VwGH vom 09.10.2014, 2014/05/0001
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Revision des E A in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-WBF/52/5494/2013-4, betreffend Wohnbeihilfe (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 50, vom wurde der Antrag des Revisionswerbers vom auf Gewährung einer Wohnbeihilfe gemäß den §§ 20 bis 25, 60 und 61a des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes - WWFSG 1989 und der dazu ergangenen Verordnung der Wiener Landesregierung, LGBl. Nr. 32/1989, abgewiesen.
Der vom Revisionswerber dagegen erhobenen Berufung wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: UVS) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem nunmehr in Revision gezogenen Bescheid vom keine Folge gegeben.
Dazu führte der UVS aus, eine der Grundvoraussetzungen für die Gewährung der Wohnbeihilfe gemäß § 20 Abs. 1 bzw. § 60 Abs. 1 WWFSG 1989 sei, dass der Mieter und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen ausschließlich die (antragsgegenständliche) Wohnung zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendeten. In diesem Zusammenhang sei auf die Bestimmung des § 90 ABGB hinzuweisen, wonach die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, verpflichtet seien. Da für geordnete Zeiten die Einhaltung der Rechtsvorschriften unterstellt werden könne, zeige § 90 ABGB auf, dass jeder der Ehegatten auch in der Wohnung des anderen seinen Wohnsitz nehmen könnte. Wenn eine Ehe in zweifelsfreier Kenntnis der Brautleute darüber geschlossen werde, dass sie ihre Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen aufgrund in der eigenen Person begründeter rechtlicher oder tatsächlicher Hindernisse nicht uneingeschränkt erfüllen könnten, so könnten die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht durch die Gewährung einer Wohnbeihilfe nach dem WWFSG 1989 kompensiert werden, zumal eine allfällig für die Eheleute aus einer von ihnen freiwillig herbeigeführten Situation entstehende Belastung durch den Wohnungsaufwand nicht als unzumutbar im Sinne des § 20 Abs. 1 bzw. § 60 Abs. 1 leg. cit. angesehen werden könne. Dies gehe schon aus der Bestimmung des § 27 Abs. 1 leg. cit. hervor, wonach zur Ermittlung des Haushaltseinkommens gemäß § 2 Z 15 leg. cit. inländische Einkommensnachweise erforderlich seien, welche bei der gegebenen Konstellation nicht von beiden Eheleuten erbracht werden könnten, woraus zwingend zu schließen sei, dass der Gesetzgeber die gegenwärtige Familiensituation des Revisionswerbers von vornherein als nicht für die Gewährung von Wohnbeihilfe tauglich erachte. In diesem Zusammenhang ergebe sich zudem aus § 27 Abs. 4 leg. cit., dass im Falle von Eheleuten die Adressaten einer Wohnbeihilfe grundsätzlich nur im gemeinsamen Haushalt lebende Ehepartner sein könnten bzw. solche, von denen einer die Wohnungsnutzung nachweislich aufgegeben habe, wobei in letzterem Fall für die Ermittlung des Haushaltseinkommens eine Übergangsregelung für die Zeit der zielstrebigen Durchsetzung der Ehescheidung normiert sei.
Da im hier zu beurteilenden Fall eine aufrechte Ehe vorliege und kein Scheidungsverfahren betrieben werde, sei der Revisionswerber sowohl nach § 90 ABGB als auch nach der Systematik des WWFSG 1989, insbesondere auch, weil diesbezüglich einkommenssteuerrechtliche Grundsätze Anwendung fänden, dem Haushalt seiner "Gegenwartsfamilie" in der Türkei hinzuzurechnen, zumal der Revisionswerber mangels Berufstätigkeit in Österreich den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bei seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Kind in der Türkei aufweise. Daran ändere sich auch nichts durch das Vorbringen, dass der Revisionswerber in Österreich eine bessere medizinische Versorgung erhalte. Es ermangle daher im vorliegenden Fall jedenfalls auch der von der Erstbehörde herangezogenen Grundvoraussetzung des § 20 Abs. 1 WWFSG 1989, sodass die Zuerkennung einer Wohnbeihilfe an den Revisionswerber ausgeschlossen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, ihn dahin abzuändern, dass dem Antrag auf Wohnbeihilfe Folge gegeben werden, in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht Wien legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Revision als unbegründet abzuweisen, in eventu, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 4 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG, BGBl. I Nr. 33/2013, idF BGBl. I Nr. 122/2013 lautet auszugsweise:
"§ 4. (1) Ist ein Bescheid, gegen den eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung beim Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, vor Ablauf des erlassen worden, läuft die Beschwerdefrist mit Ende des noch und wurde gegen diesen Bescheid nicht bereits bis zum Ablauf des Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann gegen ihn vom 1. Jänner bis zum Ablauf des in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. (...)
(...)
(5) Die Revision gemäß den Abs. 1 bis 3 ist unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Die Revision gegen den Bescheid einer unabhängigen Verwaltungsbehörde oder einer Behörde gemäß Art. 20 Abs. 2 Z 2 oder 3 B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung ist unzulässig, wenn die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen. Eine solche Revision hat gesondert die Gründe zu enthalten, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen. Ob eine solche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, ist vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen. Für die Behandlung der Revision gelten die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung die Revision als unzulässig zurückgewiesen werden kann. (...)
(...)"
§ 26 VwGG in der bis zum Ablauf des
geltenden Fassung lautete auszugsweise:
"§ 26. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 131 B-VG oder gegen eine Weisung gemäß Art. 81a Abs. 4 B-VG beträgt sechs Wochen. Sie beginnt
1. in den Fällen des Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer bloß mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung;
(...)
