VwGH vom 07.03.2022, Ra 2021/13/0110
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der W GmbH in G, vertreten durch Dr. Erich Jungwirth, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Trautsongasse 6, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101683/2012, betreffend Haftung für Lohnsteuer sowie Festsetzung von Dienstgeberbeiträgen für die Jahre 2007 bis 2009, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Im Bericht über das Ergebnis einer Außenprüfung bei der revisionswerbenden Partei (einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) vom wurde festgehalten, die meisten Dienstnehmer der Revisionswerberin seien bei der Gebietskrankenkasse jeweils mit 20 Stunden pro Woche angemeldet worden. Der Geschäftsführer der Revisionswerberin habe erklärt, für den Prüfungszeitraum gebe es keine Grundaufzeichnungen. Es seien zwei (nunmehr ehemalige) Dienstnehmer befragt worden. Daraus sei abzuleiten, dass jahresdurchschnittlich zumindest 40 Wochenstunden geleistet worden seien. Bei allen mit weniger als 40 Wochenstunden beschäftigten Dienstnehmern werde über die Sommermonate auf 50 Stunden pro Woche und über die Wintermonate auf zumindest 30 Stunden pro Woche hochgerechnet. Bei den bisher mit 40 Wochenstunden beschäftigten Personen würden 10 Stunden pro Woche zugeschätzt. Aus Vereinfachungsgründen werde die Lohnsteuer mit 10 % pauschal festgesetzt.
2Mit Bescheiden vom wurde die Revisionswerberin für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn zu entrichtenden Lohnsteuer für die Jahre 2007 bis 2009 in Anspruch genommen; weiters wurden Dienstgeberbeiträge und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag für diese Jahre (sowie Säumniszuschläge) festgesetzt. In der Begründung wurde jeweils auf den Bericht vom verwiesen.
3Die Revisionswerberin erhob gegen die Bescheide betreffend Haftung für Lohnsteuer sowie Festsetzung von Dienstgeberbeiträgen Berufung (nunmehr Beschwerde).
4Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe im Streitzeitraum u.a. die Bewirtschaftung von Ackerflächen betrieben. In den Jahren 2007 bis 2009 habe die Revisionswerberin die im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung angeführten Personen beschäftigt. Diese Personen seien hauptsächlich mit 20 Wochenstunden zur Sozialversicherung angemeldet gewesen, einige wenige mit 40 Wochenstunden. Im Streitzeitraum habe es keinerlei Grundaufzeichnungen hinsichtlich der geleisteten Arbeitsstunden gegeben. Entgegen den Anmeldungen zur Sozialversicherung hätten die genannten Personen durchschnittlich 30 Stunden (im Winter) bzw. 50 Stunden (im Sommer) pro Woche gearbeitet.
6Beweiswürdigend führte das Bundesfinanzgericht insbesondere aus, im gesamten Verfahren sei unbestritten geblieben, dass im Streitzeitraum keine Grundaufzeichnungen vorlägen. Die Feststellungen zu den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden stützten sich auf die Niederschriften der behördlichen Einvernahmen zweier Dienstnehmer der Revisionswerberin als Zeugen. Die Aussagen dieser Personen erschienen - entgegen dem Beschwerdevorbringen - auch nicht deshalb als unglaubhaft, weil die Zeugen zum Zeitpunkt der Befragung nicht mehr für die Revisionswerberin tätig gewesen seien, da dies nach allgemeiner Lebenserfahrung eher für als gegen eine wahrheitsgemäße Aussage spreche. Soweit der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin im Zuge der Beschwerde eine Liste mit Personen vorgelegt habe, welche nicht einer landwirtschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen seien und für welche daher eine Arbeitszeiterhöhung nicht vorzunehmen sei, entferne sie sich von der - von ihr als unrichtig bezeichneten - niederschriftlichen Aussage des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers der Revisionswerberin, wonach die Revisionswerberin im Prüfungszeitraum nahezu ausschließlich in der Landwirtschaft tätig gewesen sei. Inwiefern die Angaben und betriebswirtschaftlichen Berechnungen in der Beschwerde einen Rückschluss auf die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden liefern sollen, könne vor dem Hintergrund der unstrittig nicht vorliegenden Grundaufzeichnungen nicht nachvollzogen werden. Gleiches gelte für die ohne Stundenaufzeichnungen ins Treffen geführte Überstundenpauschale, wodurch für eine Hinzuschätzung wegen Mehrdienstleistung kein Raum bleiben solle. Diese Argumentation der Revisionswerberin gehe schon deshalb ins Leere, weil nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen auch Sonn- und Feiertagsarbeit geleistet worden sei, welche keinesfalls durch die Überstundenpauschale abgedeckt werden könne; dem sei auch die Revisionswerberin nicht entgegengetreten.
7Auch die in der Beschwerdeverhandlung durchgeführte Einvernahme der von der Revisionswerberin beantragten und im Prüfungszeitraum beschäftigten Personen habe die Prüfungsfestststellungen nicht in Zweifel ziehen können.
8Bei Verstößen gegen die Verpflichtung zur Führung von Lohnkonten sowie bei Mängeln des Lohnkontos sei die Behörde verpflichtet, die Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung zu ermitteln. Dabei seien alle hiefür bedeutsamen Umstände, wie z.B. bisherige durchschnittliche Lohnsteuerabfuhren, saisonbedingte Schwankungen oder Krankenkassenanmeldungen zu berücksichtigen. Das Ergebnis dieser - nach den Grundsätzen des § 184 BAO vorzunehmenden - Schätzung berechtige auch zur pauschalen Festsetzung der Lohnsteuer gemäß § 86 Abs. 2 EStG 1988.
