VwGH vom 22.01.2014, 2013/22/0313
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl, Mag. Feiel, Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des E, vertreten durch die Specht Böhm Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Teinfaltstraße 8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/47/15862/2012-6, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, im Hinblick auf dessen strafgerichtliche Verurteilung vom gemäß § 63 Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 53 Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Dieser Bescheid wurde am selben Tag ohne vorausgehenden Zustellversuch gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Zustellgesetz (ZustG) bei der Behörde hinterlegt; am wurde der Bescheid dem Beschwerdeführer persönlich ausgefolgt.
Mit Schriftsatz vom erhob der Beschwerdeführer Berufung gegen diesen Bescheid.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.
Nach Darlegung des Verfahrensgangs stellte die belangte Behörde zusammengefasst fest, dass dem Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Einvernahme in der Untersuchungshaft am die Absicht, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, zur Kenntnis gebracht worden sei. Es sei ihm weiters mitgeteilt worden, dass ihm im eingeleiteten fremdenpolizeilichen Verfahren behördliche Schriftstücke zugeschickt würden. Ihm sei aufgetragen worden, nach seiner Entlassung aus der Haft, seine aktuelle Postabgabestelle und eine Änderung derselben sofort dem Fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien mitzuteilen. Weiters sei er darauf hingewiesen worden, dass behördliche Schriftstücke durch Hinterlegung zugestellt werden könnten, wenn eine persönliche Zustellung nicht möglich sei. Aus der von der Erstbehörde am eingeholten Auskunft aus dem zentralen Melderegister habe sich ergeben, dass der Beschwerdeführer seit mit Hauptwohnsitz in 1100 Wien, L Straße, behördlich gemeldet gewesen sei. Die an diese Adresse gerichtete Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom sei mit dem postamtlichen Vermerk "zurück nicht behoben" retourniert worden. Ein am eingeholter Auszug aus dem zentralen Melderegister habe nach wie vor diese Anschrift als behördlich gemeldeten Hauptwohnsitz - bei Fehlen anderer aktueller Haupt- oder Nebenwohnsitze - ausgewiesen. Mit Schreiben vom sei das Polizeikommissariat Favoriten um eine Hauserhebung an dieser Adresse - auch in Bezug auf eine allfällige Ortsabwesenheit in der Zeit vom bis - ersucht worden. Dieses habe mit Schreiben vom berichtet, dass es sich bei dieser Adresse um ein Geschäftslokal handle. Der Mieter des Lokals habe telefonisch erreicht werden können und angegeben, dass der Beschwerdeführer seit etwa vier Wochen an dieser Adresse weder aufhältig noch wohnhaft sei und er über dessen derzeitigen Aufenthalt keine Angaben machen könne. Ein am eingeholter Auszug aus dem zentralen Melderegister habe neuerlich gezeigt, dass der Beschwerdeführer einzig mit Hauptwohnsitz an der Adresse Wien 10, L Straße , aufrecht behördlich gemeldet gewesen sei. Die Erstbehörde habe daraufhin den Aufenthaltsverbotsbescheid am gemäß § 8 Abs. 1 und 2 iVm § 23 Abs. 3 ZustG durch Hinterlegung bei der Behörde zugestellt. Im Zuge der Verhängung der Schubhaft am sei dem am selben Tag festgenommenen Beschwerdeführer anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme an diesem Tag der angeführte erstinstanzliche Bescheid übergeben worden. Der Beschwerdeführer habe dabei angegeben, nicht mehr in der L Straße, sondern nunmehr in Wien 10, N-gasse zu wohnen. Am sei die Berufung per Telefax eingebracht worden.
Rechtlich beurteilte die belangte Behörde diesen Sachverhalt zusammengefasst dahingehend, dass die Erstbehörde aufgrund der zum Zustellzeitpunkt vorliegenden Ermittlungsergebnisse davon habe ausgehen können, dass der Beschwerdeführer seine bisherige Abgabestelle geändert oder aufgegeben habe. Da er die Änderung der Abgabestelle gemäß § 8 Abs. 1 ZustG trotz Kenntnis vom Verfahren nicht mitgeteilt habe und eine andere Abgabestelle des Beschwerdeführers durch die Behörde trotz Hauserhebung und Nachschau im zentralen Melderegister nicht habe ermittelt werden können, habe diese rechtsrichtig die Zustellung durch Hinterlegung ohne Zustellversuch gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG vorgenommen. Zu weiteren Erhebungen über eine Abgabestelle des Beschwerdeführers sei die Behörde nicht verpflichtet gewesen. Insbesondere sei sie nicht gehalten gewesen, den Beschwerdeführer über die verschiedenen vorhandenen Mobiltelefonnummern telefonisch zu kontaktieren, um eine Abgabestelle in Erfahrung zu bringen. Vielmehr sei die Behörde durch die von ihr veranlasste Hauserhebung und die mehrmals eingeholten Auszüge aus dem zentralen Melderegister ihrer Verpflichtung nach § 8 Abs. 2 ZustG der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechend hinreichend nachgekommen. Im Hinblick auf die von ihr als rechtswirksam beurteilte Zustellung des Bescheids am kam die belangte Behörde somit zum Ergebnis, dass die erst am eingebrachte Berufung verspätet erhoben worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nahm, erwogen hat:
Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
Gemäß § 8 Abs. 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
Wird diese Mitteilung gemäß § 8 Abs. 1 ZustG unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs. 2 ZustG die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.
