VwGH vom 23.11.2009, 2007/03/0059
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des J W in E, vertreten durch Dipl. Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl Wa-202/06, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Ausstellung eines Waffenpasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Waffenpasses für zwei genehmigungspflichtige Schusswaffen gemäß § 68 Abs 1 AVG in Verbindung mit §§ 25 Abs 3 und 8 Abs 1 Z 1 WaffG zurückgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde, nach einer Darstellung des Verfahrensgangs, im Wesentlichen Folgendes aus:
Dem Beschwerdeführer sei mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom die ihm am ausgestellte Waffenbesitzkarte gemäß § 25 Abs 3 in Verbindung mit § 8 Abs 1 Z 2 WaffG entzogen worden, weil er am durch fahrlässiges Hantieren mit einer Schusswaffe einen Unfall verursacht, nämlich sich seine linke Hand durchschossen hatte, sodass er nicht mehr als verlässlich anzusehen sei. Die gegen den Berufungsbescheid erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war mit Erkenntnis vom , Zl 2001/20/0397, als unbegründet abgewiesen worden.
Dem am gestellten Antrag auf Ausstellung eines Waffenpasses stehe entgegen, dass dem Beschwerdeführer mit dem genannten, in Rechtskraft erwachsenen Bescheid die waffenrechtliche Verlässlichkeit abgesprochen worden sei. "Um diesen Bescheid wegzubringen", müsse der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs 1 Z 2 AVG stellen. "Erst wenn die waffenrechtliche Unzuverlässlichkeit behoben ist", könne über die Ausstellung eines Waffenpasses abgesprochen werden. Gemäß § 68 Abs 1 AVG seien nämlich Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehrten, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Der Beschwerdeführer habe in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid eingewendet, es sei lediglich der Spruch des Bescheides in Rechtskraft erwachsen, nicht aber die Begründung (mangelnde Verlässlichkeit). Tatsächlich aber - so die belangte Behörde weiter - sei dem Beschwerdeführer im Spruch des genannten Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien die waffenrechtliche Verlässlichkeit abgesprochen worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Die maßgebenden Bestimmungen des Waffengesetzes 1996 (WaffG) lauten - auszugsweise - wie folgt:
"Verläßlichkeit
§ 8. (1) Ein Mensch ist verläßlich, wenn er voraussichtlich mit Waffen sachgemäß umgehen wird und keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß er
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1. | Waffen mißbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird; | |||||||||
2. | mit Waffen unvorsichtig umgehen oder diese nicht sorgfältig verwahren wird; | |||||||||
3. Waffen Menschen überlassen wird, die zum Besitz solcher Waffen nicht berechtigt sind. | ||||||||||
... | ||||||||||
Erwerb, Besitz und Führen genehmigungspflichtiger Schußwaffen |
§ 20. (1) Der Erwerb, der Besitz und das Führen genehmigungspflichtiger Schußwaffen ist nur auf Grund einer behördlichen Bewilligung zulässig. Die Bewilligung zum Erwerb, Besitz und zum Führen dieser Waffen ist von der Behörde durch die Ausstellung eines Waffenpasses nach dem Muster der Anlage 1, die Bewilligung zum Erwerb und zum Besitz dieser Waffen ist von der Behörde durch die Ausstellung einer Waffenbesitzkarte nach dem Muster der Anlage 2, zu erteilen.
...
Ausstellung von Waffenbesitzkarte und Waffenpaß
§ 21. (1) Die Behörde hat verläßlichen EWR-Bürgern, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und für den Besitz einer genehmigungspflichtigen Schußwaffe eine Rechtfertigung anführen können, auf Antrag eine Waffenbesitzkarte auszustellen. ...
(2) Die Behörde hat verläßlichen EWR-Bürgern, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und einen Bedarf zum Führen genehmigungspflichtiger Schußwaffen nachweisen, einen Waffenpaß auszustellen. ...
