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VwGH vom 31.05.2022, Ra 2021/22/0064

VwGH vom 31.05.2022, Ra 2021/22/0064

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der T S, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das am mündlich verkündete und mit schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/004/7989/2020-7, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bescheid vom wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) den Erstantrag der Revisionswerberin, einer afghanischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ nach § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG ab. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass der Zusammenführende (Ehemann der Revisionswerberin) in keinem Beschäftigungsverhältnis mehr stehe und der erforderliche Richtsatz für ein Ehepaar nicht erreicht werde, weshalb eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft nicht ausgeschlossen werden könne. Die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG falle zu Ungunsten der Revisionswerberin aus.

2In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte die Revisionswerberin vor, dass der Zusammenführende derzeit bei der B GmbH arbeite und dort ein monatliches Bruttoeinkommen in der Höhe von € 1.540,- und eine monatliche Überstundenpauschale in der Höhe von € 467,25 beziehe, weshalb der erforderliche Richtsatz erreicht werde. Der Beschwerde angeschlossen war eine Kopie des Dienstzettels samt Nachtrag zum Dienstvertrag.

3In der Ladung zur mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht Wien wurde die Revisionswerberin aufgefordert, vor der mündlichen Verhandlung alle ihr bekannten Tatsachen geltend zu machen und die vorhandenen Beweismittel vorzulegen, insbesondere sämtliche aktuellen anspruchsbegründenden Unterlagen.

4In der am durchgeführten mündlichen Verhandlung legte der Rechtsvertreter der Revisionswerberin eine Einstellungszusage der B GmbH für die Revisionswerberin sowie drei Lohnbescheinigungen des Zusammenführenden für die Monate September bis November 2020 vor. Der Zusammenführende gab in der Verhandlung (verkürzt dargestellt) Folgendes an: Er verdiene monatlich netto € 1.629,-. Einen aktuellen KSV-Auszug habe er nicht mit (verwiesen wurde auf die im Akt der Behörde befindlichen Unterlagen aus 2019); allerdings scheine auf dem Lohnzettel keine Pfändung auf. Die monatliche Miete für die Wohnung betrage € 580,-, die Betriebskosten würden zwischen € 120,- und € 150,- im Quartal betragen. Nachweise darüber habe er nicht mit; er zeigte aber auf seinem Mobiltelefon entsprechende (im Verhandlungsprotokoll näher dargestellte) Überweisungen. Der Rechtsvertreter der Revisionswerberin verwies auf ein Guthaben am Konto des Zusammenführenden in der Höhe von € 3.884,17 und ersuchte um eine weitere Frist von einer Woche, um die fehlenden Unterlagen nachzureichen.

5Mit dem angefochtenen, unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündeten Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig.

6Festgestellt wurde, dass der Zusammenführende seit bei der B GmbH beschäftigt sei und in den Monaten September bis November 2020 ein (monatliches) Einkommen in der Höhe von € 2.220,69 brutto ohne Sonderzahlungen erwirtschaftet habe. Die Höhe der (wertgesicherten) Miete für die Wohnung des Zusammenführenden sei am mit € 580,- vereinbart worden. Die Revisionswerberin habe keine Unterlagen zur aktuellen Höhe der Miete, zur regelmäßigen Begleichung der Miete, zu den Betriebskosten und zu etwaigen aktuellen regelmäßigen Kreditbelastungen (die letzte vorgelegte KSV-Auskunft sei vom ) vorgelegt, weshalb keine diesbezüglichen Feststellungen hätten getroffen werden können. Das Herzeigen einer Mietüberweisung auf dem Mobiltelefon könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu Feststellungen über die regelmäßige Begleichung und die Höhe der Miete führen. Gleiches gelte für die Betriebskosten, hinsichtlich derer nur einzelne Überweisungen am Mobiltelefon hergezeigt worden seien. Die finanzielle Situation der Revisionswerberin und des Zusammenführenden könne daher nicht umfassend festgestellt werden. Gleiches gelte für die Unbescholtenheit der Revisionswerberin, weil das letzte vorgelegte Führungszeugnis vom stamme.

7In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Verwaltungsgericht zunächst darauf, dass die Revisionswerberin mit Ladung vom aufgefordert worden sei, alle vorhandenen Beweismittel und aktuellen anspruchsbegründenden Unterlagen vorzulegen, was diese jedoch ohne Angabe von Gründen unterlassen habe. Somit habe die Revisionswerberin die für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels notwendigen Nachweise nicht ausreichend erbracht. Weiters verwies das Verwaltungsgericht auf § 29 Abs. 1 NAG, der eine besondere Mitwirkungspflicht des Fremden im Verfahren nach dem NAG statuiere. Dies betreffe insbesondere jene betriebs- und personenbezogenen Umstände, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen könne. Die Revisionswerberin habe keine umfassenden und aktuellen Unterlagen betreffend die regelmäßigen finanziellen Belastungen des Zusammenführenden vorgelegt, die allerdings notwendig gewesen wären, um die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG umfassend prüfen zu können. Vor diesem Hintergrund sei auf die Einstellungszusage der B GmbH für die Revisionswerberin nicht mehr einzugehen gewesen. Da die finanzielle Situation der Revisionswerberin bzw. des Zusammenführenden nicht ausreichend erwiesen sei und es damit an der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG fehle, sei auf die weiteren Erteilungsvoraussetzungen nicht mehr einzugehen gewesen. Da kein aktueller Strafregisterauszug der Revisionswerberin vorgelegt worden sei, habe auch die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilt werden können. Eine weitere Frist zur Nachreichung der fehlenden Unterlagen sei nicht einzuräumen gewesen, weil die Revisionswerberin bereits mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Vorlage aller anspruchsbegründenden Unterlagen aufgefordert worden sei.

