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VwGH vom 21.06.2022, Ra 2022/22/0058

VwGH vom 21.06.2022, Ra 2022/22/0058

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des F H, vertreten durch Mag.a Margit Sagel, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 60/18, gegen das am mündlich verkündete und mit schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/084/9958/2021-5, betreffend Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Bangladeschs, stellte am einen - als auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Zusammenführung mit seiner über die polnische Staatsangehörigkeit verfügenden, in Österreich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten Ehefrau gerichtet angesehenen - Antrag beim Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde).

2Nachdem die belangte Behörde über diesen Antrag nicht entschieden hat, erhob der Revisionswerber im Juni 2021 eine Säumnisbeschwerde.

3Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien den Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

4Nach Darstellung des Verfahrensganges und insbesondere der Aussage des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung am traf das Verwaltungsgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Revisionswerber sei seit - mit Ausnahme weniger Monate, die er in Polen verbracht habe - durchgehend in Österreich aufhältig. Sein Antrag auf internationalen Schutz sei mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom abgewiesen worden. Unter einem sei dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen, seine Abschiebung nach Bangladesch für zulässig erklärt und eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt worden. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers sei mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , rechtskräftig seit , abgewiesen worden. Der Revisionswerber sei trotz Rechtskraft dieser Entscheidung nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist. Am habe er in Österreich die polnische Staatsangehörige L D, die in Österreich über eine Anmeldebescheinigung verfüge, geheiratet.

5In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass gegen den Revisionswerber eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen worden sei, er den Schengenraum aber nicht verlassen habe. Die Rückkehrentscheidung sei daher nach wie vor gültig. Die Ausreiseverpflichtung habe schon vor der Heirat am bestanden, der Revisionswerber sei seit wissentlich illegal in Österreich aufhältig. Da somit gemäß § 55 Abs. 6 NAG eine Aufenthaltsbeendigung gegen den Revisionswerber in Rechtskraft sei, könne eine Aufenthaltskarte nicht ausgestellt werden. Dem Antrag sei daher keine Folge zu geben gewesen.

6Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG, deren Behandlung vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 32/2022, abgelehnt und die über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.

7In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

8Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht sei mit der angefochtenen Entscheidung von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, der zufolge der Eintritt des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts (vorliegend mit der Heirat des Revisionswerbers) eine rechtliche Position begründe, mit der eine Rückkehrentscheidung nicht länger kompatibel sei. Die Rückkehrentscheidung müsse daher ex lege erlöschen.

Die Revision erweist sich als zulässig und auch berechtigt.

10Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem - vom Revisionswerber begründend herangezogenen - Beschluss vom , Ra 2017/21/0151, Rn. 14, festgehalten, dass der Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts der weiteren Existenz einer Rückkehrentscheidung, die an die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes anknüpft, entgegensteht (vgl. - wenn auch im Zusammenhang mit einem asylrechtlichen Aufenthaltsrecht - zu einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG auch ). Der Eintritt eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts begründet nämlich eine rechtliche Position, mit der eine Rückkehrentscheidung nicht länger kompatibel ist. Auch der Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts muss daher - gleich den in § 60 Abs. 3 FPG ausdrücklich genannten Fällen der Erlangung eines rechtmäßigen Aufenthalts - eine Gegenstandslosigkeit herbeiführen (vgl. zu allem wiederum VwGH Ra 2017/21/0151, Rn. 14).

11Zwar wird ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht durch eine Eheschließung mit einer EWR-Bürgerin nicht ohne Weiteres erlangt, sondern besteht insbesondere dann nicht, wenn eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt (siehe § 55 Abs. 3 NAG), was im Sinn des Art. 27 der Richtlinie 2004/38/EG dann der Fall ist, wenn das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. erneut VwGH Ra 2017/21/0151, Rn. 15). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer derartigen Gefährdung - die Nichtbeachtung der Rückkehrentscheidung begründet sie für sich genommen jedenfalls nicht - lassen sich dem angefochtenen Erkenntnis aber nicht entnehmen.

12Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar festgehalten, dass ein Vorgehen nach § 55 Abs. 6 NAG dann in Betracht kommt, wenn eine Aufenthaltsbeendigung erst nach Eheschließung und damit nach der Berufung auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Rechtskraft erwächst (vgl. , Rn. 8; der Verwaltungsgerichtshof hat diese Konstellation somit von derjenigen abgegrenzt, die im hg. Beschluss Ra 2017/21/0151 gegenständlich war). Nach den unstrittigen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis erfolgte die Eheschließung und damit die Berufung auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht im vorliegenden Fall aber erst nach der Rechtskraft der Aufenthaltsbeendigung. Die vorliegende Konstellation gleicht somit dem Sachverhalt, der dem hg. Beschluss Ra 2017/21/0151 zugrunde lag.

13Folglich hätte das Verwaltungsgericht - ausgehend von seinen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis - seiner Entscheidung keine aufrechte Rückkehrentscheidung zugrunde legen dürfen.

14Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

15Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

16Vor diesem Hintergrund erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022220058.L00

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