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VwGH vom 30.07.2014, 2013/22/0281

VwGH vom 30.07.2014, 2013/22/0281

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Gerald Ganzger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/8/9807/2011-9, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG - idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (im Folgenden kurz als "Behörde" bezeichnet) mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass anstelle eines Aufenthaltsverbotes eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG und ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 2 FPG idF BGBl. I Nr. 38/2011verhängt wurden.

Begründend führte die Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß § 223 Abs. 2 und § 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 2 Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Es sei ihm zur Last gelegt worden, er habe einen gefälschten belgischen Reisepass, mithin eine ausländische öffentliche Urkunde, anlässlich einer Wohnsitzmeldung am , einer Identitätsfeststellung am und einer Kontoeröffnung Ende September 2008 zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht.

Bei den zur Last gelegten Taten würde es sich um Vorsatztaten handeln, die der am eingereiste Beschwerdeführer u. a. im September 2008, sohin innerhalb von drei Monaten nach seiner Einreise begangen habe.

Damit sei eine bestimmte Tatsache des § 53 Abs. 3 Z 2 FPG, welche die Annahme rechtfertige, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde, erfüllt. Ein Einreiseverbot sei demnach in einem zeitlichen Ausmaß von zehn Jahren zu verhängen. Durch Vorliegen dieser bestimmten Tatsache sei rechtens gemäß § 53 Abs. 3 FPG davon auszugehen, dass durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bestehe.

Eine derartige Gefährdung der öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK liege zweifelsohne vor, weil dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Urkundendelikten im Lichte der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele ein großes Gewicht zukomme. Gerade die Verschleierung der wahren Identität einer Person stelle eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Meldewesens dar. Auch eine bedingt nachgesehene Strafe könne eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot rechtfertigen.

In ihrer Abwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK berücksichtigte die Behörde den im Zeitpunkt ihrer Entscheidung dreijährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, der seit dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens am unrechtmäßig gewesen sei, die fehlenden familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und seine Tätigkeit als Zeitungszusteller.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Weiters sind angesichts der Zustellung des gegenständlichen Bescheides im November 2011 die Bestimmungen des FPG idF des BGBl. I Nr. 38/2011 maßgebend.

§ 53 FPG lautet auszugsweise:

" Einreiseverbot

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung wird ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

...

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

...

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

..."

Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, er sei zwar am vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Gebrauches eines gefälschten belgischen Reisepasses zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten bedingt rechtskräftig verurteilt worden, doch habe er sich seither nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Er sei legal als Zeitungszusteller beschäftigt und krankenversichert. Die Dauer des Einreiseverbotes stünde in keinem Verhältnis zu der gesetzten Tat bzw. der Gefährdung des öffentlichen Interesses.

Die Beschwerde ist mit diesem Vorbringen im Recht.

Im gegenständlichen Fall ist der Behörde zuzugestehen, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 2 FPG erfüllt ist. Das Vorliegen dieser Tatsache allein entbindet die Behörde jedoch nicht von der Pflicht, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen eine Prognose über die Möglichkeit der schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Verbleib des Beschwerdeführers zu treffen ist. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0237).

Die Behörde hat im Sinne der angeführten Grundsätze nicht dargelegt, aus welchen Gründen nach wie vor eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch den Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bestehe. Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist im Übrigen darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2011/18/0259).

Eine solche Gefährdungsprognose wurde von der Behörde nicht vorgenommen und es ist dem angefochtenen Bescheid keine Begründung für die zehnjährige Dauer des Einreiseverbotes zu entnehmen.

Soweit die Behörde in ihrer Gegenschrift aus einer Zusammenschau der Bestimmungen des § 53 Abs. 2 und Abs. 3 FPG ableitet, dass ein Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 Z 2 FPG in der Mindestdauer von fünf Jahren bis höchstens zehn Jahren zu erlassen sei, weil Abs. 2 leg. cit. solche Tatbestandmerkmale normiere, welche ein Einreiseverbot von höchstens fünf Jahren rechtfertigen, während Abs. 3 leg. cit. Tatbestände beinhalte, die ein Einreiseverbot von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet, zuließen, unterliegt sie einem Irrtum. Gemäß § 53 Abs. 2 FPG beträgt die Dauer eines Einreiseverbotes mindestens 18 Monate und grundsätzlich höchstens fünf Jahre. Diese Höchstdauer verlängert sich nach § 53 Abs. 3 FPG auf zehn Jahre, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (vgl. das angeführte Erkenntnis vom ). Dass die in § 53 Abs. 2 FPG vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren als Mindestdauer für die Erlassung eines Einreiseverbotes nach Abs. 3 zu gelten hat, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am