VwGH vom 31.07.2014, 2014/01/0094
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision der revisionswerbenden Partei K G in G, vertreten durch Dr. Gerhard Halbreiner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 23/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W138 1410080- 2/13E, betreffend § 3 Asylgesetz 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte der Revisionswerber im Wesentlichen vor, sein Onkel - ein Angehöriger der Taliban - habe gewollt, dass er für die Taliban kämpfe. Er habe sich geweigert und sei deshalb des Öfteren von ihm geschlagen worden. Auch sein Vater, dem gegenüber der Onkel diesen Wunsch geäußert habe, sei von diesem geschlagen worden. Im Falle einer Rückkehr würde der Onkel den Revisionswerber "sicher zu den Taliban schicken".
2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl: im Folgenden belangte Behörde) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.).
Begründend führte das Bundesasylamt zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen glaubhaft machen können, die Ausreise sei vielmehr aus persönlichen Gründen erfolgt. Die Entscheidung hinsichtlich Spruchpunkt II. begründete das Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass dem Revisionswerber eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZP zur EMRK drohe, da er niemanden in Kabul habe und die Lage um Kabul aufgrund der Verlagerung der Kämpfe vor allem im Gebiet, aus dem der Revisionswerber stamme, als unsicher einzustufen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
Dabei stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe Afghanistan verlassen, weil sein Onkel ihm und seiner Familie gegenüber jahrelang Gewalt ausgeübt habe. Im Rahmen dieser gewalttätigen Angriffe sei er einmal am Kopf verletzt worden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der gewalttätige Onkel ein Angehöriger der Taliban sei, jedenfalls sei davon auszugehen, dass dieser mit den Taliban sympathisiere.
In den im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan heißt es auszugsweise:
"In Gebieten, die ihrer tatsächlichen Kontrolle unterliegen, nutzen regierungsfeindliche Kräfte Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Rekrutierungsmaßnahmen auf der Grundlage von Zwang. Personen, die sich einer Rekrutierung widersetzen, sind gefährdet, der Spionage für die Regierung angeklagt und getötet oder bestraft zu werden (Richtlinien des UNHCR vom )."
Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nachvollziehbar, glaubwürdig und widerspruchsfrei dargelegt, dass er aufgrund von Problemen mit seinem Onkel und den von diesem ausgehenden Gewalttätigkeiten Afghanistan verlassen habe. Allerdings habe der Revisionswerber keine konkreten Verfolgungshandlungen nennen können, die im Hinblick auf die Bestimmungen der FlKonv von Relevanz seien.
Rechtlich begründete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Revisionswerber zwar glaubwürdig sei, sich aus dem Sachverhalt jedoch nicht ergebe, dass ihm in seinem Heimatland Verfolgung aus einem der in der FlKonv genannten Gründe drohe.
Bei einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban fehle ein asylrelevantes Motiv, da der Revisionswerber nicht etwa aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Religion, seiner politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe einer Gefahr seitens der Taliban ausgesetzt gewesen sei. Eine besondere Gefährdung drohe dem Revisionswerber insbesondere deshalb nicht, weil ihm weder von seinem Onkel noch von dritten Personen eine politische Gesinnung unterstellt worden sei. Weder von seinem Onkel noch von dritten Personen sei dem Revisionswerber vorgehalten worden, dass er aufgrund seiner politischen Überzeugung nicht für die Taliban kämpfen wolle.
Dem Revisionswerber sei weiters staatlicher Schutz nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verweigert worden.
Einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban mangle es jedenfalls an der Asylrelevanz, da die Taliban sich nicht an anderen Merkmalen als der persönlichen Angreifbarkeit der Betroffenen orientieren würden. Auch eine allenfalls drohende Strafe wegen der Weigerung, sich rekrutieren zu lassen, habe keinen asylrelevanten Hintergrund; diese diene der Abschreckung anderer potentieller Opfer einer Zwangsrekrutierung.
Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche und es nicht an einer derartigen Rechtsprechung fehle; auch sei die Rechtsprechung nicht uneinheitlich.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Revision wird zur Zulässigkeit gemäß § 28 Abs. 3 VwGG ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, nach der auch eine bloß unterstellte feindliche politische Gesinnung in Fällen von Zwangsrekrutierung zur Asylgewährung führen könne. Dem Revisionswerber sei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Begründung verwehrt worden, dass es sein mit den Taliban sympathisierender Onkel und nicht eine dritte den Taliban zugehörige Person gewesen sei, die ihn misshandelt habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei aber nicht von Bedeutung, wer einen Zwangsrekrutierungsversuch unternehme. Den Schilderungen des Revisionswerbers, denen geglaubt worden sei, sei zu entnehmen, dass ihn sein Onkel zwingen habe wollen, mit den Taliban zu kämpfen und der Revisionswerber deshalb über mehrere Jahre hinweg misshandelt worden sei. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach dem Revisionswerber von seinem Onkel keine politische Gesinnung unterstellt worden sei, sei verfehlt, zumal der Revisionswerber im Zeitpunkt seiner Flucht erst 13 Jahre alt gewesen sei und in diesem Alter die Hintergründe der Misshandlungen nicht umfassend habe erkennen können. Alleine dadurch, dass sich der Revisionswerber geweigert habe, für die Taliban zu kämpfen, habe er klar zum Ausdruck gebracht, nicht mit den Taliban zu sympathisieren. Alleine dadurch drohe ihm Verfolgung in seinem Herkunftsstaat.
Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist aber unbegründet:
2. 2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Zwangsrekrutierung ausgeführt, dass eine Zwangsrekrutierung durch eine rebellierende Gruppe im Gegensatz zu jemandem, der sich einer allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entzieht, ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates findet, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher ist für die Desertion aus einer Zwangsrekrutierung durch rebellierende Gruppen auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaigen daraus drohenden Strafen anzulegen ist. Es kommt für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/19/0077).
In dieser Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof von der Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei die Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung, auf Grund deren sich der Verfolgte der Zwangsrekrutierung entzogen hat, anknüpft. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0496, mwN).
Im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/19/0387, stellte der Verwaltungsgerichtshof darauf ab, ob das Vorbringen des Asylwerbers hinreichend deutliche Hinweise darauf enthält, dass sein Wunsch, eine ihm widerrechtlich aufgezwungene Militärdienstleistung zu vermeiden, auf einer politischen oder moralischen Überzeugung beruhe, dass ihm eine solche unterstellt oder dass in anderer Weise an einen der in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe angeknüpft werden würde.
Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens des Asylwerbers sind nach ständiger hg. Rechtsprechung Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat. Dabei ist von den Asylbehörden zu erwarten, dass sie von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/19/0265, mwN).
Unter Beachtung dieser vorliegend maßgeblichen Grundsätze ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob gemäß § 3 AsylG 2005 glaubhaft ist, dass einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Diese Einzelfallbeurteilung begründet in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, soweit das Bundesverwaltungsgericht dabei von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen ist (vgl. in diesem Sinne zum Waffengesetz den hg. Beschluss vom , Zl. Ro 2014/03/0074).
4. Vorliegend ist das Bundesverwaltungsgericht von den oben dargestellten im vorliegenden Fall maßgeblichen Grundsätzen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zur Zwangsrekrutierung) abgewichen:
Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes, es komme bei der unterstellten politischen Gesinnung alleine auf einen ausdrücklichen Vorhalt dieser politischen Gesinnung an, findet nämlich keine Deckung in der oben angeführten Rechtsprechung. Nach dieser ist entscheidend, ob das Vorbringen des Asylwerbers vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderfeststellungen hinreichend deutliche Hinweise auf eine derartige unterstellte politische Gesinnung bietet.
Daher hat das Bundesverwaltungsgericht vorliegend die Rechtsfrage, ob eine drohende Zwangsrekrutierung durch "die Taliban" als ein in der Genfer Flüchtlingskonvention genannter Verfolgungsgrund in Frage kommt, zu Unrecht verneint.
Jedoch ist das Vorbringen des Revisionswerbers bereits nicht geeignet, eine in der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behandelte Zwangsrekrutierung darzutun.
Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers beschränkt sich auf die Schilderung von Gewalttätigkeiten seines Onkels gegenüber ihm und anderen Familienangehörigen durch längere Zeit hindurch, ohne allerdings auch nur ansatzweise darzustellen, dass auf den Revisionswerber konkret Zwang zwecks Rekrutierung als Kämpfer für die Taliban ausgeübt worden sei oder zumindest konkret zu erwarten gewesen wäre. Dass der solcherart gewalttätige Onkel des Revisionswerbers (den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes folgend möglicherweise) Angehöriger der Taliban sei, hebt die vorgebrachten Misshandlungen fallbezogen nicht aus der familiären Gewalt heraus.
Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
4. Kosten waren nicht zuzusprechen, da die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung (vgl. § 48 Abs. 2 Z 1 VwGG) nicht erstattet hat.
5. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 1 Z 5 und Z 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-89063