VwGH vom 21.06.2022, Ra 2021/22/0218
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz sowie Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/047/7372/2020-10, VGW-151/V/047/7328/2020, VGW-151/V/047/7329/2020 und VGW-151/V/047/7333/2020, betreffend Wiederaufnahme von Verfahren iA Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: J C, vertreten durch N C in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1Mit Bescheid vom nahm der Landeshauptmann von Wien die Verfahren, die aufgrund der Anträge der Mitbeteiligten, einer serbischen Staatsangehörigen, vom , vom sowie vom auf erstmalige Erteilung bzw. Verlängerung (jeweils) eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ nach § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) rechtskräftig positiv abgeschlossen worden waren, gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 3 AVG wieder auf und wies die genannten Anträge ebenso wie den bis dahin noch nicht bescheidmäßig erledigten Verlängerungsantrag der Mitbeteiligten vom gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG ab.
Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, bei der zwischen dem Vater der Mitbeteiligten, einem serbischen Staatsangehörigen, und Frau LM, einer serbischen Staatsangehörigen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“, am geschlossenen und am geschiedenen Ehe, auf deren Grundlage der Mitbeteiligten die genannten Aufenthaltstitel nach § 46 Abs. 1 Z 2 NAG erteilt worden seien, habe es sich um eine Aufenthaltsehe gehandelt.
2Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten statt und hob den Bescheid vom auf. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3Die Aufhebung des Bescheides vom begründete das Verwaltungsgericht Wien zusammengefasst dahin, dass das Eingehen einer Aufenthaltsehe durch den Vater der minderjährigen Mitbeteiligten nicht dazu führe, dass diese das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 4 iVm. § 30 Abs. 1 NAG verwirklicht hätte. Darüber hinaus sei im Hinblick auf § 11 Abs. 2 Z 1 NAG festzuhalten, dass die Frage der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht im Wege einer „Sippenhaftung“, sondern fallbezogen in Form einer Prognose ausgehend vom Gesamtverhalten für jede Person eigenständig zu prüfen sei. In Ansehung der von ihrem Vater eingegangenen Aufenthaltsehe könne der Mitbeteiligten kein Fehlverhalten vorgeworfen werden.
Vor diesem Hintergrund sei evident, dass die Mitbeteiligte die in Rede stehenden Aufenthaltstitel nicht erschlichen habe, sodass der von der Behörde herangezogene Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG nicht vorliege.
Betreffend den Verlängerungsantrag vom führte das Verwaltungsgericht aus, im Fall des Fehlens von allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen sei nach § 25 Abs. 1 NAG vorzugehen. Da der Vater der Mitbeteiligten, demgegenüber eine mit dem Bescheid vom im Wesentlichen inhaltsgleiche Entscheidung ergangen sei, derzeit in Österreich nicht aufenthaltsberechtigt sei, stehe in Frage, ob die Mitbeteiligte über ausreichendes Einkommen sowie eine ortsübliche Unterkunft für die Dauer des beantragten Aufenthalts verfüge.
4Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht Wien sei von der hg. Rechtsprechung zu § 69 Abs. 1 Z 1 AVG abgewichen (Hinweis: und 0235).
5Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6Im Hinblick auf die von der Zulässigkeitsbegründung dargelegte Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Judikatur erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
7Die Aufhebung des Bescheides vom begründete das Verwaltungsgericht Wien im Ergebnis damit, dass der Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG (Erschleichen des Bescheides) nicht vorliege, weil einem minderjährigen Fremden das Fehlverhalten eines Elternteils bei Eingehen einer Aufenthaltsehe nicht angelastet werden könne.
8Dazu ist zwecks Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom , Ra 2020/22/0234 und 0235, zu verweisen.
9Aus den dort dargelegten Gründen war es auch im Revisionsfall nicht zu beanstanden, dass die Behörde das Verschweigen der Aufenthaltsehe bzw. das Berufen auf den - auf diese Aufenthaltsehe gestützten - Aufenthaltstitel des Vaters der Mitbeteiligten, durch diesen, wodurch die Erteilung der Aufenthaltstitel an die Mitbeteiligte bewirkt wurde, als ein Erschleichen der Bescheide im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG in den Verfahren über die Anträge der Mitbeteiligten ansah. Die diesbezügliche Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Wien erweist sich somit als unzutreffend.
10In den wiederaufgenommenen Verfahren waren die auf § 46 Abs. 1 Z 2 NAG gestützten Anträge der Mitbeteiligten jedenfalls abzuweisen, weil sie - da auch ihr Vater über keinen Aufenthaltstitel mehr verfügt - die Voraussetzungen nach der zuletzt genannten Bestimmung nicht mehr erfüllt; dies gilt auch für ihren Verlängerungsantrag vom . Im Übrigen verfügte sie, was ihre Verlängerungsanträge anbelangt, nach einer Wiederaufnahme der gegenständlichen Verfahren, der ex-tunc Wirkung zukommt, und der Abweisung ihres Erstantrags über keinen Aufenthaltstitel, der einer Verlängerung zugänglich wäre (vgl. auch , Rn. 11).
11Aus den dargelegten Erwägungen hat das Verwaltungsgericht Wien das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220218.L00 |
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