VwGH vom 17.05.2021, Ra 2021/18/0089

VwGH vom 17.05.2021, Ra 2021/18/0089

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , L507 2206974-1/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Y G, vertreten durch Dr. Martin Dellasega, Dr. Thomas Lechner & Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Der Mitbeteiligte ist türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden. Er stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen darauf stützte, als Mitglied der HDP von türkischen Behörden gesucht zu werden. Es bestehe ein Haftbefehl gegen ihn.

2Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei.

3Mit dem angefochtenen Beschluss vom behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den bekämpften Bescheid und verwies die Angelegenheit nach § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück (Spruchpunkt A.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).

4Begründend erwog das BVwG, der angefochtene Bescheid erweise sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als schwer mangelhaft. Der Mitbeteiligte habe sein Vorbringen insbesondere auf sein politisches Engagement für die kurdische Partei HDP gestützt und zur Untermauerung seines Vorbringens ein Konvolut an Dokumenten, darunter auch gerichtliche Schreiben, vorgelegt. Diese Schreiben seien vom BFA lediglich einer kursorischen Übersetzung durch die Dolmetscherin im Rahmen der Einvernahme zugeführt worden. Jegliche Auseinandersetzung mit den Dokumenten sei dadurch - vor allem vor dem Hintergrund der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen zur Lage der Opposition in der Türkei - verunmöglicht worden.

5Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG ins Treffen führt. Eine Aufhebung und Zurückverweisung sei nur bei krassen oder besonders gravierenden Ermittlungslücken gerechtfertigt. Dies sei im vorliegenden Fall, in dem das BFA den Mitbeteiligten einvernommen, im Zuge dieser Einvernahme die vorgelegten Dokumente erörtert sowie Länderberichte zur allgemeinen Lage in der Türkei eingeholt habe, nicht gegeben.

6Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Revision als unzulässig zurückzuweisen.

7Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8Die Revision ist zulässig und begründet.

9Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. , mwN).

10Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. , mwN).

11Im vorliegenden Fall ergibt sich nicht, dass vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung die Voraussetzungen einer Kassation des angefochtenen Bescheides nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorlagen.

12Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde der Mitbeteiligte ausführlich erstbefragt, am fand eine niederschriftliche Einvernahme durch das BFA statt, in welcher der Mitbeteiligte zu seinen Lebensumständen in der Türkei, seinem Fluchtgrund und seinen Funktionen innerhalb der HDP befragt wurde. Zudem erhob die belangte Behörde die entscheidungsrelevante Lage im Herkunftsstaat und führte dieses Berichtsmaterial in das Verfahren ein. Nach Abschluss der Ermittlungen kam die Behörde aus näher dargestellten Erwägungen zu dem Schluss, dass sich der Mitbeteiligte zwar in der HDP politisch engagiert, sich dieses Engagement jedoch auf Hilfstätigkeiten beschränkt habe und er selbst keine Probleme mit den türkischen Behörden gehabt habe.

13Der angefochtene Beschluss des BVwG enthält keine im Sinn der obigen Ausführungen nachvollziehbare Begründung dahingehend, weshalb das Verwaltungsgericht eine meritorische Entscheidungskompetenz als nicht gegeben erachtete bzw. die erforderlichen Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst hätten vorgenommen werden können. Sofern das BVwG seine Entscheidung darauf stützt, dass der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht (zur Gänze) feststehe und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts (erstmals) durch das BVwG selbst vorgenommen werden müsse, weist die Revision zu Recht darauf hin, dass einem solchen Verständnis die Anordnung des § 28 VwGVG mit seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache, auch wenn allenfalls Ermittlungen vorgenommen werden müssen, entgegensteht (vgl. ).

14Im Lichte der dargelegten Rechtsprechung wäre das BVwG selbst verpflichtet gewesen, auf den bisherigen Ermittlungsergebnissen des BFA aufzubauen und allenfalls notwendige, ergänzende Ermittlungen - fallbezogen etwa die vollständige Übersetzung der vorgelegten Dokumente zu veranlassen - durchzuführen, zumal die Beschwerde dem BVwG am vorgelegt und insofern die gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG vorgesehene gesetzliche Entscheidungsfrist bereits erheblich überschritten wurde.

15Aufgrund der dargelegten Erwägungen war der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16Bei diesem Ergebnis kommt ein Kostenzuspruch an den Mitbeteiligten nicht in Betracht.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180089.L00

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