräftige Bescheide vorlägen und die Rechtskraft dieser Bescheide nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen durchbrochen werden könne. Das Gesetz sehe dafür zahlreiche Möglichkeiten vor und werde dazu auf die §§ 293, 293b, 295, 295a, 299, 302 und 303 BAO verwiesen. Zu beachtende Verfahrensvorschriften für eine allenfalls erforderliche Änderung bzw. Aufhebung von Bescheiden als Folge der Bescheidkontrolle seien die §§ 20, 115 Abs. 2, 161 Abs. 3, 183 Abs. 4 BAO, gegebenenfalls auch die §§ 206 und 289 Abs. 3 leg. cit. Die Schreiben vom und vom stellten unstrittig keine Bescheide dar und dienten der Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung der Behörde sowie der Wahrung des Parteiengehörs und somit der Durchführung eines mängelfreien Verfahrens. "Auf Grund der Tatsache, dass es sich um einen Arbeitnehmerinnenfall - mit geringfügigen Einkünften aus selbständiger Arbeit im Jahr 2005, die ohne steuerliche Auswirkung blieben - handelt, ist die Vorlage aller Belege betreffend Sonderausgaben, Werbungskosten und außergewöhnlichen Belastungen weder unzumutbar noch unverhältnismäßig." Die Mitbeteiligte werde daher erneut eingeladen, den Vorhalt vom zu beantworten und müsse für den Fall der Nichtbefolgung mit der Androhung einer Zwangsstrafe rechnen.

Der steuerliche Vertreter der Mitbeteiligten brachte in einem Schreiben vom vor, dass ihm die angeführten §§ 293 ff BAO hinlänglich bekannt seien. Er habe nicht behauptet, dass generell keine Rechtsgrundlage zur Abänderung rechtskräftiger Bescheide bestehe, sondern vertrete die Ansicht, dass eine trotz eindeutiger Anordnung in § 161 Abs. 1 BAO unterbliebene behördliche Prüfung der Abgabenerklärungen vor Bescheiderlassung nicht durch "ein 'nachgeholtes Verfahren' nach Bescheiderlassung saniert werden" könne.

Mit Erinnerung vom forderte das Finanzamt die Mitbeteiligte, unter Androhung einer Zwangsstrafe von 300 EUR, ein weiteres Mal zur Vorlage von Unterlagen auf.

In einem Schreiben vom vertrat der steuerliche Vertreter der Mitbeteiligten neuerlich die Auffassung, dass für eine weitere Handlungspflicht seiner Mandantin keine Rechtsgrundlage bestehe, weshalb auch die Strafandrohung gemäß § 111 BAO ins Leere gehe.

Das Finanzamt hob mit Bescheiden vom u. a. den Einkommensteuerbescheid 2005 vom gemäß § 299 BAO auf und setzte die Einkommensteuer 2005, unter Außerachtlassung der geltend gemachten Sonderausgaben und Werbungskosten, neu fest.

Der steuerliche Vertreter der Mitbeteiligten berief gegen den Bescheid über die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 und brachte in der Berufung auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass die Prüfung der Abgabenerklärung gemäß § 161 BAO nach herrschender Meinung vor Bescheiderlassung zu erfolgen habe. Für die der Bescheiderlassung nachgelagerte Erklärungsprüfung bzw. Belegprüfung bestehe keine Rechtsgrundlage.

Weshalb sich der Spruch des Einkommensteuerbescheides 2005 vom nun ohne Änderung der Sach- bzw. Rechtslage als nicht richtig im Sinne des § 299 BAO erweise, wo die Behörde die Erklärung vor Erlassung des Bescheides vom geprüft und den Sachverhalt erforscht oder aber dies in rechtswidriger Weise unterlassen habe, sei ebenfalls nicht ersichtlich.

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde u. a. über den Bescheid über die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 ab. Sie gab der diesbezüglichen Berufung statt und begründete die Stattgabe im Wesentlichen wie folgt:

An die Mitbeteiligte sei nach Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides 2005 ein "Ersuchen um Ergänzung" ergangen. Die unter Androhung der Festsetzung einer Zwangsstrafe ausgefertigte Erinnerung gehe von einer unerfüllten "Vorhaltsbeantwortung" aus. Ein derartiger, gesetzlich in § 161 BAO verankerter "Ergänzungsauftrag" bzw. ein in Abs. 2 leg. cit. vorgesehener "Bedenkenvorhalt" könne aber nur vor der Veranlagung ergehen. Ein auf § 143 BAO gestütztes Auskunftsersuchen, das laut belangter Behörde auch nach Bescheiderlassung grundsätzlich zulässig wäre, habe das Finanzamt nicht an die Mitbeteiligte gerichtet. "Der Berufungseinwand, § 161 BAO biete für eine Erklärungsprüfung nach Bescheiderlassung in Form eines Ersuchens um Ergänzung keine Rechtsgrundlage, wurde daher zu Recht erhoben".

Der Bescheid über die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 wäre auch nicht rechtmäßig, wenn das Finanzamt mit einem Auskunftsersuchen im Sinne des § 143 BAO vorgegangen wäre.

Voraussetzung für die Bescheidaufhebung nach § 299 BAO sei u. a. die Gewissheit der Rechtswidrigkeit.

