VwGH vom 12.10.2007, 2007/02/0122
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2007/02/0121 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom , Zl. E 045/14/2006.002/004, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheit Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Mitbeteiligter: WH in L, vertreten durch Dr. Günther Bernhart und Dr. Gerhard Pail, Rechtsanwälte in 7400 Oberwart, Evangelische Kirchengasse 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Strafanzeige des Arbeitsinspektorates Salzburg vom wurde beantragt, gegen die Verantwortlichen der H GmbH wegen Übertretung des § 7 Abs. 1 der Bauarbeiterschutzverordnung - BauV, BGBl. Nr. 340/1994 iVm § 7 Abs. 2 Z. 1 BauV (Strafbestimmung § 130 Abs. 5 Z. 1 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes - AschG, BGBl. Nr. 450/1994), ein Strafverfahren einzuleiten und Geldstrafen zu verhängen. Die H GmbH sei in S mit Isolierarbeiten am Dach bei der neuen Lagerhalle beauftragt gewesen. Am sei die oberste Isolierschicht aufgebracht worden. Die endgültigen Lichtkuppeln (bestehend aus Plexiglas) seien bereits versetzt gewesen. Um ca. 8.00 Uhr sei der Arbeitnehmer L durch eine ca. 1,00 x 1,00 m große Lichtkuppel ca. 8,50 m abgestürzt, wodurch er Verletzungen erlitten habe. Entgegen § 7 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 BauV seien bei Absturzgefahr durch Öffnungen in Geschoßdecken, wie Lichtkuppeln, geeignete Absturzsicherungen im Sinne des § 8 BauV (tragsichere Abdeckungen von Öffnungen oder Umwehrungen an den Absturzkanten) anzubringen. Im gegenständlichen Fall seien die bereits versetzten Lichtkuppeln nicht tragsicher ausgeführt gewesen.
Mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen befugtes Organ des Arbeitgebers H GmbH mit Sitz in L zu verantworten, dass diese Gesellschaft am auf der Baustelle in S auf dem in 8,50 m Höhe befindlichen Dach, in dem Lichtkuppeln aus Plexiglas integriert gewesen seien, wo somit Absturzgefahr bestanden habe, den Arbeitnehmer L mit Isolierarbeiten beschäftigt habe, ohne dafür zu sorgen, dass geeignete Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtung vorhanden gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht angeseilt gewesen sei. Auf Grund der fehlenden Sicherheitsvorkehrungen sei L durch eine dieser Lichtkuppeln 8,50 m tief abgestürzt.
Mit Straferkenntnis vom wurde der Mitbeteiligte dieser Übertretung für schuldig erkannt. Er habe § 7 Abs. 1 BauV iVm § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG verletzt und gemäß § 130 Abs. 5 zweiter Fall und Z. 1 ASchG eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde Folge und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG mit folgender Begründung ein:
"Der von der Bezirkshauptmannschaft als Übertretungsnorm herangezogene § 7 BauV regelt die erforderlichen Vorkehrungen bei Absturzgefahr und sieht in Abs. 1 vor, dass diesfalls Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen sind. Nach § 7 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. liegt Absturzgefahr vor bei Öffnungen und Vertiefungen im Fuß- oder Erdboden, wie Schächten, Kanälen, Gruben, Gräben und Künetten, oder in Dächern, wie Lichtkuppel- oder Sheddachöffnungen.
§ 7 BauV stellt die allgemeine Bestimmung dar und enthält die BauV außerdem im 11. Abschnitt (§§ 87 ff) die besonderen Vorschriften über 'Arbeiten auf Dächern'. Demnach dürfen unter bestimmten Voraussetzungen die Sicherungsmaßnahmen des § 7 entfallen und regelt § 87 BauV verschiedene Varianten von Absturzsicherungen bei Arbeiten auf Dächern, wobei je nach dem Grad der Gefährdung und der Art der durchgeführten Tätigkeiten verschiedene Sicherungsvarianten vorgesehen sind. Als Abgrenzungskriterien dienen hiebei in erster Linie die Dachneigung und die Absturzhöhe, weshalb diese beiden Kriterien wesentliche Tatbestandsmerkmale sind.
Gemäß dem Vorhalt im Schuldspruch des angefochtenen Straferkenntnisses wurden entsprechend der dem Verwaltungsstrafverfahren zugrunde liegenden Anzeige des Arbeitsinspektorats Salzburg vom vom verunfallten Arbeitnehmer L Isolierarbeiten am Dach einer Lagerhalle durchgeführt. Damit wäre es aber erforderlich gewesen, die Tat entsprechend dem § 87 BauV näher zu konkretisieren. § 87 BauV ('Arbeiten auf Dächern') stellt die lex specialis zu § 7 leg. cit. (allgemein zur 'Absturzgefahr') dar (). Gerade bei jenen Bestimmungen der BauV, die abhängig von der Absturzhöhe, der Dachneigung und dem Arbeitsort am Dach mehrere Alternativen für Absicherungsmaßnahmen vorsehen, gelten nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besonders strenge Anforderungen an die Konkretisierung des Spruches (vgl. u.a.).
Auf Grund der mittlerweile eingetretenen Verfolgungsverjährung kann die Konkretisierung der wesentlichen Tatumstände - die Dachneigung betreffend - nicht mehr nachgeholt werden, weshalb das Verfahren spruchgemäß einzustellen war."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Amtsbeschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 118 Abs. 3 ASchG gilt die BauV - mit hier nicht relevanten Änderungen - als Verordnung nach dem ASchG.
§ 7 BauV, BGBl. Nr. 340/1994, lautet auszugsweise:
"(1) Bei Absturzgefahr sind Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen.
(2) Absturzgefahr liegt vor:
1. bei Öffnungen und Vertiefungen ... in Dächern, wie Lichtkuppel- oder Sheddachöffnungen,
..."
§ 87 BauV lautet auszugsweise:
"(1) Bei Arbeiten auf Dächern bis zu einer Absturzhöhe von 3,00 m dürfen Absturzsicherungen, Abgrenzungen und Schutzeinrichtungen abweichend von § 7 entfallen, wenn die Arbeiten bei günstigen Witterungsverhältnissen sowie von unterwiesenen, erfahrenen und körperlich geeigneten Arbeitnehmern durchgeführt werden. In diesem Fall kann auch die Sicherung der Arbeitnehmer durch Anseilen entfallen, ausgenommen bei Arbeiten am Dachsaum und bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 45 Grad. § 7 Abs. 2 Z 1 bleibt unberührt."
Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar schon mehrfach ausgesprochen, dass § 87 BauV die lex specialis zu § 7 BauV ist (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/02/0171). Dies gilt aber nicht für die ausdrücklich in § 7 Abs. 2 Z. 1 BauV - zu dieser Gesetzesstelle wird zudem in § 87 Abs. 1 BauV normiert, dass sie "unberührt" bleibt - genannten "Öffnungen und Vertiefungen ... in Dächern, wie Lichtkuppel- oder Sheddachöffnungen" (vgl. zu einer Öffnung in einem Flachdach das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/02/0237). Die Behörde erster Instanz hat daher den gegenständlichen, die fehlende Absicherung einer Lichtkuppel in einem Dach betreffenden Sachverhalt, zu Recht als Übertretung ua. dem § 7 BauV unterstellt.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kommt es auf § 87 BauV im gegenständlichen Fall gar nicht an, weshalb schon deshalb die auf dieser Verkennung der Rechtslage beruhende Begründung der belangten Behörde ins Leere geht.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am