VwGH vom 28.06.2022, Ra 2022/11/0051
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 50, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-241/030/2/2020/VOR-8, betreffend Gewährung von Wohnbeihilfe (mitbeteiligte Partei: B F in W, vertreten durch Dr. Manfred Arbacher-Stöger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 3/14-15), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
11.1. Mit Schreiben vom stellte die Mitbeteiligte den Antrag auf Verlängerung der mit Bescheid der belangten Behörde vom für den Zeitraum von bis gewährten und mit weiterem Bescheid vom ab neu festgesetzten Wohnbeihilfe.
21.2. Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde diesen Antrag mit der Begründung ab, dass das auf Grundlage der von der Mitbeteiligten vorgelegten Unterlagen ermittelte monatliche Haushaltseinkommen Euro 1.491,62 betrage und der anrechenbare Wohnungsaufwand daher unter der Zumutbarkeitsgrenze liege.
31.3. Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei mit Schreiben vom Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht). Während des anhängigen Beschwerdeverfahrens stellte die mitbeteiligte Partei mit Schreiben vom einen Antrag auf Gewährung der Wohnbeihilfe, dem die belangte Behörde nach Ausweis der Verwaltungsakten mit Bescheid vom dahingehend stattgab, dass ab 1. Mai bis zum erneut Wohnbeihilfe gewährt werde.
42.1. Gegen die Abweisung der Beschwerde durch Erkenntnis der Rechtspflegerin des Verwaltungsgerichts Wien vom erhob die Mitbeteiligte Vorstellung, der das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis insofern Folge gab, als es den angefochtenen Bescheid vom dahingehend abänderte, dass Wohnbeihilfe für den Zeitraum vom bis zum in Höhe von Euro 166,80 monatlich gewährt werde. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
52.2. In seiner Begründung ging das Verwaltungsgericht gestützt auf die durch die Mitbeteiligte vorgelegten Einkommensnachweise von einem Gesamteinkommen in Höhe von Euro 1.864,53 aus und bestimmte durch Verminderung gemäß § 20 Abs. 3 lit. f WWFSG 1989 ein anrechenbares Haushaltseinkommen in Höhe von Euro 1.091,62. Ausgehend von diesem Betrag berechnete es für einen Zweipersonenhaushalt auf Grundlage der Verordnung der Wiener Landesregierung über die Gewährung von Wohnbeihilfe eine zumutbare Wohnungsaufwandsbelastung in Höhe von Euro 85,90, die den anrechenbaren Wohnungsaufwand in Höhe von Euro 252,70 um den im Spruch genannten Betrag unterschreite.
63. Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der belangten Behörde. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.
74. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
84.1. Das Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz - WWFSG 1989, LGBl. Nr. 18/1989 idF LGBl. Nr. 69/2018, lautet auszugsweise:
„Wohnbeihilfe
§ 20. (1) Wird der Mieter einer Wohnung, deren Errichtung im Sinne des I. Hauptstückes gefördert wurde, durch den Wohnungsaufwand unzumutbar belastet, ist ihm auf Antrag mit Bescheid Wohnbeihilfe zu gewähren, sofern er und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen ausschließlich diese Wohnung zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwenden.
(2) Die Wohnbeihilfe ist in der Höhe zu gewähren, die sich aus dem Unterschied zwischen zumutbarer und der in Abs. 4 und 5 näher bezeichneten Wohnungsaufwandbelastung je Monat ergibt; bei Wohnungen, deren Nutzfläche die im § 17 Abs. 3 genannten Grenzwerte für die angemessene Wohnnutzfläche übersteigt, ist der Berechnung der Wohnbeihilfe nur jener Teil der Wohnungsaufwandbelastung zugrunde zu legen, der dem Verhältnis der angemessenen zur tatsächlichen Wohnnutzfläche entspricht. Die näheren Bestimmungen über die zumutbare Wohnungsaufwandsbelastung hat die Landesregierung durch Verordnung zu treffen.
(3) Das der Wohnbeihilfenberechnung zu Grunde zu legende Haushaltseinkommen gemäß § 2 Z 15 vermindert sich um mindestens 20 vH
...
f)für alleinerziehende Elternteile, die für im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder Anspruch auf Leistungen des gesetzlichen Unterhaltes haben, die nicht wieder verheiratet sind, in keiner eingetragenen Partnerschaft und auch in keiner in wirtschaftlich ähnlich einer Ehe eingerichteten Haushaltsgemeinschaft leben.
...
§ 21. (1) Die Gewährung von Wohnbeihilfe für einen vor Antragstellung liegenden Zeitraum ist ausgeschlossen, bei Antragstellung bis zum 15. eines Monats wird die Wohnbeihilfe jedoch ab Beginn dieses Monats gewährt.
(2) Die Wohnbeihilfe darf jeweils höchstens auf zwei Jahre gewährt werden. Die Zuzählung der Wohnbeihilfe an den Empfänger von Förderungsmaßnahmen gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 bis 3 ist zulässig.