(3) Hat die Partei innerhalb der Frist zur Erhebung der Beschwerde die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61), so beginnt für sie die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen. Der Bescheid ist durch den Verwaltungsgerichtshof zuzustellen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen, so beginnt die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei."
Da der vorliegend angefochtene Bescheid vor Ablauf des erlassen wurde, die Beschwerdefrist mit Ende des noch lief und gegen diesen Bescheid nicht bereits bis zum Ablauf des Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben wurde, konnte gegen ihn gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz VwGbk-ÜG vom 1. Jänner bis zum Ablauf des in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Der Revisionswerber hat innerhalb dieser Frist einen Verfahrenshilfeantrag gestellt, sodass gemäß § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG für ihn die Frist zur Erhebung der Revision mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen begann und die genannte Rechtsmittelfrist insoweit verlängert wurde. Bei der vorliegenden Revision handelt es sich daher um eine aufgrund des § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG fristwahrend eingebrachte Revision (vgl. etwa zum Ganzen etwa den hg. Beschluss vom , Ro 2014/05/0030).
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
In Bezug auf die Frage des Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bringt die Revision vor, es gebe zur Auffassung des UVS, dass eine Förderung nach § 20 Abs. 1 und § 60 Abs. 1 WWFSG 1989 ausgeschlossen sei, wenn Familienmitglieder insbesondere aufgrund rechtlicher Hinderungsgründe nicht mit dem Förderungswerber in der zu fördernden Wohnung lebten, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung. Mit seiner Auffassung, auf die Frage der Unzumutbarkeit des Zusammenlebens des Revisionswerbers mit dessen in der Türkei (und in der dort vorhandenen Wohnung) lebenden Restfamilie nicht eingehen zu müssen, setze sich der UVS in Widerspruch zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
Dazu bringt die Revision weiters vor, dass der Revisionswerber die tatsächliche und rechtliche Unzumutbarkeit des Zusammenlebens mit seiner Familie in der Türkei dargestellt habe und der Hinweis auf § 90 ABGB (Verpflichtung der Ehegatten zum gemeinsamen Wohnen) verfehlt sei, zumal § 18 IPR-Gesetz und die Frage der Geltung des österreichischen (Ehe-)Rechtes sowie § 92 Abs. 2 ABGB nicht berücksichtigt worden seien. Er habe konkret dargelegt, dass er die von ihm gemietete Wohnung (in Wien) ausschließlich zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig benütze. Er habe in Österreich ein Aufenthaltsrecht, während ein solches seiner Ehegattin nicht zukomme, weshalb sie in der Türkei wohne. Aufgrund der fremdenrechtlichen Unmöglichkeit eines Zuzuges seiner Ehegattin könnten sie nicht zusammenleben, weshalb er die Wohnung in Österreich habe.
Die Revision ist in Bezug auf die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung des UVS, dass der Revisionswerber aufgrund der in § 90 ABGB normierten Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen dem Haushalt seiner in der Türkei lebenden Familie zuzurechnen sei, zulässig. Dem oben wiedergegebenen Revisionsvorbringen kommt auch Berechtigung zu.
Auf den vorliegenden Revisionsfall ist das WWFSG 1989, LGBl. Nr. 18/1989, idF LGBl. Nr. 23/2011 anzuwenden. Danach ist dem Mieter einer Wohnung, deren Errichtung im Sinne des I. Hauptstückes (dieses Gesetzes) gefördert wurde, oder dem Mieter eine nicht nach den §§ 20 ff (dieses Gesetzes) geförderten Wohnung (§ 60 Abs. 1), wenn er durch den Wohnungsaufwand unzumutbar belastet wird, auf Antrag mit Bescheid Wohnbeihilfe zu gewähren, sofern er und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen ausschließlich diese Wohnung zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwenden.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2013/05/0184, unter Hinweis auf Vorjudikatur ausgeführt hat, ist die für die Gewährung einer Wohnbeihilfe nach dem WWFSG 1989 wesentliche Voraussetzung, dass der Mieter und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen ausschließlich die Wohnung zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwenden, nicht erfüllt, wenn deren Wohnbedürfnis auch in einer anderen zur Verfügung stehenden Wohnung "gehörig" befriedigt werden kann. Hiebei genügt es jedoch nicht, dass eine andere Wohnung überhaupt vorhanden ist. Vielmehr muss die Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses in dieser anderen Wohnung nicht nur tatsächlich möglich, sondern auch dem Beihilfenwerber zumutbar sein.
Aus der Bestimmung des § 90 ABGB, der zufolge Ehegatten u. a. zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, verpflichtet sind, ist für die Frage, ob einem Förderungswerber die Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses in einer anderen, von seiner Ehegattin bewohnten Wohnung zumutbar ist, nichts zu gewinnen (vgl. dazu nochmals das vorzitierte Erkenntnis). Abgesehen davon weist die Revision in diesem Zusammenhang auch zu Recht auf § 92 Abs. 2 ABGB hin, welche Bestimmung eine Ausnahme von der genannten Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen normiert.
Da somit der UVS die Rechtslage verkannt und in deren Verkennung zu der gemäß § 20 Abs. 1 bzw. § 60 Abs. 1 WWFSG 1989 wesentlichen Frage, ob der Revisionswerber die in seinem Förderungsantrag angeführte Wohnung tatsächlich ausschließlich zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendet sowie, zutreffendenfalls, er durch den Wohnungsaufwand im Sinn des WWFSG unzumutbar belastet wird, keine Feststellungen getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden, wobei Art. 6 Abs. 1 EMRK dem im Hinblick auf die Durchführung einer Verhandlung durch den UVS, einem Tribunal im Sinne der EMRK, nicht entgegensteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/06/0029).
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am