VwGH vom 03.09.2021, Ra 2021/14/0108
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler, den Hofrat Dr. Himberger sowie die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des A B in X, vertreten durch Mag. Franz Steinböck, LL.B., Rechtsanwalt in 4020 Linz, Lederergasse 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W255 2120491-2/41E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und gelangte im Jahr 2013 als Achtjähriger gemeinsam mit seinem Vater und einem älteren Bruder nach Österreich, wo sie jeweils Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) stellten.
2Mit Erkenntnissen vom erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeweg sowohl dem Vater des Revisionswerbers als auch - im Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 - dem Revisionswerber selbst jeweils den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zu und stellte jeweils gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass ihnen kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
3Die Mutter und die weiteren Geschwister des Revisionswerbers reisten im November 2019 auf Basis von Einreisetiteln gemäß § 35 AsylG 2005 nach Österreich.
4In den Jahren 2017 und 2018 wurden zahlreiche strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Revisionswerber wegen dessen Strafunmündigkeit gemäß § 4 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz eingestellt. In den Jahren 2019 und 2020 wurde er insgesamt drei Mal strafrechtlich verurteilt. Er befindet sich in Strafhaft.
5Mit dem angefochtenen Erkenntnis erkannte das BVwG im Beschwerdeverfahren dem mittlerweile 16-jährigen Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Es erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zu und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005. Es erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise bestimmte das BVwG eine Frist von zwei Wochen ab der Haftentlassung des Revisionswerbers. Weiters verhängte das BVwG gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG gegen dieses Erkenntnis erklärte es für nicht zulässig.
6Die Asylaberkennung stützte das BVwG der Sache nach ausschließlich auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK („Wegfall der Umstände“-Klausel).
7Dazu stellte es fest, dass die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Vater des Revisionswerbers damit begründet worden sei, dass dieser in Afghanistan für einen bestimmten Kommandanten und eine bestimmte Sicherheitsfirma gearbeitet habe und aufgrund dieser Tätigkeit ab Sommer 2011 von den Taliban bedroht worden sei. Der Revisionswerber habe im Zuerkennungsverfahren keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, ihm sei jedoch im Rahmen des Familienverfahrens aufgrund der Zuerkennung an den Vater der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen.
8Der Revisionswerber habe nunmehr nicht glaubhaft machen können, „dass er und/oder sein Vater ... in Afghanistan (nach wie vor) einer konkreten Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt ist/sind oder im Fall der Rückkehr nach Afghanistan (nach wie vor) sein würde(n)“.
9In der Beweiswürdigung erwog das BVwG diesbezüglich zunächst, dass sich aus den Angaben der Mutter des Revisionswerbers ergebe, dass sein Vater im Zuerkennungsverfahren nicht die Wahrheit angegeben habe, als er behauptet habe, dass er keinen direkten Kontakt mit seiner damals noch in Afghanistan lebenden Familie gehabt hätte.
10Im nunmehrigen Beschwerdeverfahren hätten verschiedene Familienmitglieder unterschiedliche Angaben dazu gemacht, ob es nach der Ausreise des Vaters des Revisionswerbers gegenüber seiner in Afghanistan verbliebenen Familie Bedrohungen oder Kontaktaufnahmen durch die Taliban gegeben habe. Aus näher dargelegten Erwägungen sei - im Wesentlichen den Angaben der Mutter des Revisionswerbers folgend - festzustellen, dass es keine derartigen Drohungen oder Kontaktaufnahmen gegeben habe.
11Der Vater des Revisionswerbers habe in seinem Asylverfahren angegeben, dass die Taliban es auf ihn abgesehen, jedoch auch gedroht hätten, seine Kinder zu entführen, sollte er sich nicht den Taliban stellen. Aus den Angaben der Mutter gehe jedoch hervor, dass die Taliban sichtlich kein Interesse gehabt hätten, die (gemeint:) Geschwister des Revisionswerbers zu entführen. Sie hätten sich auch nach Mai 2013 kein einziges Mal nach dem Aufenthalt des Vaters erkundigt. Auch sei nicht behauptet worden, dass die Verwandten der Mutter des Revisionswerbers in Afghanistan nach deren Ausreise aus Afghanistan im November 2019 je Probleme mit den Taliban gehabt hätten.
12Zusammenfassend ergebe sich insbesondere aufgrund der Angaben der Mutter des Revisionswerbers - deren Wissen und Kenntnisse der fluchtauslösenden Gründe vor Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mangels Aufenthaltes in Österreich nicht berücksichtigt werden habe können - dass der Revisionswerber und sein Vater „keiner Verfolgung (mehr) in Afghanistan durch die Taliban ausgesetzt sind oder im Falle der Rückkehr wären“.
