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VwGH vom 11.06.2014, 2013/22/0265

VwGH vom 11.06.2014, 2013/22/0265

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2013/22/0267

2013/22/0266

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden

1. der A, 2. des F und 3. des H, alle in S und vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom ,

1.) Zl. 322.655/3-III/4/12 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin, protokolliert zu 2013/22/0265), 2.) Zl. 322.655/4-III/4/12 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer, protokolliert zu 2013/22/0266) und 3.) Zl. 322.655/2-III/4/12 (betreffend den Drittbeschwerdeführer, protokolliert zu 2013/22/0267), jeweils betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.692,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer sind ein Ehepaar und Eltern des Zweitbeschwerdeführers. Alle sind kosovarische Staatsangehörige.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf Erteilung jeweils eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen gleichlautend aus, dass die beschwerdeführenden Parteien am illegal eingereist seien und am selben Tag Asylanträge gestellt hätten. Diese seien iVm einer Ausweisung letztinstanzlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom abgewiesen worden.

Am seien die gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln eingebracht worden. Aus der eingeholten Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom gehe hervor, dass eine Ausweisung unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zulässig wäre.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer seien zu keinem Zeitpunkt während des Aufenthaltes in Österreich einer erlaubten Beschäftigung nachgegangen. Eine wirtschaftliche bzw. berufliche Integration am österreichischen Arbeitsmarkt hätten sie daher nicht nachweisen können. Sie lebten zum Großteil von der Grundversorgung.

Die beschwerdeführenden Parteien hätten vorgebracht, dass seit den Ausweisungen vor allem die positive Ablegung der Deutschprüfungen auf dem Niveau A2, der arbeitsrechtliche Vorvertrag des Drittbeschwerdeführers, die Augenkrankheit der Erstbeschwerdeführerin, der nunmehrige Volksschulbesuch des Zweitbeschwerdeführers und die Geburt einer Tochter am zu berücksichtigen seien.

Dem sei entgegenzuhalten, dass der ca. sechsjährige Aufenthalt in Österreich auf einer illegalen Einreise beruhe, was als relevanter Verstoß gegen das Einwanderungsrecht in die Interessenabwägung einzubeziehen sei. Schon wenige Monate nach der illegalen Einreise hätten die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung der Asylanträge von einem nicht gesicherten Aufenthaltsstatus ausgehen müssen. Die genannten integrationsbegründenden Umstände würden nicht ausreichen, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein "Privatleben" in Österreich ermöglicht werden müsste. Die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer hätten den überwiegenden Teil ihres Lebens im Ausland und nicht in Österreich verbracht; eine Wiedereingliederung im Heimatland sei möglich. Die persönlichen Interessen der minderjährigen Kinder seien in erster Linie von jenen der Eltern geprägt.

Die Erstbeschwerdeführerin leide an einem Augentumor, der am in Istanbul operiert worden sei.

In der Folge verwies die Behörde auf das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom , in dem auch die Augenerkrankung der Erstbeschwerdeführerin angesprochen und eine Verletzung in einem nach Art. 3 EMRK geschützten Recht verneint worden wäre. Im nunmehrigen Verfahren - so die weitere Bescheidbegründung - hätte die Erstbeschwerdeführerin weitere Befunde und Arztbriefe vorgelegt. Nach Angaben des behandelnden Arztes im August 2012 sei das Melanom der Aderhaut des Auges erfolgreich behandelt worden, aktuell wäre wegen der Schwangerschaft eine nachfolgende Laserbehandlung nicht möglich gewesen; es wäre geplant, im Rahmen von Lasersitzungen die Exsudatbildung einzudämmen. Nach dieser Behandlung wäre eine Ausheilung mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Bei Nichtbehandlung müsste das Auge entfernt werden.

