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VwGH 07.05.2014, 2013/22/0352

VwGH 07.05.2014, 2013/22/0352

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art7 Abs1 litc;
EURallg;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
RS 1
Durch Mietbelastungen und Kreditrückzahlungen stehen Teile des Familieneinkommens nicht zur Verfügung. Derartige Belastungen schmälern iSd § 11 Abs. 5 zweiter Satz NAG 2005 die festen und regelmäßigen Einkünfte. Somit erreicht das Einkommen der Ankerperson nicht den geforderten Richtwert. In der nationalen Regelung des § 11 Abs. 5 zweiter Satz NAG 2005 kann kein Widerspruch zu der unionsrechtlich vorgegebenen Regelung des Art. 7 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2003/86/EG (des Rates vom betreffend das Recht auf Familienzusammenführung) gesehen werden, wenn dort angeordnet ist, dass die Mitgliedstaaten die Einkünfte an Hand ihrer Art und Regelmäßigkeit beurteilen und die Höhe der Mindestlöhne und -renten sowie die Anzahl der Familienangehörigen berücksichtigen können.
Normen
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
RS 2
Der Umstand, dass die Familie nach erfolgtem Nachzug Anspruch auf Familienbeihilfe hätte, führt die Beschwerde nicht zum Erfolg (vgl. E , 2012/22/0017 bis 0020), da die zu erwartende Familienbeihilfe bei Berechnung der erforderlichen Unterhaltsmittel gemäß § 11 Abs. 5 letzter Satz NAG 2005 nicht als einkommenserhöhend berücksichtigt werden darf. Auch wenn der Fehlbetrag nicht sehr hoch ist (vgl. E , 2010/21/0346), ist die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG 2005 iVm Art. 8 MRK nicht rechtswidrig, da ein gemeinsames Familienleben seit Jahren nicht mehr geführt wurde und grundsätzlich kein Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem bestimmten Vertragsstaat der MRK zusteht. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass das Familienleben nicht im gemeinsamen Heimatstaat geführt werden könnte, wobei dem Umstand, dass die Ankerperson in Österreich mehr verdienen kann als im Heimatland, keine maßgebliche Bedeutung zukommt.

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2013/22/0353

2013/22/0355

2013/22/0354

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde

1. der J, 2. des I, 3. des G und 4. des A, alle vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom ,

1.) Zl. 164.360/2-III/4/13 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin, protokolliert zu 2013/22/0352), 2.) Zl. 164.360/3-III/4/13 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer, protokolliert zu 2013/22/0353), 3.) Zl. 164.360/4-III/4/13 (betreffend den Drittbeschwerdeführer, protokolliert zu 2013/22/0354) und

4.) Zl. 164.360/5-III/4/13 (betreffend den Viertbeschwerdeführer, protokolliert zu 2013/22/0355), jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund je zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind Kinder der Erstbeschwerdeführerin. Alle sind nigerianische Staatsangehörige und beantragten am über die österreichische Botschaft in Nigeria eine Niederlassungsbewilligung zwecks Familiennachzugs zu dem in Österreich lebenden Ehemann bzw. Vater (in der Folge als "Ankerperson" bezeichnet).

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) diese Anträge gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen gleichlautend aus, dass die Ankerperson aus ihrer Erwerbstätigkeit bei zwei Firmen ein monatliches durchschnittliches Einkommen von EUR 1.772,33 beziehe. Sie habe monatliche Mietkosten von EUR 295,-- und monatliche Kreditraten von EUR 240,-- zu tragen. Gemäß dem Richtsatz nach § 293 ASVG müsste die Ankerperson über ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.910,97 verfügen (nämlich EUR 1.255,89 für ein im gemeinsamen Haushalt lebendes Ehepaar, zuzüglich dreimal EUR 129,24 für die minderjährigen Kinder, zuzüglich EUR 295,-- an monatlichen Mietkosten abzüglich EUR 267,64 als Wert der freien Station, und zuzüglich EUR 240,-- an monatlicher Kreditrate). Aus dieser Gegenüberstellung ergebe sich eine Differenz bzw. ein Fehlbetrag von EUR 138,64 und es sei daher "sehr wahrscheinlich", dass der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien in Österreich zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führte.