13In der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG zunächst unter Bezugnahme auf die einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus, dass es für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände darauf ankomme, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Es sei daher zu prüfen, ob die begründete Furcht vor Verfolgung beim Vater des Revisionswerbers weggefallen sei.
14Unter Hinweis auf seine Feststellungen und Beweiswürdigung hob das BVwG erneut hervor, dass der Vater des Revisionswerbers in seinem Zuerkennungsverfahren ausdrücklich vorgebracht habe, dass die Taliban nicht nur „hinter ihm her sein“ würden, sondern aufgrund seines vormaligen Berufes auch seine Kinder entführen wollen würden, weshalb auch seine Kinder ernsthaft gefährdet wären. Nunmehr ergebe sich jedoch maßgeblich (aber nicht nur) auf Grund der Angaben der Mutter des Revisionswerbers, dass sie und seine Geschwister von Mai 2013 bis November 2019 ohne Bedrohungen seitens der Taliban weiterhin in den selben beiden Dörfern wie zuvor leben haben können, obwohl den Taliban deren Aufenthaltsort die ganze Zeit bekannt gewesen sei. Es seien daher nunmehr bald zehn Jahre vergangen, seit die Taliban den Kontakt zu Verwandten des Revisionswerbers das letzte Mal gesucht hätten. Es seien dreieinhalb Jahre seit der Asylzuerkennung vergangen, in denen sich gezeigt habe, dass die Familie des Revisionswerbers „keiner Bedrohung durch die Taliban mehr ausgesetzt war bzw. ist“. Es hätten sich somit die Umstände, auf Grund derer der Vater des Revisionswerbers als Flüchtling anerkannt worden sei, nachhaltig geändert.
15Im gegenständlichen Verfahren habe sowohl eine Prüfung mit der inhaltlichen (als Vorfrage zu beantwortenden) Frage zu erfolgen, ob die Umstände, auf Grund deren der Vater als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, als auch eine Prüfung der Frage, ob hinsichtlich des Revisionswerbers (aktuell) die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen. Diese Prüfung habe zum Ergebnis geführt, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorlägen. Damit erübrige sich eine Prüfung der weiteren Aberkennungstatbestände, darunter jener, der noch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im vor dem BVwG bekämpften Bescheid herangezogen worden sei (§ 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005).
16Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit unter anderem vorgebracht wird, die Begründung des BVwG sei mangelhaft. Sie schließe nämlich allein aus dem Umstand, dass die Familie des Revisionswerbers bis zur Ausreise nach Österreich keinen Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt gewesen sei, dass sich die Umstände in Afghanistan - der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entsprechend - derart grundlegend verändert hätten, dass dem Vater des Revisionswerbers keine Bedrohung in Afghanistan mehr drohe. Die asylrelevante Verfolgung habe sich primär gegen den Vater des Revisionswerbers gerichtet, weshalb das BVwG überprüfen hätte müssen, was dieser im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan konkret zu befürchten hätte.
17Nach Vorlage der Revision samt der Verfahrensakten durch das BVwG und der Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18Die Revision ist aus dem von ihr genannten Grund zulässig und auch begründet.
19Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den § 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. , mwN).
20Für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände kommt es darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen. Gelangt die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) in so einem Fall zu der Beurteilung, dass diese Umstände nicht mehr vorliegen, ist der Asylstatus eines Familienangehörigen, dem dieser Status im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannt worden ist, abzuerkennen, sofern im Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich des Familienangehörigen nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (drohende Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) vorliegen. Für die Asylaberkennung in einem solchen Fall ist hingegen nicht maßgeblich, ob alle Voraussetzungen des § 34 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren (also etwa auch die im Revisionsfall nicht mehr gegebene fehlende Straffälligkeit iSd § 34 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005) noch vorliegen (grundlegend ; vgl. weiters ; , Ra 2020/14/0387; und , Ra 2020/18/0491).