Verweigere der Abgabepflichtige die Auskunft, biete diese Weigerung noch keine ausreichende Grundlage für die Annahme der Gewissheit der Unrichtigkeit des Bescheidspruches. Im Rahmen der Abgabenfestsetzung möge es genügen, als Ergebnis der freien Beweiswürdigung von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, der die überwiegende Wahrscheinlichkeit zukomme. Eine derartige Wahrscheinlichkeit sei aber nicht mit Gewissheit im Sinne des § 299 BAO gleichzusetzen. Es bestehe zwar die Möglichkeit, dass der Mitbeteiligten die in der Einkommensteuererklärung 2005 geltend gemachten Aufwendungen (Arbeitsmittel, Fachliteratur, Reisekosten, sonstige Werbungskosten, Personenversicherungen, Wohnraumschaffung/- sanierung sowie Kirchenbeitrag) nicht wie beantragt erwachsen seien, eine diesbezügliche Gewissheit bestehe aber nicht, womit eine wesentliche Voraussetzung für eine Bescheidaufhebung nach § 299 Abs. 1 BAO fehle.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die vom Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde.

Nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und die Mitbeteiligte hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Abgabenbehörden haben gemäß § 114 Abs. 1 BAO darauf zu achten, dass alle Abgabepflichtigen nach den Abgabenvorschriften erfasst und gleichmäßig behandelt werden, sowie darüber zu wachen, dass Abgabeneinnahmen nicht zu Unrecht verkürzt werden. Sie haben alles, was für die Bemessung der Abgaben wichtig ist, sorgfältig zu erheben und die Nachrichten darüber zu sammeln, fortlaufend zu ergänzen und auszutauschen.

Zur Erfüllung der im § 114 BAO bezeichneten Aufgaben ist die Abgabenbehörde gemäß § 143 Abs. 1 leg. cit. berechtigt, Auskunft über alle für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Tatsachen zu verlangen. Die Auskunftspflicht trifft jedermann, auch wenn es sich nicht um seine persönliche Abgabepflicht handelt.

Nach § 143 Abs. 2 BAO ist die Auskunft wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu erteilen. Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung schließt die Verbindlichkeit in sich, Urkunden und andere schriftliche Unterlagen, die für die Feststellung von Abgabenansprüchen von Bedeutung sind, vorzulegen oder die Einsichtnahme in diese zu gestatten.

§ 143 BAO gilt in jedem Verfahrensabschnitt und für jeden Erhebungstyp, also im Ermittlungs-, Festsetzungs-, Einhebungs- und Einbringungsverfahren, im erstinstanzlichen Verfahren und im Rechtsmittelverfahren (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 1599).

Das Finanzamt hat die Mitbeteiligte mit Schreiben vom aufgefordert, die in der Einkommensteuererklärung 2005 geltend gemachten Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen durch Unterlagen und Belege nachzuweisen und im Schreiben vom darauf hingewiesen, dass die Vorlage der abverlangten Unterlagen und Belege weder unzumutbar noch unverhältnismäßig sei. Die Aufforderung erfolgte zu Recht, weil das Finanzamt gemäß § 143 BAO selbst nach Erlassung eines Abgabenbescheides berechtigt ist, Auskünfte vom Bescheidadressaten zu verlangen (vgl. Ritz , BAO3, § 161 Tz 12).

Von der Mitbeteiligten wurden trotz mehrfacher Aufforderung hierzu keine Unterlagen und Belege vorgelegt. Sie hat damit die gemäß § 143 BAO bestehenden Offenlegungs- und Mitwirkungspflichten verletzt. Auf § 161 BAO hat das Finanzamt die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen und Belegen nicht gestützt, weshalb sich die diesbezüglich gegenteilige Feststellung der belangten Behörde als aktenwidrig erweist.

Im Zusammenhang mit der Aufhebung des am ergangenen Einkommensteuerbescheides 2005 nach § 299 BAO stellte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid fest, es bestehe die Möglichkeit, "dass die (Mitbeteiligte) tatsächlich Aufwendungen in einem geringeren anzuerkennenden Umfang als beantragt zu tragen hatte". Sie vertritt aber die Auffassung, dass die in freier Beweiswürdigung gewonnene Überzeugung, die Mitbeteiligte habe nicht angefallene Aufwendungen geltend gemacht, für die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides nach § 299 BAO nicht genüge, weil im Rahmen der freien Beweiswürdigung von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen sei, der die überwiegende Wahrscheinlichkeit zukomme und "eine derartige Wahrscheinlichkeit nicht mit Gewissheit im Sinne des § 299 BAO gleichzusetzen" sei.

Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.

Gemäß § 299 Abs. 1 BAO in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2003, BGBl. I Nr. 124/2003, kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.

Wenn nicht angefallene Aufwendungen als Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastung erklärt und bei der Veranlagung berücksichtigt werden, hat dies zwangsläufig einen unrichtigen Bescheidspruch zur Folge. Dass § 299 Abs. 1 BAO an das Erwiesensein von Tatsachen, die zur Aufhebung eines Bescheides führen, höhere Anforderungen stellt als an andere Tatsachen, die der Besteuerung zu Grunde zu legen sind, ist nicht ersichtlich. Kann somit die Tatsache, dass Aufwendungen die als Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastung erklärt wurden tatsächlich nicht angefallen sind, in freier Beweiswürdigung als erwiesen angenommen werden, dann ist die Aufhebung des diese Aufwendungen berücksichtigenden Bescheides nach § 299 Abs. 1 BAO zulässig.

Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Wien, am