zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 10.12.2013, 2013/22/0342

VwGH vom 10.12.2013, 2013/22/0342

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Martin Löffler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/63/16695/2012-11, betreffend Rückkehrentscheidung (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG).

Begründend führte die belangte Behörde - auf das hier Entscheidungswesentliche zusammengefasst - aus, der im September 1970 geborene Beschwerdeführer sei erstmals im Jahr 1972 nach Österreich gekommen. Er habe sich bis 1996 durchgehend hier aufgehalten. Seine Schulpflicht habe er zur Gänze in Österreich absolviert. Für den Beschwerdeführer seien zuerst befristete Wiedereinreisesichtvermerke ausgestellt worden. Am habe ihm die Bundespolizeidirektion Wien einen unbefristeten Wiedereinreisesichtvermerk erteilt.

Anfang des Jahres 1996 habe der Beschwerdeführer nach einem Besuch in seiner Heimat "kriegsbedingt" nicht mehr nach Österreich zurückkehren dürfen. Ihm sei der Reisepass abgenommen worden. Daraufhin habe er sich in Serbien aufgehalten. Im Februar 2005 sei der Beschwerdeführer in das Bundesgebiet zurückgekehrt. Seitdem halte er sich "praktisch durchgehend" in Österreich auf. Er sei auch durchgehend - zum Teil ohne bei der österreichischen Sozialversicherung gemeldet zu sein - einer Beschäftigung nachgegangen. Zumindest einmal pro Jahr fahre er nach Serbien, um seine dort lebende Familie zu besuchen.

Der Beschwerdeführer habe im Jahr 1993 in Serbien geheiratet. Dieser Ehe entstammten zwei Kinder, die 1994 und 1998 geboren seien. Die Familienmitglieder des Beschwerdeführers seien serbische Staatsangehörige; sie lebten in Serbien. Die Eltern des Beschwerdeführers, die geschieden seien, lebten in Österreich.

Seit sei der Beschwerdeführer als geringfügig beschäftigter Arbeiter gemeldet. Er sei sowohl strafrechtlich als auch verwaltungsstrafrechtlich unbescholten.

§ 20 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung - bestimme, dass ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" erlösche, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalte. Auf Grund des durchgehenden Aufenthalts des Beschwerdeführers in Serbien von 1996 bis Februar 2005 sei sein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" gemäß § 20 Abs. 4 NAG erloschen. Das NAG enthalte kein Rückwirkungsverbot in dem Sinn, dass Sachverhalte, die sich vor dem ereignet hätten, in die Beurteilung von Tatbeständen des NAG nicht einbezogen werden dürften. Dies bedeute, dass eben auch solche Sachverhalte bei der Beurteilung von Tatbeständen des NAG zu berücksichtigen seien. Somit stehe der Anwendung des § 20 Abs. 4 NAG nicht entgegen, dass ein Fremder noch vor dem Inkrafttreten des NAG das Bundesgebiet verlassen und den Tatbestand des § 20 Abs. 4 NAG verwirklicht habe. Für einen länger als zwölfmonatigen Aufenthalt, nämlich einen solchen bis zu 24 Monaten, außerhalb des Gebiets des EWR wäre die Erstattung der dazu berechtigenden Mitteilung jedenfalls mit Inkrafttreten des NAG am zu fordern gewesen.

Somit könne sich der Beschwerdeführer nicht mehr auf seinen ihm früher erteilten Aufenthaltstitel stützen. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei seit dem Ablauf der für den sichtvermerksfreien Aufenthalt erlaubten Frist von drei Monaten, also seit dem , unrechtmäßig. Daher sei die Voraussetzung zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 FPG gegeben.

Im Weiteren legte die belangte Behörde noch dar, weshalb ihrer Ansicht nach die Erlassung der Rückkehrentscheidung auch nach § 61 FPG zulässig sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im Mai 2013) nach den Bestimmungen des FPG und des NAG jeweils in der Fassung des BGBl. I Nr. 68/2013 richtet.

§ 31 Abs. 1 Z 2 und § 52 Abs. 1 FPG (samt Überschrift) lauten:

" Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im

Bundesgebiet

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. ...

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung

oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. ..."

" Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen ist, sofern nichts anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(2) ..."

§ 20 Abs. 4, § 81 Abs. 1 und Abs. 2 sowie § 82 Abs. 1 NAG (jeweils mit Überschrift) haben folgenden Wortlaut:

" Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln

§ 20. …

(4) Ein Aufenthaltstitel nach Abs. 3 erlischt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält. Aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, wie einer schwerwiegenden Erkrankung, der Erfüllung einer sozialen Verpflichtung oder der Leistung eines der allgemeinen Wehrpflicht oder dem Zivildienst vergleichbaren Dienstes, kann sich der Fremde bis zu 24 Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalten, wenn er dies der Behörde vorher mitgeteilt hat. Liegt ein berechtigtes Interesse des Fremden vor, hat die Behörde auf Antrag festzustellen, dass der Aufenthaltstitel nicht erloschen ist. Der Nachweis des Aufenthalts im EWR-Gebiet obliegt dem Fremden.

(4a) …"

" Übergangsbestimmungen

§ 81. (1) Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, sind nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.