Am habe die Erstbeschwerdeführerin u.a. einen Befund der Universitäts-Augenklinik G vom vorgelegt, aus dem hervorgehe, dass sie derzeit keine Beschwerden hätte und keine "Zunahme der Tumorhöhe" erfolgt wäre. Nächste Kontrollen wären im April vorgesehen. Es wären weitere halbjährliche Untersuchungen empfohlen worden. Wie der Asylgerichtshof festgestellt habe, sei das Aderhautmelanom seit langer Zeit stabil und es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern werde. Mit Schreiben vom habe zwar ein Arzt im Kosovo bekanntgegeben, dass es dort keine "geeignete Behandlung und Kontrolle mit radioaktiven Plaka" gegen die Augenerkrankung gäbe und diese unbedingt außerhalb des Kosovo notwendig wäre. Jedoch wäre nach aktuellstem Befund vom eine radioaktive "Plaka" nicht mehr vorgesehen, sondern es wären als weitere Untersuchungen eine halbjährliche Lebersonographie und Labor-Leberfermente sowie ein jährliches Thoraxröntgen empfohlen worden. Weiters sollte die Erstbeschwerdeführerin tageschirurgisch eine Operation des Grauen Stars durchführen lassen. Hinweise, weshalb diese regelmäßig erforderlichen Kontrollen nicht ohnehin im Kosovo oder in Belgrad oder auch in Istanbul möglich wären, hätten sich nicht ergeben.

Abschließend sei festzustellen, dass das Vorbringen zur Integration in Österreich aus den genannten Gründen nicht geeignet sei, das Gewicht der persönlichen Interessen an der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels und somit an einer Niederlassung in Österreich maßgeblich zu stärken.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Angesichts der Zustellung der angefochtenen Bescheide im September 2013 sind die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 68/2013 maßgeblich.

Die Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel nach § 41a Abs. 9 NAG erfordert u.a., dass dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

In den Beschwerden wird im Wesentlichen auf die Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin und auf das daraus resultierende private Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich verwiesen. Damit zeigen die beschwerdeführenden Parteien eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide auf.

Grundsätzlich kann eine Erkrankung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK eine Verstärkung des Interesses an einem Verbleib in Österreich bewirken (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/21/0055). Diesbezüglich ist anzumerken, dass aus der Zitierung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes hervorgeht, dass die rechtliche Beurteilung vorwiegend unter dem hier nicht relevanten Gesichtspunkt einer Verletzung im Recht nach Art. 3 EMRK vorgenommen wurde. Nur Teile der Begründung lassen erkennen, dass die Behörde die Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin auch in die Beurteilung nach Art. 8 EMRK einbezogen hat. Diesbezüglich verweist die Behörde selbst auf die Mitteilung eines Arztes im Kosovo, dass die Behandlung und die Kontrolle der Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin unbedingt außerhalb des Kosovo notwendig wären, weil es dort keine Behandlung und Kontrolle mit radioaktivem Plaque gebe. Die Behörde zitiert auch die von der erstinstanzlichen Behörde eingeholte Stellungnahme des Gesundheitsamtes der Stadt S vom August 2012, wonach geplant sei, im Rahmen von Lasersitzungen die Exsudatbildung einzudämmen. Nach dieser Behandlung wäre eine Ausheilung mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Bei Nichtbehandlung müsste das Auge entfernt werden.

Letztlich verweist die Behörde auf den Ambulanzbericht des Landeskrankenhauses G vom , demzufolge die Erstbeschwerdeführerin derzeit keine Beschwerden hätte, die Tumorhöhe nicht zugenommen hätte und weitere Untersuchungen sowie eine Augenoperation geplant wären.

Damit wurde aber nicht in schlüssiger Weise dargelegt, dass weitere Behandlungen nicht mehr erforderlich seien und somit die zitierte Schlussfolgerung des Gesundheitsamtes, dass bei Nichtbehandlung das Auge entfernt werden müsste, nicht mehr zutreffe. Bemerkt sei, dass laut Ambulanzbefund vom die Augenoperation deswegen geplant sei, weil "die Einsicht für die Tumorbeurteilung durch die Strahleninduzierte Katarakt schon sehr reduziert ist". Dem Gerichtshof ist nicht nachvollziehbar, warum nun keine weiteren - nach Mitteilung des Arztes im Kosovo dort nicht möglichen - Behandlungen mehr notwendig wären. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels ist gegeben, weil ein drohender Verlust eines Auges das persönliche Interesse eines Fremden am Verbleib in Österreich derart verstärken kann, dass demgegenüber die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund treten müssten.

Da sich somit die Beurteilung hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin nach Art. 8 EMRK als fehlerhaft erweist, können auch die Bescheide hinsichtlich der anderen Familienmitglieder keinen Bestand haben, zumal die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Trennung der Familie ungeprüft geblieben ist.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

Fundstelle(n):
CAAAE-88813