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VwGH vom 18.11.2021, Ra 2021/20/0389

VwGH vom 18.11.2021, Ra 2021/20/0389

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des A M, dzt. in der Justizanstalt G in Haft, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in 8600 Bruck/Mur, Fridrichallee 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W272 1258051-3/32E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A) I. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der im Jahr 1989 geborene Revisionswerber, ein russischer Staatsangehöriger aus Tschetschenien, reiste im Jahr 2004 in das Bundesgebiet ein. Ihm wurde im Jahr 2006 vom damaligen unabhängigen Bundesasylsenat im Instanzenzug in Österreich Asyl durch Erstreckung nach seinem Vater gemäß den (damals in seinem Fall aufgrund von Übergangsbestimmungen des Asylgesetzes 2005 weiterhin anwendbaren) Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 gewährt.

2Aufgrund des § 75 Abs. 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) galt nach dessen In-Kraft-Treten dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten als zuerkannt.

3Der Revisionswerber wurde (in und außerhalb Österreichs) straffällig und in Österreich mehrfach rechtskräftig verurteilt.

4Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sprach mit Bescheid vom aus, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gegründet auf § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, Z 6 und Z 9 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.) erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), und die Frist für die freiwillige Ausreise nach § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.).

5Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging in erster Linie davon aus, dass sich der Revisionswerber durch die Beteiligung an einer islamistischen Terrororganisation eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht habe, weshalb der Tatbestand des Asylausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 erfüllt sei.

6Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung (mit zwei Tagsatzungen) mit dem Erkenntnis vom in Bezug auf die Spruchpunkte I., II., III., IV. und V. des Bescheides vom als unbegründet ab [Spruchpunkt A) I.]. Den Spruchpunkt VII. dieses Bescheides änderte es dahingehend ab, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 2 FPG mit 14 Tagen ab Enthaftung (gemeint: des Revisionswerbers) festgelegt wurde [Spruchpunkt A) III.]. Den Spruchpunkt VI. des Bescheides hob es ersatzlos auf [Spruchpunkt A) II.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei [Spruchpunkt B)].

7Das Bundesverwaltungsgericht ging in seiner Entscheidung davon aus, die in § 6 Abs. 1 Z 2 und Z 3 AsylG 2005 enthaltenen Asylausschlussgründe lägen nicht vor (das Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 wurde vom Verwaltungsgericht nicht geprüft). Allerdings erachtete es die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) für gegeben.

8Die gegenständliche Revision richtet sich gegen die Spruchpunkte A) I. und A) III. dieses Erkenntnisses. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Revision und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

10Die Revision ist, wie sich aus dem Folgenden ergibt, zulässig und begründet.

11Für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (nach dem AsylG 2005) oder - wie hier - durch Asylerstreckung nach früheren Asylgesetzen zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände (im Sinn des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK) kommt es darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde - im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht - ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbständig zu beurteilen. Gelangt die Behörde - oder im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht - in so einem Fall zu der Beurteilung, dass diese Umstände nicht mehr vorliegen, ist der Asylstatus eines Familienangehörigen, dem dieser Status im Familienverfahren oder durch Asylerstreckung zuerkannt worden ist, abzuerkennen, sofern im Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich des Familienangehörigen nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (drohende Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) vorliegen. Für die Asylaberkennung in einem solchen Fall ist hingegen nicht maßgeblich, ob alle Voraussetzungen des § 34 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren noch vorliegen (vgl. dazu , mit Hinweis auf ).

12Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar im angefochtenen Erkenntnis geprüft, ob dem Revisionswerber im Herkunftsstaat selbst asylrelevante Verfolgung droht, und - im Sinn der soeben zitierten Rechtsprechung - ausgeführt, es komme im vorliegenden Fall, in dem dem Revisionswerber Asyl durch Erstreckung gewährt worden war, für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände (auch) darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen (angef. Erk. S. 84).

13Eine solche Prüfung in Bezug auf die Bezugsperson - hier: den Vater des Revisionswerbers - hat das Bundesverwaltungsgericht aber gänzlich unterlassen und auch keine Feststellungen getroffen, die eine dem Gesetz entsprechende rechtliche Beurteilung ermöglicht hätten. Das wird in der Revision, die auch ein (vor diesem Hintergrund fallbezogen hinreichend substantiiertes) Vorbringen enthält, weshalb der Vater des Revisionswerbers im Heimatland weiterhin Verfolgung zu befürchten habe, zu Recht geltend gemacht.

14Zum Vater des Revisionswerbers hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich festgehalten, dass diesem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt worden sei (und weitere rechtlich davon abhängende Aussprüche getätigt worden seien). Die Behörde habe dies damit begründet, dass er sich seit dem Jahr 2013 in Syrien aufhalte und sich einer Terrormiliz angeschlossen habe. Dieses Verhalten sei als Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Ferner stelle er eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar.

15Den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts kann nicht entnommen werden, ob der Bescheid vom in Rechtskraft erwachsen ist. Es ergibt sich aber aus den auf diesen Bescheid abstellenden Ausführungen auch keine Aussage dahingehend, dass und weshalb in Bezug auf den Vater des Revisionswerbers (allenfalls: neben weiteren Gründen, die die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gerechtfertigt hätten) die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK genannten Voraussetzungen erfüllt gewesen wären.

16Sohin war das angefochtene Erkenntnis in diesem Punkt - sowie im angefochtenen Umfang auch in den rechtlich davon abhängenden Aussprüchen, die ihre Grundlage verlieren - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17Auf das übrige Revisionsvorbringen war daher nicht mehr des Näheren einzugehen. Das Bundesverwaltungsgericht wird allerdings für das fortzusetzende Verfahren zur Vermeidung weiterer Verfahrensfehler darauf hingewiesen, dass sich seine Begründung in Bezug auf die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung als in sich widersprüchlich darstellt. Es geht nämlich zum einen davon aus, es seien jene (auf eine vom Revisionswerber ausgehende Gefährdung abstellenden) Gründe zu prüfen, nach denen wegen einer Aufenthaltsverfestigung die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht (mehr) zulässig sein könnte. Zum anderem wird die Notwendigkeit der Prüfung solcher Gründe für die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung an anderer Stelle im angefochtenen Erkenntnis ausdrücklich verneint.

18Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200389.L00

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