(2) Vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen gelten innerhalb ihrer Gültigkeitsdauer und ihres Gültigkeitszweckes insoweit weiter, als sie nach dem Zweck des Aufenthaltes den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes entsprechen. Das Recht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bedarf jedenfalls der Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach diesem Bundesgesetz, sofern dies nicht bereits nach dem Fremdengesetz 1997 möglich war. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach diesem Bundesgesetz und dem Fremdenpolizeigesetz weiter gelten.

(3) …"

" In-Kraft-Treten

§ 82. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit in Kraft.

(2) ..."

§ 11 Abs. 2 Z 4 lit. D und Abs. 3 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV; diese Verordnung stand im hier maßgeblichen Zeitpunkt in der Fassung BGBl. II Nr. 201/2011 in Kraft) bestimmt:

" Weitergeltung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen

§ 11 (1) ...

(2) Die vor dem In-Kraft-Treten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
4.
nach dem Passgesetz 1969, BGBl. Nr. 422,
gelten nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz oder als Berechtigungen nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 wie folgt weiter:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem Fremdengesetz 1997 (FrG) in der Fassung vor der FrG-Novelle 2002, nach dem Fremdengesetz, dem Aufenthaltsgesetz und dem Passgesetz 1969
Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und Berechtigungen nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG)
....
D. Passgesetz 1969, BGBl. Nr. 422
Sichtvermerke gem. § 24 Passgesetz 1969
'Niederlassungsbewilligung unbeschränkt'

(3) Sofern die folgenden Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach Abs. 2 vor dem In-Kraft-Treten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes unbefristet erteilt worden sind, gelten sie wie folgt weiter:

1. Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach

lit. A Z 1, 4, 5, 6 und 7 sowie nach lit. B, C und D als Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG';

2. …"

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Auffassung der belangten Behörde, er halte sich wegen des Erlöschens seines Aufenthaltstitels nach § 20 Abs. 4 NAG nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er macht dazu geltend, dass er bereits im Jahr 2005, also noch vor Inkrafttreten des NAG, nach Österreich zurückgekehrt sei. Dies führt die Beschwerde zum Erfolg.

Es entspricht - soweit ist der belangten Behörde Recht zu geben - der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ua. auch zu § 20 Abs. 4 NAG, dass es Sachverhalte geben kann, die sich vor dem ereignet haben, aber dennoch in die Beurteilung von Tatbeständen des NAG einzubeziehen sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0863, und vom , Zl. 2008/22/0710). Dies kann aber - sofern der Gesetzgeber nichts anders anordnet - schon im Hinblick auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des NAG () und dem sich daraus ergebenden zeitlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes nur für solche Konstellationen Relevanz erlangen, in denen der zu beurteilende Sachverhalt auch Ereignisse erfasst, die in den zeitlichen Geltungsbereich des NAG fallen und somit nach dem auftreten (vgl. zum zeitlichen Bedingungsbereich eines Gesetzes etwa Mayer , B-VG4, Art. 49 B-VG, III.2., mit Hinweis auf die Rsp.). In diesem Sinn räumt auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vom ein, dass sich der vorliegende Sachverhalt von jenen, in denen der Verwaltungsgerichtshof eine Beurteilung nach § 20 Abs. 4 NAG vorgenommen hat, dahingehend unterscheidet, dass im gegenständlichen Fall (anders als in jenen Fällen, über die der Verwaltungsgerichtshof zu befinden hatte: vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0863, vom , Zlen. 2008/22/0731 und 0732, vom , Zl. 2008/22/0867, vom , Zl. 2008/21/0658, vom , Zl. 2008/21/0335, vom , Zl. 2009/09/0236, vom , Zl. 2008/22/0710, vom , Zl. 2011/23/0671, sowie vom , Zlen. 2012/22/0268 und 0269) der Beschwerdeführer noch vor dem Inkrafttreten des NAG wieder in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist. Das führe - so die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift weiter - aber nicht dazu, dass der Fall des Beschwerdeführers anders zu beurteilen wäre.

Dieser Ansicht ist nach dem Gesagten nicht beizupflichten. Dass § 20 Abs. 4 NAG entgegen Art. 49 B-VG generell rückwirkend auf alle Sachverhalte, die sich zur Gänze vor seinem Inkrafttreten ereignet hätten, anzuwenden wäre, kann dem Gesetz nicht entnommen werden.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der dem Beschwerdeführer früher erteilte unbefristet gültige Wiedereinreisesichtvermerk, der am uneingeschränkt dem Rechtsbestand angehörte, gemäß § 81 Abs. 2 NAG iVm § 11 Abs. 2 Z 4 lit. D und Abs. 3 Z 1 NAG-DV ab als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" weitergalt. Dass danach ein Sachverhalt gegeben wäre, demzufolge ein Erlöschen dieses Aufenthaltstitels nach § 20 Abs. 4 NAG hätte angenommen werden können, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Vielmehr ergibt sich aus ihren Feststellungen das Gegenteil.

Somit war der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung auf Grund des ihm erteilten und immer noch gültigen Aufenthaltstitels gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Die Erlassung der auf den (vermeintlich) unrechtmäßigen Aufenthalt gestützten Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 FPG entsprach somit nicht dem Gesetz.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am