9Da im vorliegenden Fall das Nichtvorliegen von Grundaufzeichnungen unstrittig sei, könne an der gesetzlichen Schätzungspflicht kein Zweifel bestehen. Die belangte Behörde habe sich sowohl mit den in der Berufung vorgebrachten Ausführungen der Revisionswerberin auseinandergesetzt als auch weitere Erhebungsschritte gesetzt, um die Schätzung der Wochenarbeitszeit rechtskonform begründen zu können. Die von der Betriebsprüfung dabei durchgeführte Stundenkalkulation auf Basis der Zeugenaussagen und die darauf basierende Schätzung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden seien in sich logisch und nachvollziehbar. Die Revisionswerberin habe im Zuge des Prüfungsverfahrens keinerlei konkrete und nachweisbare Einwendungen erhoben.
10Die nachträglichen, allgemein gehaltenen Berufungsausführungen sowie die Gegenäußerung der Revisionswerberin zur Stellungnahme des Prüfers liefen im Wesentlichen nur darauf hinaus, die Schätzung der belangten Behörde bzw. die pauschale Berechnung der Lohnsteuer als nicht korrekt zu bezeichnen. Eine nachvollziehbare Beweisführung, die sich mit der Schätzung der belangten Behörde auseinandersetze samt Vorlage entsprechender stichhaltiger Beweise lasse die Revisionswerberin im gesamten Verfahren vermissen.
11Vor diesem Hintergrund könne die vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht als rechtswidrig erkannt werden, weshalb den angefochtenen Bescheiden keine Rechtswidrigkeit anhafte.
12Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision.
13Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
14Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15Die Revision ist zulässig und begründet.
16Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
17Nach § 184 Abs. 3 BAO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.
18Ziel einer Schätzung ist, den wahren Besteuerungsgrundlagen möglichst nahe zu kommen. Jeder Schätzung ist eine gewisse Ungenauigkeit immanent. Wer zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt, muss die mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen (vgl. , mwN).
19Auch Schätzungsergebnisse unterliegen der Begründungspflicht. Die Begründung hat die für die Schätzungsbefugnis sprechenden Umstände, die Schätzungsmethode, die der Schätzung zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen und die Ableitung der Schätzungsergebnisse darzulegen. Die Begründung muss in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist. Dabei ist - worauf die Revisionswerberin auch im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung nach § 28 Abs. 3 VwGG hinweist - auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Schätzung relevanten Behauptungen einzugehen (vgl. z.B. ; , Ra 2015/13/0019, mwN).
20Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts unterliegt der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes insoweit, als das Ausreichen der Sachverhaltsermittlungen und die Übereinstimmung der Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut zu prüfen ist (vgl. z.B. ). Dabei ist auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt hat (vgl. z.B. ; , 2013/15/0281; , Ra 2014/03/0012; , Ra 2015/03/0058, mwN).
21Verweigert das Verwaltungsgericht in der Begründung des Erkenntnisses etwa die Auseinandersetzung mit (neuen) Beweisergebnissen, so belastet es das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (vgl. ). Von einer schlüssig begründeten Beweiswürdigung kann nicht gesprochen werden, wenn das Verwaltungsgericht seine Entscheidung - nicht bloß untergeordnet - mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. ).
22Im Rahmen des Schätzungsverfahrens ist im Wesentlichen strittig, in welchem Umfang von den Dienstnehmern tatsächlich Leistungen erbracht (und hiefür Löhne gezahlt) wurden. Die dazu vom Bundesfinanzgericht - als Basis für die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen - getroffenen Sachverhaltsannahmen stützen sich auf die Beweisaufnahmen im Rahmen der Außenprüfung. Zu den im Rahmen der Beschwerdeverhandlung aufgenommenen weiteren Beweisen (Befragung weiterer damaliger Mitarbeiter der Revisionswerberin) führt das Bundesfinanzgericht lediglich aus, diese Einvernahmen hätten die Prüfungsfeststellungen der belangten Behörde nicht in Zweifel ziehen können. Diese Aussagen, die (anders als die Aussagen jener Personen, die bereits im Rahmen der Außenprüfung vernommen worden waren) im angefochtenen Erkenntnis auch nicht näher geschildert werden, stehen aber - wie sich aus den in den vorgelegten Verfahrensakten befindlichen Protokollen der Befragungen ergibt - nicht im Einklang mit den getroffenen Sachverhaltsannahmen, sondern stimmen (im Wesentlichen) mit dem Vorbringen der Revisionswerberin überein. Aus welchen Gründen diese Beweisergebnisse die Prüfungsfeststellungen nicht in Zweifel ziehen könnten, wird im angefochtenen Erkenntnis nicht dargelegt. Damit erweist sich diese Sachverhaltsannahme - als Basis für die Schätzung - als mit einem relevanten Begründungsmangel behaftet.
23Soweit das Finanzamt in der Revisionsbeantwortung versucht, Zweifel an den Aussagen der in der Beschwerdeverhandlung vernommenen Zeugen darzulegen, ist darauf zu verweisen, dass es Aufgabe des Bundesfinanzgerichts ist, nach Maßgabe der Grundsätze der freien Beweiswürdigung nach § 167 BAO in Auseinandersetzung mit den bisherigen Verfahrensergebnissen und den Parteienvorbringen den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen (vgl. , mwN). Überdies sind in einer Revisionsbeantwortung nachgetragene Überlegungen nicht geeignet, eine fehlende Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu ersetzen (vgl. ; vgl. auch ).
24Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
25Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130110.L00 |
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