VwGH vom 10.12.2013, 2013/22/0229
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA35-9/2907319-01, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, ihm aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, gemäß § 43 Abs. 4 iVm § 11 Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom eine Rückkehrentscheidung "mit Einreiseverbot aufgrund Verletzung der öffentlichen Sicherheit erlassen" habe. Die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot seien seit rechtskräftig und durchsetzbar. Somit liege der absolute Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 1 NAG vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () im gegenständlichen Fall das NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 68/2013 zur Anwendung gelangt.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe aktenwidrig festgestellt, dass gegen ihn ein Einreiseverbot bestünde. Gegen ihn sei aber lediglich eine Rückkehrentscheidung erlassen worden. Die Beschwerde ist im Recht.
§ 11 Abs. 1 Z 1 und § 43 Abs. 4 NAG lauten:
"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt
werden, wenn
1. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung
gemäß § 52 FPG erlassen wurde oder ein aufrechtes Rückkehrverbot
gemäß § 54 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 63
oder 67 FPG besteht;
2. ..."
"'Niederlassungsbewilligung'
§ 43. ...
(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann
trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3
oder 5 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf
begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im
Inland einzubringen ist, eine 'Niederlassungsbewilligung' erteilt
werden, wenn
1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem
durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und
2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des
festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.
Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein, einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
(5) ..."
Zunächst ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2012/22/0185, des Näheren ausgeführt hat, dass der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Z 1 erster Fall NAG ungeachtet seines Wortlautes ("durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG") dann nicht als erfüllt angesehen werden kann, wenn bloß eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) vorliegt, die nicht auch mit einem Einreiseverbot nach § 53 FPG verbunden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
Die belangte Behörde ging in ihren Feststellungen davon aus, dass die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer eine - den genannten Tatbestand erfüllende - mit einem immer noch aufrechten Einreiseverbot verbundene durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen habe.
Diese Feststellungen sind mit der Aktenlage nicht in Einklang zu bringen.
Eine Ausfertigung oder Kopie des von der belangten Behörde angesprochenen Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien findet sich in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht. Demgegenüber ist darin eine Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien vom enthalten, womit der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht wurde, dass "mit Berufungsbescheid des UVS vom die von ha. erlassene Ausweisung bestätigt" worden wäre.
Mit Schreiben vom übermittelte die Bundespolizeidirektion Wien der belangten Behörde eine Kopie des vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien erlassenen Berufungsbescheides vom . In diesem Bescheid wird ausgeführt, dass sich die vom Beschwerdeführer im fremdenpolizeilichen Verfahren erhobene Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , womit er "gemäß § 53 Abs. 1 FPG (alt)" ausgewiesen worden sei, gerichtet habe. Des Weiteren ist diesem Bescheid zu entnehmen, dass der Berufung keine Folge gegeben und der genannte Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien mit der Maßgabe bestätigt werde, dass "anstelle einer Ausweisung eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG i.d.F. BGBl. I Nr. 38/2011 ausgesprochen" werde.
Ein Hinweis, dass mit dem Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer auch ein Einreiseverbot ausgesprochen worden wäre, findet sich hingegen an keiner Stelle. Vielmehr führte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien auf Seite 7 seiner Entscheidung - mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien und auf die mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (BGBl. I Nr. 38) zwischenzeitig geänderte Rechtslage des FPG - ausdrücklich aus, dass aufgrund der in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zu prüfen sei, ob gegen den Beschwerdeführer "eine Rückkehrentscheidung (ohne Einreiseverbot) zu verhängen" sei.
Somit trifft es ausgehend von der Aktenlage nicht zu, dass im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufgrund des Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom gegen den Beschwerdeführer eine mit einem aufrechten Einreiseverbot verbundene durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestanden hätte.
Die in diesem für die behördliche Entscheidung wesentlichen Punkt anders lautenden Feststellungen der belangten Behörde stellen sich als aktenwidrig dar, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am