8Abschließend hielt das Verwaltungsgericht in seinen Ausführungen zur Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG fest, dass die privaten und familiären Interessen der Revisionswerberin hinter die als sehr hoch zu bewertenden öffentlichen Interessen zurückzutreten hätten.

9Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

10Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

Der Verwaltungsgerichthof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

11Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, das Verwaltungsgericht habe die Mitwirkungspflicht des § 29 NAG überspannt; die durch das Verwaltungsgericht erfolgte Aufforderung zur Urkundenvorlage sei nicht hinreichend konkret gewesen. Zudem moniert die Revisionswerberin eine Verletzung im Recht auf Parteiengehör insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines aktuellen Führungszeugnisses sowie dem Bestehen eines Familienlebens.

Die Revision erweist sich vor diesem Hintergrund als zulässig und auch als berechtigt.

12Vorauszuschicken ist zunächst, dass das Verwaltungsgericht in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses zwar davon spricht, dass eine Beurteilung der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG mangels aktuellen Strafregisterauszugs nicht mit der erforderlichen Sicherheit möglich sei. Allerdings wird die Abweisung der Beschwerde bzw. des Antrags der Revisionswerberin nicht (erkennbar) auf § 11 Abs. 2 Z 1 NAG gestützt (die belangte Behörde stützte die Abweisung des Antrags nicht auf diese Bestimmung und eine Abänderung des Spruchs durch das Verwaltungsgericht ist nicht erfolgt). Ausgehend davon wird auf die Ausführungen zum Führungszeugnis bzw. zum Strafregisterauszug nicht weiter eingegangen.

13Dem Verwaltungsgericht ist zunächst vorzuhalten, dass nicht nachvollziehbar dargelegt wurde, weshalb die seitens der Revisionswerberin vorgelegte Einstellungszusage (mit einem angegebenen Lohn von € 1.540,-), deren Glaubwürdigkeit vom Verwaltungsgericht nicht in Zweifel gezogen wird, in keiner Weise berücksichtigt wurde.

14Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen. Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung verbietet sich dann, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen ist. Es genügt für den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, dass im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels eine konkretisierte Erwerbstätigkeit aufgenommen und damit das notwendige Ausmaß an Einkommen erwirtschaftet werden könnte. Vor diesem Hintergrund kann der vorgelegten Einstellungszusage nicht generell jegliche Bedeutung abgesprochen werden (vgl. , Rn. 10, mwN). Das Verwaltungsgericht hätte sich daher mit der Einstellungszusage inhaltlich auseinandersetzen und sie einer Beweiswürdigung unterziehen müssen.

15Daran vermögen die fehlenden aktuellen Unterlagen betreffend allfällige Kreditbelastungen, die Miethöhe und die Betriebskosten des Zusammenführenden nichts zu ändern. Das Verwaltungsgericht weist zwar dem Grunde nach zutreffend darauf hin, dass sich die Mitwirkungspflicht des Fremden insbesondere auf jene Aspekte erstreckt, hinsichtlich derer dem Grundsatz der Amtswegigkeit faktische Grenzen gesetzt sind, weil das Verwaltungsgericht (wie hier der Fall) auf die Angaben bzw. Unterlagen des Fremden angewiesen ist (vgl. grundsätzlich dazu etwa , Rn. 86 ff, 105; , Ra 2018/03/0021, Rn. 24 ff; jeweils mwN; sowie die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 39, Rn. 10). Im vorliegenden Fall hat die Revisionswerberin jedoch bereits mit ihrem Antrag Unterlagen zur Mietbelastung sowie einen KSV-Auszug des Zusammenführenden vorgelegt. In dem diesen Antrag abweisenden Bescheid vom wurde eine Miete in der Höhe von € 580,- zugrunde gelegt, das Vorliegen hinreichender Unterhaltsmittel im Hinblick auf die (zu diesem Zeitpunkt) nicht vorliegende Erwerbstätigkeit des Zusammenführenden aber verneint. Auch wenn das Verwaltungsgericht in der Ladung zur mündlichen Verhandlung sodann in allgemeiner Form die Vorlage aktueller anspruchsbegründender Unterlagen aufgetragen hat, musste die Revisionswerberin nicht davon ausgehen, dass davon jedenfalls auch die Aktualisierung der bereits vorgelegten, von der belangten Behörde nicht beanstandeten Unterlagen erfasst ist (vgl. zum Grundsatz der Amtswegigkeit und zur Aufforderung, das Vorbringen zu konkretisieren bzw. zu präzisieren, auch und 0122, Pkt. 10.1., mwN). Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht aber - wenn es die Einsicht in die Kontobewegungen am Mobiltelefon des Zusammenführenden als unzureichend erachtete - dem Antrag auf Einräumung einer Frist zur Nachreichung der geforderten Unterlagen entsprechen müssen.

16Ausgehend davon erweisen sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zum Fehlen (bzw. zur fehlenden Beurteilungsmöglichkeit) des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel als für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar.

17Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

18Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220064.L00

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