VwGH vom 20.04.2022, Ra 2022/06/0010
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. der A K F, 2. der A F und 3. der I F, alle in N, alle vertreten durch die Battlogg Rechtsanwalts GmbH in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , LVwG-318-40/2021-R9, betreffend eine Angelegenheit nach dem Vorarlberger Baugesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Nüziders; weitere Partei: Vorarlberger Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde Nüziders hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1Nachdem den Revisionswerberinnen die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes gemäß § 40 Vorarlberger Baugesetz (BauG) betreffend u.a. die verfahrensgegenständliche Stützmauer angedroht worden war, langte am beim Bürgermeister der Gemeinde N (Behörde) eine Bauanzeige ein, die weder datiert noch unterschrieben war. Laut Bauanzeige besteht die Stützmauer auf den GSt-Nrn. A, .B, C und D, alle N.
2Mit Verbesserungsauftrag gem. § 13 Abs. 3 AVG vom trug die Behörde den Revisionswerberinnen unter anderem auf, die Zustimmung der Eigentümer für die dauerhafte Teilüberbauung der Nachbarliegenschaften GSt-Nrn. C und D durch die bestehende Stützmauer vorzulegen; diesem Auftrag kamen die Revisionswerberinnen nur hinsichtlich des GSt-Nr. D nach.
3Am wurde die Bauanzeige neuerlich - nunmehr datiert und unterschrieben, aber wiederum ohne „liquide“ Zustimmungserklärung der Grundeigentümer des GSt-Nr. C - eingebracht.
4Die Behörde untersagte mit Bescheid vom gemäß § 33 Abs. 3 BauG das beantragte anzeigepflichtige Bauvorhaben der bestehenden Stützmauer.
5Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) der Beschwerde der Revisionswerberinnen gegen diesen Bescheid keine Folge und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.
Begründend führte das LVwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - aus, die Stützmauer liege dem Gutachten des Amtssachverständigen für Hochbau vom zufolge nicht nur auf dem Grundstück der Revisionswerberinnen, sondern auch auf den GSt-Nr. C und D. Das Beschwerdevorbringen, wonach „die Stützmauer zur Gänze auf dem Grundstück der Beschwerdeführer“ errichtet worden sei, sei unrichtig.
In weiterer Folge begründete das LVwG, aus welchem Grund nicht von einer „liquiden“ Zustimmung des damaligen Grundeigentümers des GSt-Nr. C (Herrn G.) aus dem Jahr 1992 auszugehen sei. Angesichts dessen - so das LVwG weiter - sei davon auszugehen, dass „die Stützmauer den baurechtlichen Vorschriften entgegenstehe“. Da das anzeigepflichtige Vorhaben die in § 33 Abs. 2 BauG genannten Voraussetzungen nicht erfülle, sei es gemäß § 33 Abs. 3 leg. cit. zu untersagen gewesen.
Das Vorliegen der erforderlichen Zustimmung sei eine Tatbestandsvoraussetzung und keine Vorfrage gemäß § 38 AVG, weshalb die Behörde das Verfahren nicht zur Einholung einer allfälligen Zustimmung im Zivilrechtsweg zu unterbrechen gehabt habe.
Da die Anzeige mangels Vorlage einer erforderlichen Zustimmungserklärung nicht vollständig gewesen sei, habe die sechswöchige Frist zur Abfertigung des Untersagungsbescheides gemäß § 33 Abs. 4 iVm Abs. 3 BauG nicht zu laufen begonnen; der am zugestellte Bescheid sei somit nicht rechtswidrig iSd § 33 Abs. 4 zweiter Satz leg. cit..
6Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8Die Revisionswerberinnen bringen in der Zulässigkeitsbegründung unter anderem vor, das LVwG weiche von der bisherigen hg. Rechtsprechung insofern ab, als es die Frage des Eigentums an der überbauten Fläche im Wege der Ersitzung trotz eines entsprechenden Vorbringens nicht geprüft habe.
9Die Revision ist angesichts dieses Vorbringens zulässig.
10Gemäß § 24 Abs. 3 lit. a BauG ist dem Bauantrag der Nachweis des Eigentums oder Baurechtes am Baugrundstück oder, wenn der Antragsteller nicht selbst Eigentümer oder bauberechtigt ist, der Zustimmung des Eigentümers bzw. Bauberechtigten anzuschließen. Die Bauanzeige ist bei der Behörde schriftlich einzubringen (§ 32 Abs. 1 BauG). In der Bauanzeige sind Art, Lage, Umfang und die beabsichtigte Verwendung des Bauvorhabens anzugeben sowie die im § 24 Abs. 3 lit. a bis c angeführten Unterlagen anzuschließen (§ 32 Abs. 2 BauG).
