VwGH vom 18.08.2022, Ra 2022/21/0006

VwGH vom 18.08.2022, Ra 2022/21/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des S B, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , G303 2187802-1/20E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der im Oktober 1972 geborene Revisionswerber, ein bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger, war in erster Ehe (in den Jahren 2000 bis 2007) mit einer bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen verheiratet. Dieser Beziehung entstammen drei im Dezember 1994, Dezember 1999 und Jänner 2007 geborene (bosnisch-herzegowinische) Kinder; ein weiteres Kind ist bereits verstorben.

2Seit April 2008 hält sich der Revisionswerber im Wesentlichen durchgehend in Österreich auf. Aufgrund einer am  mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangenen Ehe, die mit Urteil vom geschieden wurde, waren ihm wiederholt Aufenthaltstitel als deren Familienangehöriger erteilt worden. Aufgrund eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages hält er sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

3Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Revisionswerber jeweils wegen Tatbeiträgen (§ 12 dritter Fall StGB) zum Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie zu den Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs habe er am näher beschriebene Tatbeiträge zum Raubüberfall an einer Bankkundin, die zuvor Bargeld in der Höhe von 12.500 € behoben hatte, und zur Unterdrückung verschiedener Urkunden sowie einer Bankomatkarte geleistet. Die Freiheitsstrafe verbüßte der Revisionswerber unter Anrechnung einer am beginnenden Vorhaft bis zu seiner bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug am .

4Mit Bezug auf dieses strafbare Verhalten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei. Gemäß § 55 FPG bestimmte das BFA eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise. Schließlich erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot.

5Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am  mit dem angefochtenen Erkenntnis vom insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf 18 Monate herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:

7Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt, weil dem BVwG - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird - ein wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen ist.

8Das BVwG ging im Rahmen seiner Interessenabwägung und bei der Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes als einem der dafür wesentlichen Gesichtspunkte davon aus, dass dem Revisionswerber die Obsorge für seinen minderjährigen, im Jänner 2007 geborenen Sohn zukomme, der sich seit 2013 in Österreich aufhalte und in Wien eine öffentliche Mittelschule besuche. Allerdings sei dieser Sohn schon während der Verbüßung der Haftstrafe und auch noch danach von seiner Mutter, die im November 2015 nach Österreich gekommen sei, betreut worden; und zwar (zuletzt) von Montag bis Freitag, damit der Revisionswerber seiner Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Lediglich am Wochenende sei der minderjährige Sohn bei seinem Vater. Vor diesem Hintergrund werde es - so folgerte das BVwG im angefochtenen Erkenntnis - möglich sein, dass der Minderjährige weiterhin von seiner Mutter versorgt werde, und es werde dieser zumutbar sein, die Obsorge für ihr Kind zu übernehmen, zumal keine dagegen sprechenden Gründe ins Treffen geführt worden seien.

9Dem tritt die Revision entgegen und verweist auf diesbezügliche Änderungen, die (erst) nach der vom BVwG am durchgeführten mündlichen Verhandlung eingetreten seien. Insbesondere sei die Mutter des erwähnten Minderjährigen dauerhaft in den Herkunftsstaat zurückgekehrt. Ihr Sohn lebe ausschließlich beim Revisionswerber, der ihn - wie vor der Haft - allein betreue und dem auch weiterhin die Obsorge zukomme. Der vom BVwG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt sei somit insoweit nicht mehr ausreichend aktuell gewesen.

10Dieser Einwand erweist sich als berechtigt. Im Hinblick auf das im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nahezu zweijährige Zurückliegen der mündlichen Verhandlung wäre eine Abklärung der aktuellen Gegebenheiten geboten gewesen. Diesen Umstand hat auch das BVwG erkannt und mit Aufforderung vom entsprechende Ergänzungen (insbesondere auch zum Bestehen eines Familienlebens in Österreich) veranlasst. Hierauf hat der Revisionswerber am mit einer Stellungnahme (unter Anschluss verschiedener Urkunden) reagiert. Darin brachte er unter anderem ausdrücklich vor, mit seinem minderjährigen Sohn „ständig“ im gemeinsamen Haushalt zu leben und daher für ihn Naturalunterhalt zu leisten; dem Revisionswerber komme für ihn auch weiterhin die Obsorge zu.

11Diesem Vorbringen hat das BVwG aber nicht Rechnung getragen, indem es ohne dessen nähere Prüfung auf Basis der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vom - wie erwähnt - davon ausging, dass nach einer Rückkehr des Revisionswerbers in den Herkunftsstaat dessen minderjähriger Sohn in Österreich „weiterhin von seiner Mutter versorgt wird“. Vielmehr wäre vom BVwG - unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot auf das Kindeswohl - auf die ausreichend erkennbar behauptete geänderte Betreuungssituation, zweckmäßigerweise in einer neuen mündlichen Verhandlung, einzugehen und der für die Interessenabwägung auch (sonst) maßgebliche Sachverhalt zu aktualisieren gewesen. Das hat das BVwG zu Unrecht unterlassen.

12Schon deshalb war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210006.L00

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