21Ausgehend von Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK können nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln. Bei den „Umständen“ im Sinne der zitierten Bestimmung muss es sich insbesondere um solche handeln, die sich auf grundlegende, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention angeführten Fluchtgründe betreffende (objektive) Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings beziehen, auf Grund deren angenommen werden kann, dass der Anlass für die - begründete - Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht. Nach dieser Rechtsprechung können somit neben (objektiven) Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings auch weitere „Umstände“ den Beendigungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK begründen. Der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, soweit er sich auf den Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK bezieht, ist auch dann erfüllt, wenn sich (bloß) die für die Zuerkennung des Asylstatus wesentlichen in der Person des Asylberechtigten gelegenen Umstände nachträglich derart erheblich und nicht nur vorübergehend verändern, sodass für den Asylberechtigten in seinem Heimatstaat keine Verfolgungsgefahr mehr besteht, obwohl sich die dortige Lage seit Zuerkennung des Asylstatus nicht (erheblich) verändert hat (, mwN).
22Dem angefochtenen Erkenntnis ist in seiner Gesamtheit nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob das BVwG davon ausgeht, dass eine (ursprünglich gegebene) Verfolgung des Vaters des Revisionswerbers durch die Taliban nunmehr weggefallen sein soll, oder ob eine solche - entgegen den Annahmen bei der Asylzuerkennung - nie bestanden habe: So zieht das BVwG in der rechtlichen Beurteilung zwar ausdrücklich die Schlussforderung, dass sich die Umstände, auf Grund derer der Vater des Revisionswerbers als Flüchtling anerkannt worden sei, nachhaltig geändert hätten. Es bezieht sich in seiner dahin führenden Argumentation aber zentral darauf, dass sich die vom Vater des Revisionswerbers im Zuerkennungsverfahren behauptete Gefährdung (auch) seiner Familienmitglieder durch die Taliban nicht bewahrheitet habe und die Angaben der Mutter des Revisionswerbers als Zeugin im Zuerkennungsverfahren noch nicht zur Verfügung gestanden hätten. Sowohl in den Feststellungen als auch der Beweiswürdigung bedient sich das BVwG außerdem an zentralen Stellen relativierender Klammerausdrücke, wenn es ausführt, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Revisionswerber oder sein Vater „(nach wie vor) einer konkreten Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt ist/sind oder im Fall der Rückkehr nach Afghanistan (nach wie vor) sein würde(n)“, oder es ergebe sich, dass der Revisionswerber und sein Vater „keiner Verfolgung (mehr) in Afghanistan durch die Taliban ausgesetzt sind oder im Falle der Rückkehr wären“.
23Der Unterscheidung zwischen tatsächlich geänderter - oder bloß neu beurteilter - Umstände kommt jedoch wesentliche Bedeutung zu. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK fordert als Voraussetzung für die Beendigung des Schutzstatus einer Person, dass die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Somit geht dieser Tatbestand zunächst von einer - nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes - nachhaltigen und erheblichen Veränderung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes in dem Sinn aus, dass zuvor tatsächlich bestehende Umstände nun nicht mehr bestehen.
24Geht man davon aus, dass das BVwG seiner Entscheidung eine tatsächliche Veränderung - etwa den Wegfall einer zuvor bestandenen Bedrohung durch die Taliban - zu Grunde gelegt hat, so erwiese sich diese Annahme als mangelhaft begründet. Dabei stützt sich das BVwG nämlich - wie oben dargestellt - im Wesentlichen darauf, dass die Taliban in den zehn Jahren seit der (zuletzt) erlittenen Verfolgung und der anschließenden Flucht seine in Afghanistan verbliebene Familie weder bedroht noch sonst kontaktiert und auch nicht nach ihm gefragt hätten.
25Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. , mwN). Dies gilt auch entsprechend für die Beurteilung der Frage, ob ein Asylberechtigter nach einer Änderung von Umständen nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen.
26Der bloße Hinweis darauf, dass in den vergangenen zehn Jahren keine Verfolgungshandlungen mehr gegen die Familie des Revisionswerbers in Afghanistan gesetzt wurden, greift daher zu kurz. Zu beurteilen ist, welche Situation der Vater des Revisionswerbers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten (oder nicht mehr zu befürchten) hätte. Dabei ist insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem Umstand erforderlich, dass er seit den letzten Verfolgungshandlungen nicht mehr in Afghanistan anwesend und damit für seine Verfolger nicht unmittelbar greifbar war. Anhand der Erwägungen des angefochtenen Erkenntnisses bleibt auch letztlich unklar, welche konkret bezeichneten Umstände - seien es (objektive) Veränderungen im Heimatstaat oder wesentliche in der Person des Asylberechtigten gelegene Umstände - sich derart geändert haben sollen, dass der Anlass für die - begründete - Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger bestünde.
27Das angefochtene Erkenntnis war somit aufgrund der dargestellten Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
28Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
29Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140108.L02 |
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