§ 33 Vorarlberger Baugesetz (BauG), LGBl.Nr. 52/2001 idF LGBl. Nr. 34/2018, lautet auszugsweise:
„§ 33
Erledigung
(1) Ist das angezeigte Bauvorhaben bewilligungspflichtig, so hat die Behörde dies mit schriftlichem Bescheid festzustellen.
(2) Die Behörde hat das anzeigepflichtige Bauvorhaben mit schriftlichem Bescheid freizugeben, wenn das Bauvorhaben nach Art, Lage, Umfang, Form und Verwendung den bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften entspricht und auch sonst öffentliche Interessen, besonders solche der Sicherheit, der Gesundheit, des Verkehrs, des Denkmalschutzes, der Energieeinsparung und des haushälterischen Umgangs mit Grund und Boden (§ 2 Abs. 3 lit. a Raumplanungsgesetz), nicht entgegenstehen. Auflagen nach § 29 Abs. 5 sind zulässig.
(3) Erfüllt das anzeigepflichtige Bauvorhaben die im Abs. 2 genannten Voraussetzungen nicht, ist es mit schriftlichem Bescheid zu untersagen. Anstelle einer Untersagung kann die Behörde auch bloß schriftlich mitteilen, dass und weshalb das Bauvorhaben die Voraussetzungen für eine Freigabe nicht erfüllt.
(4) Bescheide nach den Abs. 1 bis 3 sowie eine Mitteilung nach Abs. 3 müssen spätestens sechs Wochen, bei Bauvorhaben nach § 19 lit. d spätestens drei Monate nach Vorliegen einer vollständigen Bauanzeige nachweisbar abgefertigt, z.B. der Post zur Zustellung übergeben werden. Später abgefertigte Bescheide nach den Abs. 2 und 3 sind rechtswidrig, eine verspätete Mitteilung wirkungslos.
(5) ...“
11Zunächst wird festgehalten, dass das Revisionsvorbringen betreffend einen Feststellungsbescheid und ob sich § 33 Abs. 4 BauG auch auf Bescheide gemäß dessen Abs. 1 beziehe, schon deshalb ins Leere geht, weil verfahrensgegenständlich nicht ein Feststellungsantrag gemäß § 33 Abs. 1 BauG, sondern ein Untersagungsbescheid gemäß dessen Abs. 3 ist (siehe dazu jedoch bis 0220).
12Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt der Nachweis der Zustimmung des Grundeigentümers aller Miteigentümer einen notwendigen Beleg des Bauansuchens im Sinn des § 24 Abs. 3 lit. a BauG als Tatbestandsvoraussetzung dar. Die Zustimmung des Grundeigentümers muss „liquid“ vorliegen, das heißt, es darf nicht strittig sein, ob der Grundeigentümer seine Zustimmung erteilt hat. Gemäß § 32 Abs. 2 BauG iVm § 24 Abs. 3 lit. a BauG ist der - gemäß § 32 Abs. 1 BauG schriftlich einzubringenden - Bauanzeige der Nachweis des Eigentums- oder Baurechtes am Baugrundstück oder, wenn der Antragsteller nicht selbst Eigentümer oder bauberechtigt ist, die Zustimmung des Eigentümers bzw. Bauberechtigten anzuschließen (vgl. , Rn. 10 f, mwN).
13Soweit die Revision vorbringt, das LVwG sei von den Vorgaben des § 38 AVG abgegangen, indem es das Verfahren zur Einholung der Zustimmung auf dem Zivilrechtsweg nicht unterbrochen habe, ist sie auf die dazu ergangene hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach die Frage des Vorliegens der Zustimmung gemäß § 24 Abs. 3 lit. a BauG keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG darstellt, sondern eine Tatbestandsvoraussetzung (vgl. nochmals Ra 2019/06/0023, Rn. 11).
14Das LVwG ging im Lichte der oben zitierten Rechtsprechung zunächst zutreffend davon aus, dass der Bauanzeige im vorliegenden Fall der Nachweis der Zustimmung aller betroffenen Grundeigentümer beizulegen gewesen wäre. Die Revision rügt jedoch zu Recht, das LVwG sei auf das Vorbringen der Revisionswerberinnen in der Beschwerdeverhandlung am , sie hätten den überbauten Teil des GSt-Nr. C außerbücherlich erworben, überhaupt nicht eingegangen.
