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VwGH vom 25.06.2008, 2007/02/0288

VwGH vom 25.06.2008, 2007/02/0288

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des J L in M am L, vertreten durch Dr. Josef Sailer, Rechtsanwalt in 2460 Bruck/Leitha, Schlossmühlgasse 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-BL-06-1116, betreffend Übertretung der StVO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer für schuldig erkannt, zu einer bestimmten Zeit an einem näher genannten Ort als Lenker eines PKWs die Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt gegenüber einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht verweigert zu haben, obwohl er das Fahrzeug gelenkt habe und vermutet habe werden können, dass er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Er habe dadurch § 5 Abs. 2 iVm § 5 Abs. 4 iVm § 99 Abs. 1 lit. b StVO übertreten, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.162,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 16 Tage) verhängt wurde.

In der Begründung gab die belangte Behörde das Verwaltungsgeschehen wieder und stellte zusammengefasst fest, dass der Beschwerdeführer zur angeführten Zeit einen Chrysler Voyager bis vor das Grundstück seines Hauses gelenkt und diesen dort abgestellt habe. Er sei auf der Fahrerseite ausgestiegen und sei von den Beamten, die ihm nachgefahren seien, zur Aushändigung von Führerschein und Zulassungsschein aufgefordert worden. Er habe mitgeteilt, dass sich beide Dokumente im Haus befänden, und sei ins Haus gegangen. In der Folge sei die Ehefrau des Beschwerdeführers aus dem Haus gekommen und habe die Beamten ins Haus gebeten. Im Vorzimmer sei ein älterer Mann gewesen, der Beschwerdeführer habe sich im Wohnzimmer befunden. Dort sei der Beschwerdeführer dreimal zur Durchführung eines Alkotests aufgefordert worden, was der Beschwerdeführer verweigert habe. Die Aufforderung zur Mitfahrt zum Amtsarzt habe er damit beantwortet, dass der Amtsarzt zu ihm kommen solle.

In der Beweiswürdigung wog die belangte Behörde die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe das Fahrzeug nicht gelenkt und auch nicht lenken können, dieses habe sein Vater gelenkt, gegen die Angaben der Beamten ab und kam zu dem Schluss, dass Letzteren Glauben zu schenken sei. Der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei hinten gesessen und deswegen auf der Fahrerseite ausgestiegen, weil die hinteren Schiebetüren durch eine Kindersicherung gesichert gewesen seien, hat die belangte Behörde keinen Glauben geschenkt. Ein mit der Berufung vom Beschwerdeführer vorgelegtes Gutachten eines Technikers des ÖAMTC, wonach der Beschwerdeführer auf Grund seiner Körpergröße (2,12 m) das Fahrzeug nicht lenken habe können, beurteilte die belangte Behörde als Gefälligkeitsgutachten. Das Ergebnis einer Besichtigung des Chrysler Voyager mit dem Beschwerdeführer während der Berufungsverhandlung hielt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid dahin fest, dass der Beschwerdeführer demonstriert habe, wie schnell und gelenkig er vom Fahrersitz in den Fonds des Fahrzeuges habe klettern können, weshalb es nach Ansicht der belangten Behörde dem Beschwerdeführer trotz seiner Körpergröße möglich gewesen sei, den Chrysler Voyager zu lenken, wenn er dies wolle.

In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde von einer Verweigerung der Untersuchung der Atemluft auf Alkohol durch den Beschwerdeführer aus.

Gegen den Bescheid hat der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der die Beschwerde mit Beschluss vom , B 1709/07-3, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

In der dem Beschwerdeführer aufgetragenen Beschwerdeergänzung beantragt dieser die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften weist der Beschwerdeführer in der Beschwerde zutreffend darauf hin, dass sich die belangte Behörde mit der Frage, ob es dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Körpergröße überhaupt möglich sei, das in Rede stehende Fahrzeug Chrysler Voyager zu lenken, im Rahmen der Beweiswürdigung nicht ausreichend auseinander gesetzt hat.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist -

die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regelungen unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen - somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Unter Beachtung der nämlichen Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0010, mwN).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde als unschlüssig. Allein die Bezeichnung des vom Beschwerdeführer vorgelegten "Gutachtens" eines Technikers des ÖAMTC als "Gefälligkeitsgutachten" ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieses Gutachtens, sowie allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer bei der Besichtigung des Fahrzeuges durch die belangte Behörde im Rahmen der Berufungsverhandlung imstande war, vom Fahrersitz in den Fonds des Chrysler Voyager zu klettern, ist in Anbetracht des Inhaltes des "Gutachten" keine schlüssige Begründung für die Feststellung, der Beschwerdeführer sei in der Lage, das konkrete Fahrzeug, das nach der Aktenlage über eine Lenkradschaltung verfügt, zu lenken. Bei der Besichtigung des Fahrzeuges hätte die belangte Behörde Beobachtungen über die im "Gutachten" festgestellte technische Unmöglichkeit des Lenkens des Fahrzeuges durch den Beschwerdeführer machen und auch festhalten können. Anhaltspunkte für eine solche - wesentliche - Beobachtung finden sich im Verhandlungsprotokoll keine.

Der Verfahrensmangel in Form der Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung ist auch wesentlich; wäre das Lenken des Fahrzeuges durch den Beschwerdeführer technisch nicht möglich, könnte er auch nicht nach der von der belangten Behörde herangezogenen Bestimmung bestraft werden.

Die belangte Behörde hat demnach Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am