VwGH vom 03.10.2013, 2013/22/0213
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 162.242/3- III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines sudanesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Aufenthaltsbewilligung - Künstler" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe in der Zeit von "zumindest" 1999 bis 2005, zuletzt mit Gültigkeit vom bis , über Aufenthaltstitel für Österreich verfügt. Den ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitel habe er nicht mehr verlängern lassen. Am habe er sich von seinem Wohnsitz in Österreich abgemeldet.
Der Beschwerdeführer sei in weiterer Folge erneut - und zwar zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt - in das Bundesgebiet eingereist und dann hier geblieben. Am habe er sich wieder mit Hauptwohnsitz in Wien behördlich angemeldet.
Erst am - somit nach einem "mehr als 4- jährigen (Melde)Aufenthalt in Wien" - habe der Beschwerdeführer den hier gegenständlichen Erstantrag persönlich eingebracht. Der Beschwerdeführer habe seit Ablauf der Gültigkeit des ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitels über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt. Sein Aufenthalt sei seit der Wiedereinreise im Jahr 2007 als unrechtmäßig anzusehen.
Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass sein Reisepass in Verlust geraten sei. Insoweit habe er aber keinen Antrag gemäß § 19 Abs. 8 NAG gestellt, sondern nur "in Bezug auf das fehlende Führungszeugnis mit diplomatischer Beglaubigung".
Einer im Verfahren vorgelegten Geburtsurkunde sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer Vater einer am geborenen österreichischen Staatsbürgerin sei. Er habe im Verfahren angegeben, gegenüber seiner Tochter unterhaltspflichtig zu sein und den Unterhalt auch zu leisten. Einen Nachweis darüber, dass seine Tochter auch nach Erreichen der Volljährigkeit (etwa wegen einer Schul- oder Studienausbildung) unterhaltsbedürftig sei und er auch tatsächlich Unterhalt leiste, habe er aber nicht beigebracht.
In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer hätte den Erstantrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten gehabt. Ein Fall des § 21 Abs. 2 NAG liege nicht vor. Der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Antragstellung erwiesenermaßen nicht rechtmäßig im Inland aufhältig gewesen. Allein der Umstand, dass er Vater einer erwachsenen österreichischen Staatsbürgerin sei, berechtige ihn nicht zu einer Inlandsantragstellung.
Der Beschwerdeführer habe zwar mit Schreiben vom "einen Antrag nach § 19 NAG" gestellt, Unterlagen vorgelegt und "ua. darauf, dass" er "eine österreichische Tochter" habe, verwiesen. Daraus sei aber kein Antrag nach § 21 Abs. 3 NAG ableitbar.
Ungeachtet dessen nahm die belangte Behörde im Weiteren eine Beurteilung im Sinn des Art. 8 EMRK vor. Dabei ging sie davon aus, dass die vom Beschwerdeführer gewählte Vorgangsweise eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen darstelle. Es sei ihm durchaus zumutbar, den Erstantrag rechtskonform vom Ausland aus einzubringen. Der Hinweis des Beschwerdeführers, wonach er sich seit mehr als 20 Jahren nicht in seinem Heimatland aufgehalten habe, reiche nicht aus, die Inlandsantragstellung zuzulassen. Der Beschwerdeführer habe Österreich im Jahr 2005 verlassen. Dass er später wieder eingereist sei und sich dann ohne Bewilligung im Bundesgebiet aufgehalten habe, habe er "ausschließlich selbst zu verantworten". Eine Verletzung des Art. 8 EMRK könne in dem Fall, dass die Inlandsantragstellung nicht zugelassen und demnach dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel erteilt werde, nicht angenommen werden. Im Übrigen strebe der Beschwerdeführer keine Familienzusammenführung mit seiner mittlerweile 20-jährigen österreichischen Tochter (gemeint: nach § 47 Abs. 3 Z 3 NAG), sondern die Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts mittels einer "Aufenthaltsbewilligung - Künstler" an.
Eine Prüfung im Sinn des Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom , C-256/11, Dereci ua., ergebe, dass nicht davon ausgegangen werden könne, die Tochter des Beschwerdeführers wäre im Fall der Nichterteilung des Aufenthaltstitels de facto gezwungen, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Es könne "der Aktenlage" nicht entnommen werden, dass der Beschwerdeführer bestrebt wäre, mit seiner erwachsenen Tochter ein Familienleben zu führen. Weder der Wunsch, mit ihr Kontakt halten zu können, noch wirtschaftliche Überlegungen könnten aber zur Annahme eines "de facto Zwanges" im Sinn des genannten Urteiles führen. Besondere Umstände, aufgrund derer auf eine Ausnahmesituation hätte geschlossen werden können, seien nicht vorgebracht worden. Solche ergäben sich auch nicht aus "dem Akteninhalt".
