VwGH vom 10.04.2014, 2013/22/0310
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2012/22/0079 E
2013/22/0316 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Z, vertreten durch MMag. Petra Haas, Rechtsanwältin in 1090 Wien, Rooseveltplatz 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/5/2716/2012-10, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (in der Folge: die Behörde) gegen den Beschwerdeführer nach § 52 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.
Die Behörde stellte dazu in ihrer Begründung fest, dass der am geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, seit dem Jahr 1988 in F, Bundesrepublik Deutschland, lebe und über einen am ausgestellten, unbefristeten deutschen Aufenthaltstitel verfüge. In F habe er einen gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Lebensgefährtin, einer deutschen Staatsangehörigen, die ein Kind von ihm erwarte. In Österreich verfüge er über einen weiteren Wohnsitz an der Firmenadresse der SP GmbH in Wien 11, deren Gesellschafter und handelsrechtlicher Geschäftsführer er sei. Der Beschwerdeführer habe mit dieser Gesellschaft in Österreich Bauprojekte abgewickelt. Dabei sei es mehrfach zu Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) gekommen, weshalb der Beschwerdeführer rechtskräftig bestraft worden sei. Der Beschwerdeführer pendle zwischen Österreich und Deutschland hin und her und verbringe die Hälfte seiner Zeit in Deutschland, die andere Hälfte in Österreich. Seinen Lebensunterhalt bestreite er aus dem Betrieb der SP GmbH in Österreich und er verdiene derzeit etwa EUR 2.000,-- netto monatlich. Gerichtlich sei der Beschwerdeführer in Österreich unbescholten, verwaltungsstrafrechtlich sei er zweimal wegen Übertretungen des AuslBG und mehrfach wegen Übertretungen der Gewerbeordnung und des ASVG "vorgemerkt". Seit sei der Beschwerdeführer als Angestellter der SP GmbH zur Sozialversicherung gemeldet.
Nach Wiedergabe maßgeblicher Bestimmungen des FPG führte die Behörde rechtlich aus, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei, weil der Beschwerdeführer zweimal wegen Übertretungen nach dem AuslBG und mehrfach wegen Übertretungen der Gewerbeordnung, des ASVG, des Bundesstraßenmautgesetzes und des Kraftfahrgesetzes rechtskräftig bestraft worden sei. Dies lasse den Schluss zu, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die Ordnung und Sicherheit der Republik gefährde. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei zudem durch die Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit unrechtmäßig, sei er doch seit als Angestellter bei der SP GmbH zur Sozialversicherung gemeldet. Diese unselbständige Tätigkeit habe der Beschwerdeführer aufgenommen, ohne zuvor einen Aufenthaltstitel für Österreich zu erlangen; der deutsche unbefristete Aufenthaltstitel berechtige ihn in Österreich nicht zur Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit.
In Österreich - so führte die Behörde im Rahmen der Interessenabwägung weiter aus - habe der Beschwerdeführer keine familiären Beziehungen, zumal er seit dem Jahr 1988 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dort einen Wohnsitz und eine Lebensgefährtin deutscher Staatsangehörigkeit habe, die ein Kind von ihm erwarte. Der Beschwerdeführer verfüge ferner über einen unbefristeten Aufenthaltstitel für Deutschland. Auch unter Abwägung der öffentlichen Interessen gegen die privaten Interessen des Beschwerdeführers sei daher die gegenständliche Entscheidung zulässig.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nahm, erwogen:
Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
Vorweg ist anzumerken, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (Februar 2013) das FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 Anwendung findet.
Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten (auszugsweise):
"5. Abschnitt
Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt
und die rechtmäßige Ausreise
Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet
§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
...
3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;
... ."
"8. Hauptstück
Aufgaben und Befugnisse der Fremdenpolizeibehörden
1. Abschnitt
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen nicht rechtmäßig aufhältige Drittstaatsangehörige
Rückkehrentscheidung
§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen ist, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(2) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
... ."
"Einreiseverbot
§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung wird ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
... ."
Zunächst ist anzumerken, dass im angefochtenen Bescheid ausreichend konkrete Feststellungen fehlen, die den rechtlichen Schluss zugelassen hätten, der Beschwerdeführer sei im Bundesgebiet einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen (siehe etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2003/21/0064).
Vor allem aber hat die Behörde - wie die Beschwerde zu Recht rügt - bei Erlassung der Rückkehrentscheidung - und des damit im Zusammenhang stehenden Einreiseverbots - die Bestimmung des § 52 Abs. 2 FPG unbeachtet gelassen.
§ 52 FPG setzt die Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie um (siehe dazu RV 1078 BlgNR 24. GP 29). Art. 6 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie sieht vor, dass ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Dass die Behörde dieser im Hinblick auf den Daueraufenthaltstitel des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik Deutschland gebotenen Anordnung nachgekommen wäre, wurde weder im angefochtenen Bescheid festgestellt, noch ergibt sich dies aus den vorgelegten Verwaltungsakten.
Aber auch für eine - von der belangten Behörde allenfalls angenommene - Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit im Sinne des § 52 Abs. 2 letzter Satz zweiter Fall FPG reichen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht aus. Für diese Annahme ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, für die insoweit auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots zurückgegriffen werden kann (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0237). Es ist daher auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die geforderte Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. Dasselbe gilt für das Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen zu Grunde liegende Verhalten (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2013/18/0052, und vom , Zl. 2012/18/0230, mwN). Die zu den Bestrafungen des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen reichen für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme nicht aus. So führte die Behörde weder die in den Strafbescheiden konkret angelasteten Tatbestände noch die Tatzeiten oder die Höhe der verhängten Strafen aus und sie traf auch keine näheren Feststellungen in Bezug auf die den Verwaltungsübertretungen zu Grunde liegenden Tathandlungen. Diese Feststellungen wären im Übrigen aber auch für die Beurteilung der Dauer eines Einreiseverbots erforderlich gewesen (vgl. nochmals das Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0237).
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014, wobei die Eingabegebühr wegen der gewährten Verfahrenshilfe nicht zuzusprechen war.
Wien, am