Gemäß § 11 Abs. 3 NAG könne ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 bis 6 NAG erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten sei. Die beschwerdeführenden Parteien seien zuvor noch nie in Österreich niedergelassen gewesen, weshalb eine Integration in Österreich nicht vorhanden sei. Durch den inländischen Aufenthalt der Ankerperson bestünden zweifelsfrei familiäre Bindungen, allerdings müsse festgehalten werden, dass mit der Ankerperson seit Jahren kein gemeinsames Familienleben geführt worden sei und auch die Eheschließung im Zuge eines Kurzaufenthaltes des Ehemannes in Nigeria erfolgt sei. Da die Sicherung des Lebensunterhaltes eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstelle, scheine aus der Sicht der Behörde die Abweisung der Berufung gerechtfertigt. Eine Abwägung der privaten Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen gehe zu Lasten der beschwerdeführenden Parteien. Einer Ausländerfamilie stehe nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat der EMRK zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Angesichts der Zustellung der angefochtenen Bescheide im Juli 2013 sind die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013 maßgeblich.

Zunächst ist vorauszuschicken, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn die Behörde ihren Entscheidungen zugrunde legte, die beschwerdeführenden Parteien hätten nur den gemeinsamen Familiennachzug zur Ankerperson angestrebt.

Gemäß § 11 Abs. 5 zweiter Satz NAG schmälern regelmäßige Aufwendungen, wie Miet- und Kreditbelastungen, feste und regelmäßige eigene Einkünfte.

Die Beschwerde vertritt die Ansicht, es dürfte die Schmälerung der Einkünfte durch Miet- und Kreditbelastungen nicht berücksichtigt werden, weil sich auch die Ausgleichszulage (Mindestrente) durch regelmäßige Miet- und Kreditbelastungen etc. nicht erhöhe. Dieses Argument ändert nichts daran, dass durch Mietbelastungen und Kreditrückzahlungen Teile des Familieneinkommens nicht zur Verfügung stehen. Derartige Belastungen schmälern iSd § 11 Abs. 5 zweiter Satz NAG die festen und regelmäßigen Einkünfte. Somit erreicht das Einkommen der Ankerperson nicht den geforderten Richtwert. In dieser nationalen Regelung kann kein Widerspruch zu der unionsrechtlich vorgegebenen Regelung des Art. 7 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2003/86/EG (des Rates vom betreffend das Recht auf Familienzusammenführung) gesehen werden, wenn dort angeordnet ist, dass die Mitgliedstaaten die Einkünfte an Hand ihrer Art und Regelmäßigkeit beurteilen und die Höhe der Mindestlöhne und - renten sowie die Anzahl der Familienangehörigen berücksichtigen können. Demnach ist die Annahme der Behörde, der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien könnte zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG führen, nicht zu beanstanden (vgl. dazu im Ergebnis auch das hg. Erkenntnis vom , 2010/21/0346, in dem sowohl auf die genannte Richtlinie als auch auf Mietbelastungen Bezug genommen wurde).

Ebenso wenig verhilft der Hinweis, dass die Familie nach erfolgtem Nachzug Anspruch auf Familienbeihilfe hätte, der Beschwerde zum Erfolg, hat doch der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen (vgl. das Erkenntnis vom , 2012/22/0017 bis 0020), dass die zu erwartende Familienbeihilfe bei Berechnung der erforderlichen Unterhaltsmittel gemäß § 11 Abs. 5 letzter Satz NAG nicht als einkommenserhöhend berücksichtigt werden darf.

Es kann auch das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK nicht als rechtswidrig beurteilt werden. Auch wenn der Fehlbetrag nicht sehr hoch ist (vgl. auch insofern das bereits zitierte Erkenntnis 2010/21/0346), berücksichtigte die Behörde zu Recht, dass ein gemeinsames Familienleben seit Jahren nicht mehr geführt wurde und grundsätzlich kein Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem bestimmten Vertragsstaat der EMRK zusteht. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass das Familienleben nicht im gemeinsamen Heimatstaat geführt werden könnte, wobei dem Umstand, dass die Ankerperson in Österreich mehr verdienen kann als im Heimatland, keine maßgebliche Bedeutung zukommt. Dem Beschwerdeargument, dass ein späterer Zuzug dem Kindeswohl abträglich wäre, ist zum einen die bisherige freiwillig gewählte Form des Familienlebens und zum anderen die Möglichkeit eines gemeinsamen Familienlebens im Heimatstaat entgegenzuhalten.

Da somit den angefochtenen Bescheiden die behauptete Rechtsverletzung nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014. Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art7 Abs1 litc;
EURallg;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des
innerstaatlichen Rechts EURallg4/3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2014:2013220352.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAE-89009