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 50/2012 richtet.
Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, bei seinem Antrag handle es sich "in Wahrheit" um einen Verlängerungsantrag, weshalb vom "Erfordernis der Antragstellung im Ausland" hätte abgesehen werden müssen. Eine Begründung für diese Ansicht enthält die Beschwerde allerdings nicht; insbesondere wird nicht behauptet, der Beschwerdeführer habe zum Zeitpunkt der Antragstellung über einen Aufenthaltstitel verfügt. Vor diesem Hintergrund begegnet die Ansicht der belangten Behörde, es liege im gegenständlichen Fall kein Verlängerungsantrag (§ 2 Abs. 1 Z 11 NAG), sondern ein Erstantrag (§ 2 Abs. 1 Z 13 NAG) vor, auf den die Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG, gegen den der Beschwerdeführer verstoßen habe, Anwendung zu finden habe, keinen Bedenken.
Fallbezogen stehen daher die entgegen § 21 Abs. 1 NAG im Inland erfolgte Antragstellung und das Abwarten der Entscheidung im Bundesgebiet der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels nur dann nicht entgegen, wenn ein Fall des § 21 Abs. 3 Z 2 NAG vorliegt, demzufolge die Inlandsantragstellung auf begründeten Antrag zugelassen werden kann, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3 NAG) nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
Im Vorbringen des Beschwerdeführers ist der Sache nach ein Antrag im Sinn des § 21 Abs. 3 NAG zu erblicken.
Dem Ergebnis der von der belangten Behörde nach § 11 Abs. 3 NAG durchgeführten Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK kann nicht entgegen getreten werden. Zum darauf Bezug nehmenden Beschwerdevorbringen ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren zu keiner Zeit geltend gemacht hat, dass er eine Lebensgefährtin hätte, ein durchgehender Aufenthalt trotz Ablaufes des ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitels vorgelegen wäre und es das Land, aus dem er stamme, "durch die Abspaltung des Südsudans" nicht mehr gäbe. Auf das darauf abstellende Vorbringen war somit, weil es sich dabei um im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerungen handelt (§ 41 Abs. 1 VwGG), nicht weiter einzugehen. Gründe, wonach die behördlichen Feststellungen - insbesondere dazu, dass sich der Beschwerdeführer in der Zeit von 2005 bis 2007 nicht in Österreich aufgehalten habe - nicht auf einem mängelfreien Verfahren beruhen würden, hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt.
Es ist - worauf der Sache nach auch die belangte Behörde abgestellt hat - festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer nach seiner erneuten Einreise in das Bundesgebiet hier über mehrere Jahre unrechtmäßig aufgehalten und damit den geltenden Einwanderungsbestimmungen zuwidergehandelt hat. Sein Verhalten stellt somit eine relevante Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zu (vgl. statt vieler etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/22/0033). Das sich nach dem Gesagten ergebende öffentliche Interesse hatte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles gegen die gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers abzuwägen. Die in diesem Sinn von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung ist nicht zu beanstanden. Die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Umstände wurden von der belangten Behörde bei ihrer Beurteilung ausreichend berücksichtigt. Selbst unter Berücksichtigung des früheren langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich sind diese Umstände aber insgesamt nicht von einem solchen Gewicht, dass ihm unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltstitel hätte erteilt und akzeptiert werden müssen, dass er mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde im Sinn des § 11 Abs. 3 Z 8 NAG auch berücksichtigen, dass er wegen des seit seiner erneuten Einreise unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet zu keiner Zeit damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich bleiben können.
Zusammenfassend ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde die Ansicht vertrat, es sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht geboten, die Inlandsantragstellung zuzulassen und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu erteilen.
Letztlich versucht der Beschwerdeführer Rechte aus der Grundrechtecharta (GRC) unter Berufung auf die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom betreffend die Rechtstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen geltend zu machen. Diesem Vorbringen ist aber schon deswegen der Boden entzogen, weil die angesprochene Richtlinie gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 nur auf Drittstaatsangehörige anzuwenden ist, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/22/0164). Dies ist im vorliegenden Fall unbestritten nicht der Fall.
Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtsverletzung nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-88676