Rechtfertigung und Bedarf
§ 22. (1) Eine Rechtfertigung im Sinne des § 21 Abs. 1 ist jedenfalls als gegeben anzunehmen, wenn der Betroffene glaubhaft macht, daß er die genehmigungspflichtige Schußwaffe innerhalb von Wohn- oder Betriebsräumen oder seiner eingefriedeten Liegenschaften zur Selbstverteidigung bereithalten will.
(2) Ein Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 2 ist jedenfalls als gegeben anzunehmen, wenn der Betroffene glaubhaft macht, daß er außerhalb von Wohn- oder Betriebsräumen oder seiner eingefriedeten Liegenschaften besonderen Gefahren ausgesetzt ist, denen am zweckmäßigsten mit Waffengewalt wirksam begegnet werden kann.
...
Überprüfung der Verläßlichkeit
§ 25. (1) Die Behörde hat die Verläßlichkeit des Inhabers eines Waffenpasses oder einer Waffenbesitzkarte zu überprüfen, wenn seit der Ausstellung der Urkunde oder der letzten Überprüfung fünf Jahre vergangen sind.
(2) Die Behörde hat außerdem die Verläßlichkeit des Inhabers einer waffenrechtlichen Urkunde zu überprüfen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Berechtigte nicht mehr verläßlich ist. Sofern sich diese Anhaltspunkte auf einen der in § 8 Abs. 2 genannten Gründe oder darauf beziehen, daß der Betroffene dazu neigen könnte, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden, ist die Behörde zu einem entsprechenden Vorgehen gemäß § 8 Abs. 7 ermächtigt.
(3) Ergibt sich, daß der Berechtigte nicht mehr verläßlich ist, so hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen.
..."
2. Nach § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, welche die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, (außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs 2 bis 4 findet. Nach dem die Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens betreffenden § 69 Abs 1 Z 2 AVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) oder neu hervorgekommene Beweismittel - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen. Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegen steht. § 68 Abs 1 AVG soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage) verhindern. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgebenden tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteibegehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2005/03/0065, mwN).
3. Die seinerzeitige Entziehung der Waffenbesitzkarte des Beschwerdeführers rechtfertigt eine Zurückweisung des Antrags auf Ausstellung eines Waffenpasses wegen entschiedener Sache nicht:
An der Identität der Sache fehlt es schon deshalb, weil das neue Parteibegehren (der Sachantrag vom ) auf die Ausstellung eines Waffenpasses abzielt, während Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahrens der (weitere) Besitz der Waffenbesitzkarte des Beschwerdeführers war. Daran ändert der Umstand, dass sowohl für die Erlangung einer Waffenbesitzkarte als auch eines Waffenpasses Voraussetzung (ua) die - in den jeweiligen Verfahren als Vorfrage zu beurteilende - waffenrechtliche Verlässlichkeit ist, nichts.
Im Übrigen hat die belangte Behörde auch verkannt, dass die Rechtskraft eines Bescheides gegenüber neuen (relevanten) Tatsachen nicht Stand hält; eine wesentliche Änderung der Tatsachenlage nach Erlassung des Bescheides kann nicht durch Wiederaufnahme, sondern durch neue Antragstellung geltend gemacht werden.
Der Vorfall, aus dem im Vorverfahren die mangelnde waffenrechtliche Verlässlichkeit des Beschwerdeführers abgeleitet worden war, nämlich der Unfall vom , lag bei Stellung des nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrags auf Ausstellung eines Waffenpasses bereits mehr als sechs Jahre zurück. Ein Zeitablauf von mehr als fünf Jahren ist aber regelmäßig - gegenteilige Umstände hat die belangte Behörde nicht aufgezeigt - als wesentliche Änderung des für die Beurteilung der Verlässlichkeit maßgeblichen Sachverhalts anzusehen (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 91/01/0139).
4. Der angefochtene Bescheid war somit aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.
Wien, am