VwGH vom 18.08.2022, Ra 2022/08/0070
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer über die Revision des A Z in L, vertreten durch Mag. Wolfgang Kempf, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Bürgerstraße 41, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L501 2231688-1/2E, betreffend Haftung gemäß § 67 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1Mit Bescheid vom sprach die Österreichische Gesundheitskasse (im Folgenden: belangte Behörde) aus, dass der Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 10 ASVG als Geschäftsführer (nunmehr Liquidator) die von der Z GmbH zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren in Höhe von € 75.669,35 zuzüglich Verzugszinsen „schulde“ und zur Zahlung dieses Betrags verpflichtet sei. Sie begründete diesen Ausspruch damit, dass der Revisionswerber von bis Geschäftsführer und von bis Liquidator der Z GmbH gewesen sei. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Z GmbH sei mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden, sodass die Uneinbringlichkeit feststehe. Der Revisionswerber sei „nachweislich über die Haftungsbestimmungen und den geltend gemachten Haftungsbetrag“ informiert worden, der „Aufforderung zur Stellungnahme“ jedoch nur insofern nachgekommen, als er über das Zustandekommen des Beitragsrückstandes informiert und dargelegt habe, dass kein Verschulden seinerseits vorliege. Unterlagen zur Untermauerung dieser Angaben habe er nicht vorgelegt.
2In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, dass der Rückstand in Höhe von € 75.669,35 auf eine „fehlerhafte Abrechnung von Auslösen über mehrere Jahre“ zurückgehe. Die Lohnverrechnung sei von der Steuerberatung der Z GmbH durchgeführt worden, und er habe von diesem Fehler „keine Ahnung“ gehabt. Als sich der Fehler offenbart habe, seien keine Mittel zur Begleichung der Beiträge mehr vorhanden gewesen. Im März 2018 sei im Zuge der Montage einer Hochdrucksprinkleranlage ein Schaden in der Größenordnung von ca. € 800.000,00 entstanden; dies sei das wirtschaftliche Ende des Unternehmens gewesen und dieses sei ab diesem Zeitpunkt nur mehr abgewickelt worden. Ein Vermögen sei nie vorhanden gewesen, auch kein Anlagevermögen. Er sei zwar „vor dem März 2018“ noch in der Lage gewesen, „die Schulden beim Finanzamt zu begleichen“, „zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides am “ (gemeint: Zustellung des Prüfberichts, aus dem sich die Nachforderung ergab) seien aber keine Mittel mehr vorhanden gewesen.
3Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Es stellte fest, dass der Revisionswerber im Zeitraum vom bis handelsrechtlicher Geschäftsführer der Z GmbH und ab deren Liquidator gewesen sei. Mit Beschluss des Landesgerichts Linz vom sei ein Insolvenzverfahren über die Z GmbH mangels kostendeckenden Vermögens nicht eröffnet worden. Die Gesellschaft sei infolge rechtskräftiger Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens und Zahlungsunfähigkeit aufgelöst und in weiterer Folge im Firmenbuch gelöscht worden. Laut Rückstandsausweis der belangten Behörde vom seien Forderungen in Höhe von € 75.669,35 zuzüglich Verzugszinsen offen. Der Revisionswerber sei von der belangten Behörde „mehrmals ausführlich über die Sach- und Rechtslage sowie die zur verfahrensgegenständlichen Frage ergangene Rechtsprechung“ aufgeklärt worden. Ihm sei erklärt worden, welche Unterlagen zur Beurteilung der Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit anderen Verbindlichkeiten im haftungsrelevanten Zeitraum erforderlich seien und welche Aufstellung anzufertigen sei. Trotz mehrmaliger Aufforderung habe er keine Unterlagen „für eine Prüfung der Gläubigergleichbehandlung“ vorgelegt. In der Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht zu den eine Pflichtverletzung begründenden Umständen aus, dass sich die - unbestrittene - Höhe des Haftungsbetrages aus dem Rückstandsausweis ergebe und die Nichtvorlage von Unterlagen, die eine Prüfung der Gläubigergleichbehandlung ermöglichen würden, aus dem Akteninhalt sowie den Schriftsätzen des Revisionswerbers zu entnehmen sei.
4In rechtlicher Hinsicht würdigte das Verwaltungsgericht diesen Sachverhalt (nach Darstellung der anwendbaren Rechtslage) dahin, dass der Revisionswerber - trotz mehrmaliger entsprechender Aufklärung und Aufforderung durch die belangte Behörde - im gesamten Verfahren bezogen auf den haftungsrelevanten Zeitraum nicht dargelegt und entsprechend unter Beweis gestellt habe, „welche Verbindlichkeiten der Z GmbH aushafteten, welche Mittel ihr an sich zur Verfügung standen und welche Zahlungen für sie jeweils geleistet wurden“. Komme der haftungspflichtige Geschäftsführer seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, bleibe die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist. Mangels Darlegung habe die belangte Behörde davon ausgehen können, dass der Revisionswerber „den Nachweis der Gleichbehandlung“ in Bezug auf den gegenständlichen Haftungszeitraum „nicht angetreten“ habe. Folglich sei von einer schuldhaften Pflichtverletzung mit der Konsequenz einer Haftung für die gesamten offenen Beitragsverbindlichkeiten auszugehen (Hinweis auf ).
5Die Revision iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
6Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
7Die Revision ist im Hinblick auf die geltend gemachte Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte zulässig und berechtigt.
8Mit dem im behördlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Vorbringen des Revisionswerbers bestritt dieser zwar die Beitragsrückstände weder dem Grunde noch der Höhe nach und machte auch nicht geltend, dass die Gläubiger - bis zu dem Zeitpunkt, in dem ihm die zunächst (angeblich unverschuldet) unbekannt gebliebenen Beitragsrückstände bewusst geworden seien - gleich behandelt worden seien. Vielmehr lief sein Vorbringen auf die Geltendmachung mangelnden Verschuldens (infolge nicht vorwerfbarer Unkenntnis der Rückstände) für die Verletzung seiner Pflichten in einer ersten Phase und - in einer zweiten Phase - die Behauptung fehlender Mittel zur Begleichung der Beitragsrückstände (nach Erlangen der Kenntnis über die Rückstände) hinaus. Mit diesem - nicht von vornherein als unerheblich einzustufenden - Vorbringen von Tatsachen, mit denen (zunächst) eine unverschuldete Unkenntnis und (nach Wegfall der Unkenntnis) das gänzliche Fehlen von Mitteln behauptet wurden, hat sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt und es hat dazu auch keine Feststellung getroffen. Die bloße Bezugnahme darauf, dass keine Unterlagen vorgelegt worden seien, die eine Prüfung der Gläubigergleichbehandlung ermöglichen würden, geht an dem von diesem Tatsachenvorbringen aufgeworfenen Thema vorbei.
9In Hinblick darauf, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt somit strittig war, wäre das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Revisionswerber hat - wie dargestellt - ein über die Sachverhaltsannahmen des angefochtenen Bescheides hinausgehendes, prozessrelevantes Tatsachenvorbringen erstattet, dem das Bundesverwaltungsgericht nicht gefolgt ist. Vor diesem Hintergrund lagen im vorliegenden Verfahren, in dem „civil rights“ im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu beurteilen waren, die Voraussetzungen des Absehens von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Es gehört nämlich gerade im Fall zu klärender prozessrelevanter Behauptungen - wie hier vorliegend - zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. , mwN).
10Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
11Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
12Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Ein Ersatz für Eingabengebühren war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022080070.L01 |
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