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VwGH vom 19.02.2014, 2013/22/0309

VwGH vom 19.02.2014, 2013/22/0309

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Franz Amler, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Brunngasse 12/2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-AB-11-3013, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen 1968 geborenen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 67 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Dies begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der seit 2001 im österreichischen Bundesgebiet lebende Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom schuldig erkannt worden sei, in L im Oktober 2007 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrugshandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit und -willigkeit, mithin durch Täuschung über Tatsachen, Franz und Eva S in zwei Angriffen zur Gewährung eines Darlehens von insgesamt EUR 380,-- verleitet und im Juli 2007 ein ihm - zur Weiterleitung an Gabriele L - anvertrautes Gut, nämlich Bargeld in der Höhe von EUR 35,--, für sich einbehalten und mit dem Vorsatz zugeeignet zu haben, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern. Der Beschwerdeführer habe dadurch das Verbrechen des gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 148 erster Fall StGB und das Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 StGB begangen und sei hiefür unter Einbeziehung des mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom rechtskräftig bestätigten Schuldspruchs des Landesgerichtes St. Pölten vom wegen der Verbrechen des teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3, 148 erster und zweiter Fall, 15 StGB und der Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB, des schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB und der (Verletzung der) Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt worden.

Im Weiteren gab die belangte Behörde die gerichtlichen Feststellungen zu den beiden Straftaten, die dem eingangs dargestellten Schuldspruch zugrunde lagen wieder, wonach - zusammengefasst - der in Österreich unbescholtene, in Deutschland jedoch sieben einschlägige, teilweise mit Geld-, aber auch mit Freiheitsstrafen geahndete Vorstrafen aufweisende Beschwerdeführer Franz und Eva S betrügerisch zur darlehensweisen Überlassung von EUR 380,-- verleitet und sich im Juli 2007 die von ihm an Gabriele L weiterzugebenden EUR 35,-- mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz zugeeignet habe. Ferner sei der Beschwerdeführer - so führte die belangte Behörde weiter aus - mit Urteil des Bezirksgerichtes L vom wegen des Diebstahls eines Mountainbikes zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat rechtskräftig verurteilt worden.

Rechtlich erwog die belangte Behörde in diesem Zusammenhang, dass im Hinblick auf die besondere Verwerflichkeit der begangenen Delikte, die auch das Gericht zur Verhängung einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe veranlasst hätten, die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele als dringend geboten anzusehen sei. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach sieben Vorstrafen wegen gewerbsmäßigen Betruges zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden sei und selbst nach Kenntnis des erstinstanzlich verhängten Aufenthaltsverbots wiederum vermögensrechtlich straffällig geworden sei, indem er etwa drei Monate nach Erlassung des Bescheides einen Diebstahl begangen habe, weshalb er zu einer einmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, zeichne ein äußerst tristes Persönlichkeitsbild von ihm. Der Beschwerdeführer habe ein Verhalten gesetzt, das nicht nur die Annahme einer Gefährdung im Sinn des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG rechtfertige, sondern die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich sogar nachhaltig und maßgeblich im Sinn des fünften Satzes dieser Bestimmung gefährde.

Trotz - im angefochtenen Bescheid näher dargestellter - persönlicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet jedoch bei fehlender beruflicher Reintegration verneinte die belangte Behörde ferner das Überwiegen privater und familiärer Interessen des Beschwerdeführers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Verhängung des Aufenthaltsverbots und sie begründete abschließend die Dauer des Aufenthaltsverbots.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeit-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Im vorliegenden Beschwerdefall war im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im April 2013) das FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013 anzuwenden.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid festgestellten Verurteilungen. Er wendet sich jedoch mit der Begründung, dass die von ihm begangenen Straftaten nicht so schwerwiegend seien, um seine "Ausweisung" rechtfertigen zu können, gegen die Beurteilung der belangten Behörde.

Die Beschwerde erweist sich damit im Ergebnis als berechtigt:

Gegen den Beschwerdeführer als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. dazu das zum - insoweit vergleichbaren - Gefährdungsmaßstab nach § 86 Abs. 1 FPG idF vor dem FrÄG 2011 ergangene Erkenntnis vom , Zl. 2013/22/0070, mwN; siehe auch die Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0831, und vom , Zl. 2007/21/0297, je mwN).

Die belangte Behörde hat unter diesem Gesichtspunkt zwar den Schuldspruch des Landesgerichtes St. Pölten im Urteil vom und die damit im Zusammenhang stehenden gerichtlichen Feststellungen wiedergegeben. Sie hat dabei jedoch übersehen, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers zu der mehrjährigen Freiheitsstrafe vorwiegend im Hinblick auf den im ersten Rechtsgang ergangenen Schuldspruch des Landesgerichtes St. Pölten vom , der mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom bestätigt worden war, erfolgte. Zu den Straftaten des Beschwerdeführers, die dieser Verurteilung zu Grunde lagen, traf die belangte Behörde jedoch keine Feststellungen. Die von der belangten Behörde festgestellten Taten, die einen Schaden von lediglich wenigen 100 EUR verursachten und die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits längere Zeit zurücklagen, sind für sich genommen jedoch nicht geeignet, die von der belangten Behörde bejahte Gefährdungsprognose zu tragen. Zu den im angefochtenen Bescheid erwähnten ausländischen Verurteilungen des Beschwerdeführers unterblieben zudem jegliche nähere Ausführungen.

Da die belangte Behörde es im vorliegenden Fall somit in Verkennung der Rechtslage unterließ, nähere Feststellungen zu Art und Schwere der vom Beschwerdeführer gesetzten strafbaren Handlungen und davon ausgehend eine nachvollziehbare Darstellung der am Maßstab des § 67 Abs. 1 FPG vorzunehmenden Gefährdungsprognose zu treffen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Im fortzusetzenden Verfahren wird bei Beurteilung des auf den Beschwerdeführer anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs auch das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom , Rs C-400/12, zu berücksichtigen sein, wonach (der im § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG umgesetzte) Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) dahin auszulegen ist, dass ein Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dieser Umstand kann jedoch bei der umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden, die für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind, vorzunehmen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am