...“
94.2. Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht sei bei der Ermittlung des zumutbaren Wohnungsaufwandes und der daraus resultierenden Höhe der Wohnbeihilfe von den gesetzlichen Berechnungsmethoden abgewichen.
104.3. Das Verwaltungsgericht verweist für die Bestimmung des anrechenbaren Haushaltseinkommens lediglich auf die Anwendung von § 20 Abs. 3 lit. f WWFSG 1989. Das angefochtene Erkenntnis enthält jedoch keine fallbezogene Begründung für den ermittelten Betrag von Euro 1.091,62, obwohl dieser Betrag von dem von der belangten Behörde im Wege der Verminderung um 20 vH ermittelten Betrag in Höhe von Euro 1.491,62 ersichtlich abweicht.
11Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs räumt § 20 Abs. 3 WWFSG 1989 den Behörden bei Verwirklichung eines der in dieser Bestimmung normierten Tatbestände für die Ermittlung des der Wohnbeihilfenberechnung zugrunde zu legenden Haushaltseinkommens Ermessen ein (). Es ist demnach Aufgabe des Verwaltungsgerichts zu überprüfen, ob sich - vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage - die Verminderung des anrechenbaren Haushaltseinkommens um 20 Prozent durch die belangte Behörde als Ermessensübung im Sinne des Gesetzes erweist. Für den Fall, dass sich die behördliche Ermessensübung im Ergebnis als nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt erwiesen hätte - was insbesondere auch der Fall wäre, wenn die für die Übung des Ermessens maßgeblichen Umstände nicht frei von Verfahrensmängeln oder unvollständig festgestellt wurden - wäre das Verwaltungsgericht befugt gewesen, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst, gegebenenfalls nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens, eigenes Ermessen zu üben (vgl. etwa , mwN).
12Das angefochtene Erkenntnis enthält keine Ausführungen zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung durch die belangte Behörde. Insbesondere führt das Verwaltungsgericht keine von der belangten Behörde zu vertretenden Mängel bzw. Unvollständigkeiten in der Feststellung der für die Übung des Ermessens maßgeblichen Umstände ins Treffen. Vielmehr setzt es seine eigene, in der Verminderung des anrechenbaren Haushaltseinkommens um mehr als 20 Prozent zum Ausdruck kommende Ermessensübung an die Stelle jener der belangten Behörde, ohne dies zu begründen. Damit weicht das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowohl zur Ermessensübung als auch zu den gesetzlich vorgezeichneten Berechnungsmethoden ab, weshalb das Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist. Schon aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis aufzuheben.
134.4. Ferner wird in der Revision hinsichtlich der Zuerkennung von Wohnbeihilfe im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses vorgebracht, im gegenständlichen Verfahren könne nur über den Zeitraum von 1. Februar bis entschieden werden. Gemäß § 21 Abs. 2 WWFSG 1989 dürfe die Wohnbeihilfe jeweils höchstens auf zwei Jahre, gemäß § 21 Abs. 1 WWFSG 1989 dürfe sie nur für ganze Monate gewährt werden. Außerdem habe die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei über deren wiederholte Anträge für die Zeiträume von bis sowie von bis mit in Rechtskraft erwachsenen Bescheiden Wohnbeihilfe gewährt.
14Dazu ist folgendes auszuführen: „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat. Nimmt das Verwaltungsgericht mit einer Entscheidung in einer Angelegenheit, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Verwaltungsbehörde war, mithin mit einer „Überschreitung der Sache“ des Verfahrens der belangten Behörde, eine ihm nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch, belastet es seine eigene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit (etwa , mwN).
15Fallgegenständlich bildete der Verlängerungsantrag vom jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides vom gebildet hat. Da die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei bereits mit unstrittig rechtskräftigem Bescheid vom Wohnbeihilfe bis einschließlich gewährt hatte, war Sache des Beschwerdeverfahrens die Frage der Gewährung von Wohnbeihilfe erst ab . Soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis Wohnbeihilfe für einen Zeitraum vor dem zusprach, liegt eine „Überschreitung der Sache“ vor, durch die das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet ist.
164.5. Schließlich ist Folgendes festzuhalten: Über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen darf grundsätzlich nicht mehr in merito entschieden werden; die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen (). Ein hervorkommendes Prozesshindernis ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (, 0621). Das Verwaltungsgericht hat sich bezüglich des im Akt einliegenden Bescheids vom , mit dem der mitbeteiligten Partei Wohnbeihilfe für den Zeitraum von bis gewährt wurde, - erkennbar aufgrund einer unzutreffenden Rechtsansicht - nicht mit der Frage dessen Rechtskraft auseinandergesetzt (sollte dieser Bescheid rechtskräftig sein, wäre Sache des Beschwerdeverfahrens nur noch die Gewährung von Wohnbeihilfe für die Monate Februar bis April 2018).
174.6. Das angefochtene Erkenntnis war nach dem Gesagten wegen - prävalierender - inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022110051.L00 |
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