Dem Verhandlungsprotokoll vom zufolge wurde - soweit für die Frage der Ersitzung relevant - vorgebracht, eine erste Bauetappe der Stützmauer sei Ende der 70er Jahre errichtet und 1992 mit Zustimmung des damaligen Eigentümers des GSt-Nr. C (Herrn G.) ausgebaut worden. Im Gegenzug zu dieser Zustimmung des Herrn G. hätten die Revisionswerberinnen der Reduzierung der Abstandsflächen für den Umbau des Wirtschaftsgebäudes auf dem GSt-Nr. C zugestimmt. Herr G. habe über 40 Jahre den Zustand der Mauer nicht beanstandet. Die verfahrensgegenständliche Mauer sei mit jener aus dem Jahr 1992 identisch. Die Familie der Revisionswerberinnen nutze die GSt-Nrn. A und .B seit 1979. Seither es sei zu einer Ersitzung gekommen, die Revisionswerberinnen hätten die Mauer über 40 Jahre gutgläubig genutzt (§ 326 ABGB); eine Besitzstörungsklage sei nicht eingebracht worden.
15Da den Feststellungen des LVwG zufolge die verfahrensgegenständliche Stützmauer der Revisionswerberinnen nicht nur die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke und das GSt-Nr. D, sondern auch einen Teil des GSt-Nr. C in Anspruch nimmt, ist entscheidungswesentlich, ob die Revisionswerberinnen diesbezüglich auch Eigentümerinnen des überbauten Grundes wurden, wofür die allgemeinen Regeln der §§ 415 ff ABGB einschlägig sind (vgl. ; , 2007/05/0206, jeweils mwN). Damit setzte sich das LVwG trotz eines entsprechenden Vorbringens in der Beschwerdeverhandlung überhaupt nicht auseinander. Die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis, „[s]omit ist nicht richtig, wenn in der Beschwerde ua der Standpunkt vertreten wird, dass ‚die Stützmauer zur Gänze auf dem Grundstück der Beschwerdeführer‘ (gemeint wohl: der Beschwerdeführerinnen) stehe“ (Hervorhebungen im Original) lassen die entscheidungswesentliche Frage eines allfälligen außerbücherlichen Erwerbs des überbauten Grundes durch die Revisionswerberinnen unberücksichtigt.
Sollten die Revisionswerberinnen außerbücherliche Eigentümerinnen des überbauten Grundstücksteiles sein, wäre eine Zustimmungserklärung von Herrn G. nicht erforderlich und die Anzeige vom - zumindest aus diesem Gesichtspunkt - nicht mangelhaft.
16Indem sich das LVwG in Verkennung der Rechtslage mit der Frage einer möglichen Ersitzung des überbauten Grundstücksteiles überhaupt nicht auseinandersetzte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
17Im Übrigen wird Folgendes angemerkt:
Sowohl die Behörde als auch das LVwG legten ihren Entscheidungen zugrunde, dass die Revisionswerberinnen dem Verbesserungsauftrag vom nicht vollständig nachgekommen seien und daher auch die Anzeige vom mangels Zustimmung des Grundeigentümers des GSt-Nr. C nicht vollständig gewesen sei. Davon ausgehend wäre die Anzeige jedoch gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückzuweisen gewesen (vgl. nochmals , Rn. 13). Ein solcher verfahrensrechtlicher Zurückweisungsbescheid unterliegt dem eindeutigen Wortlaut des § 33 Abs. 4 BauG zufolge nicht den darin festgelegten Voraussetzungen (sechswöchige Frist zur Abfertigung der Entscheidung und Rechtswidrigkeit im Fall einer Verspätung).
Eine Untersagung gemäß § 33 Abs. 3 BauG setzt hingegen eine vollständige Bauanzeige voraus, die inhaltlich beurteilt werden kann. Nur bei Vorliegen einer solchen vollständigen Bauanzeige hat die Behörde - bei sonstiger Rechtswidrigkeit des Bescheides oder der Anzeige - innerhalb von sechs Wochen die Entscheidung über die Untersagung (bzw. die Freigabe) nachweislich abzufertigen.
18Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Aufwandersatz ein Kostenersatz aus dem Titel der Umsatzsteuer nicht zusteht und ein Zuspruch der verzeichneten Position „15 % STG“ (offenbar gemeint: 15 % Streitgenossenzuschlag) in den genannten Rechtsvorschriften nicht vorgesehen ist (, mwN).
19Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060010.L00 |
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