§ 8 Abs. 1 ZustG setzt voraus, dass sich die Abgabestelle der Partei während des Verfahrens ändert. Dabei bedarf es einer Verlegung auf Dauer und nicht etwa nur einer Abwesenheit, die so lange währt, dass die regelmäßige Anwesenheit des Empfängers nicht mehr anzunehmen und eine Hinterlegung oder Ersatzzustellung daher nicht möglich ist. Mit dem Begriff "Änderung" ist die Vorstellung der Verlegung, der Aufgabe, des Wechsels verbunden.
Die Ermächtigung der Behörde gemäß § 8 Abs. 2 ZustG, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, hat nicht nur zur Voraussetzung, dass die unverzügliche Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle unterlassen wurde, sondern auch, dass eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Ohne - wenn auch durch "einfache Hilfsmittel" (so 162 BlgNR 15. GP 10) - versucht zu haben, die (neue) Abgabestelle auszuforschen, darf daher von § 8 Abs. 2 ZustG kein Gebrauch gemacht werden. Die durch § 8 Abs. 2 ZustG der Behörde erlaubte einfache Zustellung durch Hinterlegung darf somit die Behörde nicht veranlassen, gar nicht zu versuchen, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle auszuforschen (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 99/20/0071, mwN).
Eine Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch ist nur dann mit der Wirkung der Zustellung ausgestattet, wenn die Behörde ergebnislos den ihr zumutbaren und ohne Schwierigkeiten zu bewältigenden Versuch unternommen hat, eine (neue, andere) Abgabestelle festzustellen. Ansonsten bewirkt in diesen Fällen die Hinterlegung nicht die Rechtswirksamkeit der Zustellung. Daran ändert auch nichts, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass die der Behörde zumutbar gewesenen Ausforschungsversuche ergebnislos verlaufen wären. Ob eine solche Feststellung ohne Schwierigkeiten möglich ist, muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.
Der Beschwerdeführer bringt zusammengefasst einerseits vor, dass er nach den Zeugenaussagen vor der belangten Behörde niemals an der Adresse L Straße gewohnt habe, sodass es sich bei diesem Geschäftslokal nie um eine Abgabestelle für ihn gehandelt habe, weshalb er konsequenterweise auch nicht eine "Änderung" dieser Abgabestelle habe bekannt geben können. Zum anderen wird in der Beschwerde gerügt, dass es der Erstbehörde durchaus möglich gewesen wäre, ohne unverhältnismäßigen Aufwand die tatsächliche Adresse des Beschwerdeführers ausfindig zu machen. So sei nicht nachvollziehbar, warum eine telefonische Kontaktaufnahme durch das Polizeikommissariat zwar mit dem Mieter des Geschäftslokals möglich gewesen sei, nicht aber mit dem Beschwerdeführer, obwohl dessen Telefonnummer aktenkundig gewesen sei. Auch der Mieter des Geschäftslokals habe in der mündlichen Berufungsverhandlung ausgesagt, immer über eine Telefonnummer des Beschwerdeführers verfügt zu haben.
Mit dem eingangs dargestellten Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer, dass er bereits nach seiner Enthaftung verpflichtet war, der Fremdenpolizeibehörde zu dem gegen ihn anhängigen Aufenthaltsverbotsverfahren, von dem er Kenntnis hatte, seine neue Anschrift bekannt zu geben.
Der Beschwerdeführer hatte somit von der Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots Kenntnis, änderte seine Abgabestelle und gab dies der Behörde nicht bekannt. Es war daher zu untersuchen, ob der Erstbehörde der Versuch der Ermittlung einer neuen Abgabestelle "ohne Schwierigkeiten" und mit "einfachen Mitteln" möglich gewesen wäre.
Die belangte Behörde ist insoweit im Recht, als in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Kontaktaufnahme mit einem Bewohner des Hauses bei fehlender weiterer behördlicher Meldung als Erfüllung der weiteren Tatbestandsvoraussetzung "nicht ohne Schwierigkeiten" für eine Hinterlegung ohne Zustellversuch als ausreichend beurteilt wurde (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0145). Ebenso wurde die zweimalige Einholung von Meldeauskünften als ausreichender Versuch der Behörde angesehen, eine neue Abgabestelle zu ermitteln (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 97/19/0914).
Eine solche Betrachtungsweise greift hier jedoch deshalb zu kurz, weil - wie ausgeführt - nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen ist, ob eine solche Feststellung ohne Schwierigkeiten möglich ist.
Im vorliegenden Fall gab der Beschwerdeführer zuletzt am (Aktenseite 146) im Zuge der Einleitung des Aufenthaltsverbotsverfahrens der erstinstanzlichen Behörde eine Telefonnummer bekannt. Es wäre der Erstbehörde daher ohne besonderen Aufwand möglich gewesen, zu versuchen, mit dem Beschwerdeführer an dieser zuletzt im Akt aufscheinenden Telefonnummer - die im Akt auch leicht auffindbar war - telefonisch in Kontakt zu treten und auf diesem Weg eine neue Abgabestelle zu ermitteln (vgl. dazu Stumvoll in Fasching , Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen2, Rz 8 zu § 8 ZustG).
Nach dem Gesagten wäre die Erstbehörde daher verpflichtet gewesen, zu versuchen, vor einer Hinterlegung ohne Zustellversuch durch eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem Beschwerdeführer eine neue Abgabestelle zu ermitteln. Die Beurteilung der belangten Behörde, der erstinstanzliche Bescheid vom sei durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 ZustG wirksam zugestellt worden, erweist sich daher als rechtswidrig.
Ausgehend von der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides durch persönliche Übergabe an den Beschwerdeführer am war die Berufung vom rechtzeitig. Die belangte Behörde hätte diese daher nicht wegen Verspätung zurückweisen dürfen.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am